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Deutsch für Kreative

26. Februar 2010

Lernen Künstler anders Sprachen? Nicht, was die Grammatik angeht. Dafür weicht im Sprachenatelier in Berlin so manche Vokabel und vor allem die Lehrmethode vom konventionellen Frontalunterricht ab.

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(Foto: DW/ Nadine Wojcik)
Bild: DW / Wojcik

"Leidenschaft? Kennt ihr das Wort?" In Druckbuchstaben schreibt Susanne Eybl das neu gelernte Wort an die Tafel. Kein unwichtiges Wort, steckt in ihm doch jede Menge Poesie. Vielleicht gehört es auch eher in den Wortschatz eines sehr fortgeschrittenen Deutschschülers, doch solche herkömmlichen Maßstäbe spielen im Berliner Sprachenatelier keine Rolle. Hier geht es nämlich um Leidenschaft.

Deutsch als Kunst im Sprachenatelier

Die Kurse richten sich vor allem an Künstler und kunstinteressierte Menschen. Sprache ist hier nicht nur ein schickes Extra auf dem Lebenslauf, sondern ein kommunikatives Miteinander. Neben dem einheitlich vorgeschriebenen Vokabular und der Grammatik, wird im Sprachenatelier nämlich besonderen Wert auf das tatsächliche Sprechen rund um Kunst und Kultur gelegt. Erweitert werden die Sprachkurse regelmäßig mit Ausstellungsbesuchen, Filmvorführungen oder Spaziergängen.

An diesem Morgen sollen die Deutschschüler dieses Anfängerkurses Relativsätze rund um Künstlerberufe bilden. Der 23-jährige Luca hat sich für die Beschreibung des Berufs Fotograf entschieden. "Der Fotograf, der mit seinen Augen und seiner Umgebung arbeitet", trägt er seinen Relativsatz vor.

Deutschlehrerin Susanne Eybl schreibt mit einem Kreidestück etwas auf die Tafel (Foto: DW/ Nadine Wojcik)
Susanne EyblBild: DW / Wojcik

Luca Pasquali weiß wovon er redet. Mit Relativsätzen kennt er sich vielleicht noch nicht ganz so gut aus, dafür aber mit Fotografie, denn Luca ist Fotograf und hat seine Kamera immer dabei, selbst im Sprachunterricht. Seit vier Monaten ist er in Berlin. Sein Design-Studium in Florenz hat er abgebrochen, weil es ihm dort viel zu steif und verschult war. Stattdessen lässt er sich lieber von Berlin und der deutschen Sprache inspirieren. "Das ist das erste Mal, dass ich für eine längere Zeit im Ausland bin und ich muss noch viel lernen", sagt er.

Sprachschüler mit sympathischer Lebenseinstellung

Leidenschaft, aber keinen richtigen Plan – so was kommt schon mal vor, mag man denken. In der Sprachenschule potenziert sich diese sympathische Lebenseinstellung. "Die Schüler sind sehr lebendige, junge Menschen, die neugierig sind und sich was trauen", sagt Sprachlehrerin Susanne Eybl. "Die haben nicht so einen fixen Plan, was sie hier in Berlin machen wollen."

Einen fixen Plan haben sie jedoch: Deutsch lernen. Und das so angenehm wie möglich. Die meisten der kunstinteressierten Deutschschüler finden ihren Weg ins Sprachenatelier über Empfehlungen von Freunden. Andere übers Internet, die restlichen sind "Laufkundschaft", denn das Sprachenatelier liegt im alternativen Stadtbezirk Friedrichshain, in dem sich viele Berliner Kreative tummeln.

Deutschlehrer sind auch Künstler

Wie die meisten Lehrer im Sprachenatelier kommt auch Susanne Eybl aus dem künstlerischen Bereich. Sie hat Kunst in Wien studiert, zeichnet weiterhin noch regelmäßig, verdient ihr Geld aber hauptberuflich als Deutschlehrerin.

Luca und seine Mitschüler im Klassenzimmer (Foto: DW/ Nadine Wojcik)
Fotograf Luca (links)Bild: DW / Wojcik

Mehrere Jahre hat die 36-Jährige an verschiedenen Sprachschulen in Berlin unterrichtet, mit Geschäftsleuten gearbeitet und Einzelstunden gegeben. Seit einem halben Jahr lehrt die Österreicherin nun am Sprachenatelier. "Ich muss natürlich die Grammatik und die Vokabeln beibringen, die im internationalen Rahmen vorgeschrieben sind", sagt sie. "Aber hier schreibt mir keiner vor, welche Materialien ich dazu verwenden muss. Ich kann mit Musik arbeiten, mit Bildern – es macht wirklich Spaß."

Relativsätze mal anders

Im Zentrum des Sprachenateliers steht vor allem das Sprechen, nicht das Pauken. Und Humor. Das grammatikalisch schwierige Thema Relativsätze hat Eybl beispielsweise nicht nur mit Künstlerberufen erklärt, sondern auch mit sehr einzigartigen, deutschen Wörtern wie Mauerblümchen, Stubenhocker oder Schürzenjäger.

Ihre Affinität zur Kunst kommt ihr und den Schülern dabei zu Gute, wenn sie mal schnell den ein oder anderen Begriff durch eine Zeichnung erklären kann. Um den Schürzenjäger zu erläutern, malt sie beispielsweise schnell ein Dirndl mit Schürze an die Tafel. "Ah, ein Mann, der viele Schürzen jagt", leuchtet es der Amerikanerin Roslin sofort ein. Der Italiener Francesco fühlt sich spontan ermutigt: "Oh, du bist so schön heute!", sagt er zu seiner Tischnachbarin und macht ihr damit deutlich übertrieben Komplimente - und die Klasse lacht.

Der Deutschkurs im Sprachenatelier hat durchaus inspirierende Wirkung. Das mag an den schönen hellen Altbauräumen mit Holzfußböden liegen. Vielleicht auch an den kleinen Gruppen von maximal 12 Teilnehmern und den moderaten Preisen: 160 Euro kosten zwei Wochen Intensivkurs. Und interessant ist das Sprachenatelier nicht nur für Deutschanfänger: Hier können bis zu 40 Fremdsprachen erlernt werden von Isländisch, über Urdu bis Bengali.

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Conny Paul