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"Deutschland eine anatomische Merkwürdigkeit"

Friedel Taube20. November 2012

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es nur 21 Jahre Frieden in Deutschland. Einer sah schon früh kommen, dass das Land von einem Krieg direkt in den nächsten überging: der Autor Kurt Tucholsky.

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Kurt Tucholsky in 1928 in Paris. (Foto: Sonja Thomassen)

Deutschland im November 1918. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. muss abdanken, der Erste Weltkrieg ist vorbei. Im Land herrscht Chaos - wer soll in Zukunft regieren? Schon während der letzten Kriegsmonate hatten die radikalen Sozialisten und die gemäßigten Sozialdemokraten darum gerungen, wer das Land künftig führen soll. Am 9. November riefen sowohl der Sozialist Karl Liebknecht, als auch der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Deutsche Republik aus.

Ein Anruf beim Chef der Obersten Heeresleitung, Wilhelm Groener, am 10. November sollte für den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert die Lösung bringen. Ebert plante einen Pakt mit dem Militär: Per Fernsprecher überzeugte er Groener davon, gemeinsam gegen die Linksradikalen um Liebknecht vorzugehen, um so einen drohenden Bürgerkrieg zu verhindern und einen geordneten Übergang in die Deutsche Republik zu sichern.Die Revolution sollte damit beendet und ein Frieden mit den Alliierten herbeigeführt werden. Den Sozialdemokraten um Ebert und Scheidemann sicherte die Zusammenarbeit mit dem Militär die Regierungsverantwortung in der neuen Republik: Ein Aufstand der Linken, der sogenannte "Spartakusaufstand", wurde im Januar 1919 mithilfe des Militärs niedergeschlagen. Der Weg war jetzt frei für die von den Sozialdemokraten konzipierte Verfassung, die im März 1919 in Weimar verabschiedet wurde. Die "Weimarer Republik" war geboren.

Soldaten der Reichswehr nehmen Aufsstellung zur Parade (Foto: dpa - Bildarchiv)
Die Reichswehr hatte in der Weimarer Republik eine starke StellungBild: dpa - Bildarchiv

Tucholsky: gegen Nationalismus und Militarismus

Einem jungen Mann aus Berlin passte dieser Pakt mit den alten Mächten gar nicht: Kurt Tucholsky, Schriftsteller und Journalist, damals 27 Jahre alt. Er selbst hatte den Krieg als Soldat hautnah miterlebt, war durch die Erlebnisse an der Ostfront zum Pazifisten geworden. Ihn störte, dass dem Militär in der jungen Demokratie eine solch starke Stellung eingeräumt wurde. "Der Erste Weltkrieg war für Tucholsky und viele in seiner Generation eine entscheidende Zäsur. Er hatte erwartet, dass man Schlussfolgerungen aus dieser Katastrophe zieht, und war enttäuscht, dass das nicht in hinreichendem Maße gelang", sagt Rolf Hosfeld, Autor der 2012 erschienen Biografie "Tucholsky - ein deutsches Leben". Tucholsky begriff sich selbst zwar als Linken, mit der Moskau nahestehenden Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gemeinsame Sachen zu machen, wäre ihm aber nicht in den Sinn gekommen.Stattdessen schrieb er sich, wie viele andere Linke, die sich nicht mit Moskau vereinigen wollten, den Frust von der Seele. Die wöchentlich erscheinende Zeitschrift "Die Weltbühne" war hierfür sein Forum. Hier wetterte er gegen das Militär, das, nicht vom Parlament kontrolliert, im Laufe der Jahre zunehmend zu einem Staat im Staate wurde. Auch schrieb er gegen nationalistische Tendenzen an, die er ebenfalls als Relikt der alten Zeit und als Gefahr für die junge Demokratie ansah. "Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit", schrieb Tucholsky in den 1920er Jahren, "es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten." Was er meinte, war, dass zwar viele Linke in der Weimarer Republik das Land intellektuell prägten - die allgemeine Stimmung aber von Militarismus und Nationalismus geprägt war. Tucholsky gehörte damit zu den Ersten, die das Scheitern der Republik und das Aufkommen der Nazis vorausahnten: "Es ist erstaunlich, in welcher Präzision er schon damals die Szenarien vorausgesehen hat, die sich dann tatsächlich auch abgespielt haben", sagt Hosfeld, "also die Zusammenarbeit Paul von Hindenburgs mit der Hitlerregierung, diese Art der Machtergreifung".

Rolf Hosfeld (Foto: Roland Stelter)
Tucholsky-Biograf Rolf HosfeldBild: Roland Stelter

Einschränkungen der Pressefreiheit

Auch um die Pressefreiheit war es in der Weimarer Republik nicht gut bestellt: 1929 wurden Tucholskys Kollegen von der Weltbühne sogar vor Gericht gestellt. In einem Artikel hatten sie über den heimlichen Aufbau einer Luftwaffe durch die Reichswehr, wie die Armee seit 1921 hieß, berichtet. Laut des Versailler Vertrages, indem nach dem Ersten Weltkrieg große Gebietsabtretungen des deutschen Reichs und die zeitweilige Entmilitarisierung einiger deutsche Gebiete festgelegt wurde, war das dem Militär eigentlich untersagt. "Man suchte jede Möglichkeit um Stimmen, die kritisch gegenüber der Eigenständigkeit des Militärs waren, zum Schweigen zu bringen", sagt Hosfeld. Die Journalisten der Weltbühne, darunter auch der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, wurden wegen Geheimnisverrats zu Freiheitsstrafen von je 18 Monaten verurteilt. Tucholsky selbst hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits überwiegend im Ausland auf. Klar war durch den Prozess: Die "schreibende Linke" war in die Schranken gewiesen.Im Zuge der Weltwirtschaftskrise beschleunigte sich der von Tucholsky prophezeite und befürchtete Aufstieg der NSDAP, der Partei Hitlers. Bei den Wahlen 1930 erreichten sie bereits 18 Prozent der Stimmen. Die schwere Enttäuschung über die politischen Verhältnisse, die Einschränkungen für Publizisten und verschiedene private Gründe ließen in Tucholsky den Entschluss reifen endgültig ins Exil zu gehen: Er wählte sein Sehnsuchtsland Schweden.

Das Titelblatt der lange Zeit verschollen geglaubten letzten Ausgabe der "Weltbühne" vom 14. März 1933 wird am Freitag in Berlin fotografiert (Foto: dpa - picture alliance)
Die "Weltbühne" war das wohl einflussreichste Forum für intellektuelle Linke in den 1920ern.Bild: picture-alliance/dpa

Tucholsky im schwedischen Exil

Von Schweden aus erlebte Tucholsky auch die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933, die ihn publizistisch weitestgehend verstummen ließ. "Man pfeift nicht gegen einen Ozean an", begründete das der desillusionierte Autor in einem Brief im April 1933. Am 21. Dezember 1935 starb Tucholsky in Göteborg an einer Überdosis Tabletten. Ob es Selbstmord war, ist bis heute umstritten.

Der Autor Erich Kästner beschrieb Tucholsky 1946 in der wieder gegründeten "Weltbühne" als "kleinen, dicken Berliner, der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte". Einer, der anprangerte, dass so viele nichts aus dem Ersten Weltkrieg gelernt hatten. Dieser Lernprozess setzte in Deutschland erst in den Jahrzehnten nach 1945 ein. Wie Tucholsky das heutige Deutschland wohl gefallen würde? "In der Bundesrepublik würde sich Tucholsky schon wohlfühlen. Was nicht bedeutet, dass er sich nicht auch kritisch äußern würde", ist sich Hosfeld sicher. Die Kriegseinsätze der Bundeswehr, das Regierungshandeln in der Bankenkrise , "das würde ihn sicher aufregen, wie da umverteilt wird auf Kosten der einfachen Leute", so Hosfeld. Ganz also, wie es sich für jemanden, der mit der Linken schreibt, gehört.