1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schub für deutsche IT-Branche

Mikhail Bushuev27. August 2013

Große US-Internetfirmen haben mit der NSA zusammengearbeitet. Für deutsche IT-Unternehmen bietet das enorme Chancen: Sichere und anonyme Datenverwaltung wird von den Usern verstärkt nachgefragt.

https://p.dw.com/p/19XDi
Ein Besucher testet einen Computer auf der CeBIT (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
Bild: Getty Images

Posteo ist ein kleines deutsches Familienunternehmen. Die Firma aus Berlin bietet geschützte E-Mail-Kommunikation an. Allein in der vergangenen Woche hat der Anbieter 2000 neue Postfächer registriert. Seit dem Überwachungsskandal hat sich die Zahl der E-Mail-Konten auf 20.000 verdoppelt.

Ein Postfach kann man ab einem Euro monatlich erwerben. Dafür bekommt der User eine verschlüsselte SSL-Verbindung mit zwei Gigabyte Speicherplatz und Anonymität. Der Besitzer des Postfachs wird nicht nach persönlichen Daten gefragt und auch nicht mit Werbung belästigt. Auch die Bezahlung erfolgt anonym: Ein spezieller Zahlungscode wird dafür verwendet, der nicht mit dem Postfach verknüpft und nach dem Zahlungseingang automatisch gelöscht wird.

Cloud-Branche auf "Wolke sieben"

Das Projekt existiert seit vier Jahren, erzählt Gründer und Chef Patrik Löhr der DW. Dabei ging es ursprünglich nicht primär um einen Schutz vor Geheimdiensten, sondern um eine Alternative für Kunden, die keinen Handel mit ihren Daten wollten. Inzwischen ist das Interesse an Posteo so groß geworden, dass Löhr und sein Team sich komplett auf dieses Projekt konzentrieren. Wirtschaftlich zahlt sich das aus. "Wir stehen auf sehr gesunden Füßen", sagt Patrik Löhr.

Weblogo von der Firma Posteo (Foto: Posteo)
Die Berliner IT-Firma Posteo bietet geschützte E-Mail-Kommunikation anBild: Posteo.

Die Enthüllungen von Edward Snowdon, der früher für die US-Geheimdienste CIA und NSA gearbeitet hat, haben offenbar nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Folgen in Deutschland. Vor allem die deutsche IT-Branche könnte profitieren.

Die Anbieter von Cloud Services aus Deutschland rechnen mit 37 Prozent Wachstum jährlich bis zum Jahr 2016, so das Ergebnis einer Studie, die der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco in diesem August veröffentlicht hat. "Die Prognosen unserer Studie wurden bereits vor der Spähaffäre getroffen", stellte Harald Summa, Geschäftsführer von eco auf Anfrage der DW klar. Der Überwachungsskandal könnte der Branche jetzt zusätzlichen Schub geben.

"Wir nehmen an, dass wir von der Prism-Affäre profitieren, da die Zugriffszahlen und die Anzahl an Neukunden im Laufe der letzten Wochen um ca. 20 Prozent zugenommen haben", teilte der Geschäftsführer der Hamburger Firma Cloudsafe, Roberto Valerio, auf Anfrage der DW mit. Die User hätten im Laufe der NSA-Affäre ihre Einstellung geändert, was die Nutzung von Internetdiensten angeht. "Früher standen bei ihnen der Preis (möglichst kostenfrei) und die Benutzerfreundlichkeit (möglichst einfach) an höchster Stelle. Da wurden gerne auch US-Anbieter bevorzugt. Heute spielt der Standort und die Sicherheit der Daten eine größere Rolle. Allerdings nach wie vor nur bei erfahrenen und interessierten Nutzern", sagt Roberto Valerio.

Roberto Valerio, Geschäftsführer von Cloudsafe (Foto: CloudSafe GmbH & Co. KG)
Cloudsafe-Geschäftsführer Roberto Valerio verzeichnet eine deutliche Zunahme von NeukundenBild: CloudSafe GmbH & Co. KG

Studenten-App wird zum Renner

Aber nicht nur Cloud-Anbieter verspüren steigendes Interesse. In etwa sechs Wochen hat es ein Startup aus Köln zu einem beachtlichen Erfolg geschafft. Zwei von der Überwachungsdiskussion inspirierte Studenten haben whistle.im, ein Messenger-Programm für verschlüsselte Kommunikation, ins Leben gerufen. Die Entwickler versprechen ihren Kunden, dass der Austausch von Mitteilungen im Gegensatz zu anderen Anwendungen anonym bleibt.

"Wir bei whistle.im glauben, dass Privatsphäre nichts damit zu tun hat, ob man tatsächlich etwas zu verbergen hat oder nicht, sondern einfach unser grundsätzliches Recht ist", schreiben die Entwickler auf ihrer Seite. Die kostenlose App ist inzwischen ein Renner im Internet, dabei war sie bis vor kurzem nur in einer Test-Version erhältlich.

Neue Router sicher vor Spähprogrammen

Wirtschaftliches Potenzial von Politik erkannt

Das wirtschaftliche Potenzial der NSA-Affäre für die deutsch-europäische IT-Branche ist inzwischen auch von der Politik entdeckt worden. "Wir Europäer müssen gemeinsam daran arbeiten, unsere Abhängigkeit von Amerika und China zu überwinden und selbst starke Technologie anzubieten", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Mitte August. Manche Politiker erinnern an den Flugzeugbauer EADS, dem es seit Ende der 90er Jahre gelungen sei, ein starker Mitbewerber von Boeing zu werden. Es sei Zeit für einen IT-Airbus für Europa.

In der IT-Industrie werden solche politischen Erklärungen mit Vorsicht genossen. "Ich denke, jede Branche freut sich, wenn sie Unterstützung durch Politik und Regierung erfährt. Es stellt sich dabei natürlich immer die Frage, was aus solchen Ankündigungen dann letztendlich an konkreten Maßnahmen abgeleitet wird", sagt Frank Roth, Vorstand der AppSphere AG und Initiator der Initiative "Cloud Services Made in Germany".

Harald Summa vom Verband eco hofft auf ein stärkeres Engagement der Politik. "Das letzte Wort hat zwar der Markt. Aber Märkte kann man entwickeln und unterstützen, deshalb fordern wir schon lange als eine der wichtigsten Maßnahmen, die deutsche Internetwirtschaft zu stärken", erklärt Summa. Immerhin sei jetzt auch das Thema Sicherheit in den Köpfen der Menschen angekommen, da biete man als Verband ganz konkrete Lösungen, so der Geschäftsführer von eco.

Aber es gibt auch Skeptiker wie Roberto Valerio: "Wir glauben, dass Deutschland nur kurz- bis mittelfristig im Cloud-Bereich profitieren wird. Denn langfristig werden auch die deutschen Behörden eher in Richtung der Amerikaner laufen und die Überwachung des Internets durch staatliche Institutionen vorantreiben."