1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Unterstützung für "Friedensjournalismus"

Nils Naumann15. Juli 2013

Sie werden überfallen, bedroht oder wirtschaftlich unter Druck gesetzt. Kritische Journalisten leben in Kolumbien gefährlich. Trotzdem lassen sich viele nicht einschüchtern. Unterstützung bekommen sie aus Deutschland.

https://p.dw.com/p/193mj
FARC Rebellen in Kolumbien (Foto: EPA/Christian Escobar Mora)
Bild: picture-alliance/dpa

Ricardo Calderón spürt die Gefahr. Der kolumbianische Journalist, Chef-Reporter der Wochenzeitung "Semana", fühlt sich verfolgt. Er kommt von einem Treffen mit Informanten außerhalb von Bogotá. Calderón recherchiert über die luxuriösen Haftbedingungen von Militärs, die wegen Menschenrechtsverletzungen zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Es ist bereits dunkel, als Calderón rund sechzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt mit seinem Auto an einer Zahlstelle halten muss. Plötzlich blockiert ein grauer Wagen mit verdunkelten Scheiben die Weiterfahrt. Zwei Männer steigen aus, sprechen Calderón mit Namen an, beginnen zu schießen. Der Journalist springt geistesgegenwärtig in den Straßengraben und entkommt unverletzt - mit viel Glück. 

Polizist vor Polizeistation und zerstörten Häusern in Toribio (Foto: Nils Naumann)
Besonders in den entlegenen Konfliktzonen, wie hier in Toribio im Süden Kolumbiens, leben Journalisten gefährlichBild: Nils Naumann

Das Attentat Anfang Mai 2013 ist kein Einzelfall. "In Kolumbien gibt es Gruppen, die den investigativen Journalismus verstummen lassen wollen", sagt der Lateinamerika-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, José Vivanco. Immer wieder müssen Journalisten wegen Morddrohungen vorübergehend das Land verlassen. Auch der Reporter Hollmann Morris wurde bedroht und lebte zeitweise im Exil. "Ein großer Teil der Übergriffe und Morde an Journalisten", beklagt Morris, "werden nicht geahndet".

Selbstzensur oder die Schere im Kopf

Das Klima der Einschüchterung hat Folgen: "In Kolumbien ist die Selbstzensur sehr verbreitet", erklärt die investigative Journalistin Olga Lucía Lozano. Viele Journalisten, vor allem in der Provinz, vermeiden es, über heikle Themen wie die Verbindungen zwischen Politik und kriminellen Gruppen zu schreiben. Wer es doch tut, riskiert sein Leben und das seiner Familie. Dazu kommen wirtschaftliche Abhängigkeiten: Viele Journalisten bei kleinen Medien in der Provinz müssen einen Großteil ihres Einkommens über den Verkauf von Werbung erwirtschaften. Mächtige Inserenten können über Werbegelder Einfluss auf Inhalte nehmen.

Olga Lozano (La Silla Vacía), bei der Diskussionsveranstaltung zur Situation der Medien in Kolumbien in der Veranstaltungsreihe "Medien International" der DW Akademie und dem ARD Hauptstadtstudio. (Foto: Boris Trenkel/ DW Akademie)
Kritisch gegenüber allen Konfliktparteien: die Journalistin Olga LozanoBild: DW/B. Trenkel

Doch auch bei den großen Medien Kolumbiens, glauben Morris und Lozano, kommt es immer wieder zu Einflussnahme und Interessenkonflikten. Die beiden großen Tageszeitungen "El Tiempo" und "El Espectador", die privaten TV-Sender "RCN" und "Caracol", aber auch viele Radiosender, gehören den drei reichsten Familienclans des Landes. Diese haben vielfältige wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel im Finanzsektor oder in der Agroindustrie.   

Morris und Lozano engagieren sich deswegen seit Jahren für eine alternative Berichterstattung: Morris als Reporter und als Chef des TV-Senders "Canal Capital", Lozano als Mitgründerin des investigativen Internet-Portals "La Silla Vacia". "Die unabhängigen Medien", sagt Lozano, "versuchen die Geschichten zu erzählen, die die anderen nicht erzählen."

Hilfe aus dem Ausland

Unterstützung bekommen kritische Journalisten wie Olga Lucía Lozano oder Hollmann Morris aus dem Ausland. "Viele unserer aufwendigen investigativen Recherchen", sagt Lozano, "wären nicht möglich gewesen ohne internationale Hilfe." "La Silla Vacia" wird unter anderem von der Ford-Stiftung unterstützt.

Der Journalist Hollman Morris (Foto: dpa)
Für eine Kultur des Friedens: der Journalist Hollman MorrisBild: picture-alliance/dpa

Kolumbien ist auch eines der Schwerpunktländer der Akademie der Deutschen Welle in Lateinamerika. Die Akademie berät bei der Mediengesetzgebung, unterstützt beim Aufbau neuer Medienprojekte und trainiert Journalisten. "Diese Ausbildungsprojekte sind vor allem in den abgelegenen Regionen wichtig", sagt Olga Lucía Lozano, "dort haben die Journalisten kaum Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten."

Matthias Kopp koordiniert die Arbeit der DW-Akademie in Kolumbien: "Unser Hauptziel ist, dass durch den Journalismus zu einer friedlicheren Gesellschaft beigetragen wird." Die Medien, so Kopp, sollten die Konflikte des Landes nicht anstacheln, sondern eine friedliche Lösung unterstützen.

Die Journalisten und der Friedensprozess

Hollmann Morris und Olga Lucía Lozano kennen ihre Heimat nur im Bürgerkrieg. Die Regierung und die linke FARC-Guerilla bekämpfen sich seit über 50 Jahren. Hunderttausende starben. Doch es gibt Hoffnung. Seit 2012 wird über ein Ende des Konflikts verhandelt.

Hollmann Morris leitet seit vergangenem Jahr den staatlichen TV-Sender "Canal Capital" in Bogota. Er glaubt, dass die Medien dazu beitragen können, eine "Kultur des Friedens" zu fördern. "Wir müssen den Opfern der Gewalt eine Stimme geben. Wir zeigen ihr Leid, ihre Trauer, ihre Hoffnungen, aber auch, dass sie Subjekte mit Rechten sind." Gleichzeitig versuche der Sender, positive Beispiele der Konfliktbewältigung, "Gesten der Solidarität, des Verzeihens oder der Erinnerung", über das Fernsehen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Demonstration gegen die FARC in Bogotá (Foto: AFP)
Sie haben Angst, dass die Mörder der Guerilla straflos ausgehen: Demonstration gegen die FARC in BogotaBild: Guillermo Legaria/AFP/Getty Images

Natürlich wünschen sich auch Morris und Lozano Frieden. Beide betonen aber, wie wichtig es sei, kritisch zu bleiben und ehrlich zu informieren. Den Friedensprozess zu begleiten bedeute nicht, sich die Augen zu verbinden, sagt Morris. "Wenn in diesem Friedensprozess seltsame Dinge passieren", ergänzt Lozano,"müssen wir darüber informieren".

In vielen traditionellen Medien, glaubt Lozano, würden die Verhandlungsergebnisse nicht wirklich analysiert: "Wir müssen darüber berichten, wer vom Friedensprozess profitiert und wer nicht, wie die Zivilgesellschaft über den Prozess denkt, wer sich einbezogen fühlt und wer nicht."

Für eine Veränderung der Gesellschaft müsse sich aber auch der Journalismus ändern: "Die kolumbianischen Medien waren lange für viele Menschen verschlossen. Es waren immer die gleichen Leute, die dort zu Wort kamen. Der Journalismus muss sich öffnen." Lozanos Traum für die Zukunft: "Friedliche Debatten anstelle von kriegerischen Auseinandersetzungen."