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Der Wandel hat gerade erst begonnen

Loay Mudhoon17. Dezember 2013

Vor drei Jahren zündete sich Mohammed Bouazizi in Tunesien an und löste eine revolutionäre Dynamik in der arabischen Welt aus. Trotz Rückschlägen ist der Arabische Frühling nicht gescheitert, meint Loay Mudhoon.

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Loay Mudhoon, Redakteur der Deutschen WelleBild: DW

Keine Frage: Die schreckliche Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi vor drei Jahren markierte eine Zeitenwende, denn sie löste die größte Massenmobilisierung in der jüngsten Geschichte der arabischen Völker aus – und führte überraschenderweise zum schnellen Zusammenbruch der autoritären Regime in Tunesien und Ägypten.

Vor allem der Sturz des scheinbar "stabilen" Mubarak-Regimes im größten arabischen Land Ägypten nährte die Hoffnung auf umfassenden demokratischen Wandel in den arabischen Staaten, die jahrzehntelang als "demokratieresistent" galten. Von der Friedlichkeit und Beharrlichkeit der jungen arabischen Demokratiebewegung beeindruckt, prägten westliche Massenmedien vorschnell die schöne Metapher vom arabischen Frühling. Später tauchte in den Medien auch der Begriff "Arabellion" auf.

Seitdem ist vieles passiert in der neuen arabischen Welt - und vieles ist schwieriger geworden: In Tunesien, dem Mutterland der Arabellion, stagniert der Transformationsprozess seit Oktober 2012. In Ägypten gelang es den konterrevolutionären Kräften des alten Regimes, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes mit Hilfe des Militärs und Teilen der "säkularen" Opposition abzusetzen, nur ein Jahr nach seiner Wahl.

Schwierige Umbrüche in den "Republiken der Angst"

Viel dramatischer und gewalttätiger verliefen die Umbrüche in den "Republiken der Angst", in Libyen und Syrien, wo die Gewaltregime die anfänglich friedlichen Volksrevolten brutal niedergeschlagen haben. Dies führte zur Bewaffnung der Opposition und zur militärischen Eskalation, in Libyen zur NATO-Intervention und gipfelte im Sturz des Gaddafi-Regimes. In Syrien entwickelte sich der Konflikt zu einem konfessionell gefärbten Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien. Zur Zeit herrscht eine zerstörerische Pattsituation zwischen dem Assad-Regime und seinen Gegnern.

Ist der Arabische Frühling deshalb gescheitert? Und ist der Traum der arabischen Demokratie-Bewegungen, der Traum von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, von einem Leben in Würde drei Jahre nach Mohamed Bouazizis Selbstverbrennung nun ausgeträumt?

Wir befinden uns erst am Anfang

Vordergründig scheint es, als hätten die Pessimisten Recht: In keinem arabischen Umbruchstaat kann von geordneter Demokratisierung die Rede sein. Und einige Transformationsstaaten stehen sogar am Rande des Kollapses. Doch diese Sichtweise verstellt den Blick auf die komplexen und heterogenen Realitäten. Ein abschließendes Urteil wäre voreilig, denn wir befinden uns erst am Anfang eines Umbruchs, der Jahrzehnte andauern dürfte.

Zweifellos ist die Situation sowohl für arabische Demokratieaktivisten als auch für westliche Beobachter frustrierend. Doch aus den Rückschlägen in Tunesien und Ägypten und der verheerenden Entwicklung in Syrien zu schließen, dass eine demokratische Entwicklung in einem arabischen Land keine Chance hat, wäre übereilt. Denn die historische Erfahrung lehrt, dass der Weg von der Diktatur zur Demokratie nicht nur lang ist, sondern selten geradlinig verläuft.

Darüber hinaus trug das Handeln postrevolutionärer Eliten zu dieser Frustration und Blockade entscheidend bei: Statt sich um einen neuen nationalen Konsens zu bemühen, verstrickten sich säkulare und islamistische Kräfte in unsinnige, ideologische Grabenkämpfe. Dabei haben sie die Beharrlichkeit der Kräfte des alten Regimes unterschätzt – und deren vorübergehende Rückkehr erst möglich gemacht.

Rückkehr des arabischen Bürgers als Machtfaktor

Drei Jahre nach Ausbruch der "Arabellion" gibt es aber auch Anlass zum Optimismus: Mehr als 100 Millionen Araber leben freier als zuvor. Die Menschen zwischen Marokko und dem Irak haben sich von der repressiven Angststarre befreit. Sogar in den wohlhabenden, konservativen Golfmonarchien ist der Reformdruck größer denn je. Die Bürger, vor allem Frauen, wehren sich gegen fehlende politische Repräsentation und verlangen lautstark nach Partizipation.

Die arabische "Revolution der Würde" hat das kollektive Bewusstsein der Araber verändert. Der Glaube an Veränderungen auf friedlichem Wege ist allgegenwärtig. Wir erleben die Rückkehr des arabischen Bürgers als Machtfaktor. Aufgrund dieses Bewusstseinswandels und weil sich an den sozioökonomischen Ursachen der Revolten nichts geändert hat, wird die revolutionäre Dynamik noch einige Jahre anhalten.