1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der sogenannte liebe Gott

25. Januar 2014

„An den sogenannten lieben Gott“ schreibt eine Witwe einen verzweifelten Brief und wirft ihn in den Opferstock. Ein Akt des Glaubens, so die Überzeugung von P. Heribert Arens von der katholischen Kirche.

https://p.dw.com/p/1AwVg
Gemälde
Jakob kämpft mit dem Engel Gottes (Gustave Doré, 1855)Bild: gemeinfrei

Folgenden Brief hat vor einigen Monaten eine Witwe in den Opferstock unserer Wallfahrtsbasilika geworfen:

„An den sogenannten lieben Gott“ – stand auf dem Umschlag und drinnen:

„Lieber Gott! Vor vier Jahren waren wir mit meinem Mann hier. Er hatte um Heilung von seinem Krebsleiden gebeten, aber vergeblich, er ist 4 Monate später leider verstorben. Wo warst du, lieber Gott? Was soll man noch glauben!“

Wo warst du, Gott?

Dieser Brief hat mich berührt. Ich habe ihn immer wieder gelesen. Und ich kann ihn nachvollziehen. Habe ich nicht auch schon gefragt „Wo warst du, Gott?“ Und wenn diese Frage aus einem so schmerzlichen Erleben kommt, wen lässt das schon kalt? Ich glaube, nicht einmal Gott lässt das kalt. Ist sie doch ganz nah an der Frage, die sein Sohn am Kreuz herausgeschrien hat: „Warum hast du mich verlassen?“

Mit diesem Brief hat die Frau alles in den Opferstock geworfen, was sie im Moment geben konnte: ihre Frage, ihre Ratlosigkeit, ihre Zweifel, ihr echoloses Suchen nach Antwort.

Es war das Scherflein der Witwe, wie Jesus sie vor 2000 Jahren an einem Opferstock beobachtet hat. Sie gab nur ein paar Pfennige – und gab doch alles. Das war wenig und doch ganz viel.

Andere können vielleicht ganz anderes in den Opferstock hineinwerfen:

  • das Glück einer jungen Ehe – und ihre Dankbarkeit dafür
  • das Geschenk eines neugeborenen, gesunden Kindes, – und ihr Staunen darüber
  • die Freude über eine bestandene Prüfung – und das damit verbundene Hochgefühl
  • das Aufatmen nach überstandener Krankheit – und den neu erwachten Lebensmut
  • die Zufriedenheit eines weitgehend sorgenfreien Lebens
  • das Geschenk eines hohen Alters – und die Dankbarkeit dafür

Viele können tatsächlich vieles in den Opferstock werfen. Sie aber hat nur ihre Frage. Aber die wirft sie hinein! Auf dem Prüfstand des Glaubensbekenntnisses mag das wenig sein. Wie viele werfen ihre Bekenntnisse mit gewichtigen Glaubenssätzen hinein, die ansehnliche Gabe eines Glaubens, der nicht gefährdet scheint.

Sie dagegen hat im Augenblick nur ihre ratlose Frage. Sie hätte schweigen können. Sie hätte sich von Gott abwenden können. Sie hätte sagen können: „Wenn ich ohne dich zurechtkommen muss, dann komm du, Gott, auch ohne mich zurecht.“

Sie gibt alles – alles, was sie hat

Sie aber gibt das bisschen, was sie geben kann: ihre Frage, auf einem Zettel in einen Opferstock geworfen. Damit gibt sie alles!

Objektiv gesehen ist das wenig, sehr wenig: Was sind schon ein paar stumme Fragen angesichts des Glaubensbekenntnisses, das ihre Nachbarn in der Kirchenbank mit fester Stimme beten?

Wer von außen hinschaut, wird leicht urteilen: Der Minibrief im Opferstock: das ist doch nichts!

Die Frage stellt sich: In wem erkenne ich mich wieder, in denen, deren Glaube nicht zu wanken scheint – oder in dieser Witwe mit ihrer bedrängenden Frage?

Vielleicht darfst du dich im Augenblick glücklich schätzen, weil du dein Leben im Einklang mit einem Gott erlebst, der es gut mit dir zu meinen scheint. Wenn es dir so geht, dann freu dich und danke Gott.

Vielleicht geht es dir im Augenblick aber auch wie dieser Witwe: bestenfalls sind es deine bedrängenden Fragen und Zweifel, die du geben kannst.

Dann wünsche ich mir die Kraft dieser Witwe: Sie hielt an Gott fest – wenn auch mit vielen Fragen.

Mit Gott ringen

Als Jakob, der alttestamentliche Stammvater des Volkes Israel, den Jabbokfluss überqueren will, am späten Abend als es schon dunkel wird, da springt ihn Gott als dunkle Gestalt an und ringt mit ihm – und Jakob ringt mit Gott . Eine ganze dunkle Nacht lang. Alle Dunkelheiten seines bisherigen Lebens bündeln sich in dieser dunklen Gestalt. Und er schreit ihm entgegen: „Ich lasse dich nicht los, bis du mich segnest!“ Am Ende wird er gesegnet – und bekommt einen Schlag auf die Hüfte, sodass er sich nur noch hinkend weiterbewegen kann. Doch er kann leben: hinkend, aber gesegnet.

Diese Glaubenskraft des Jakob wünsche ich der Witwe, die ihren Brief in unseren Opferstock geworfen hat.

Diese Glaubenskraft wünsche ich jedem von uns, wenn wir angesichts dessen, was das Leben uns zumutet, mit Gott ringen.

Zum Autor:

Pater Heribert Arens OFM Geismar Kloster Hülfensberg
P. Heribert Arens ofmBild: Heribert Arens

Heribert Arens ist Franziskaner und lebt im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen in Oberfranken. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität. Er ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift "Der Prediger und Katechet" und Mitglied im Kuratorium für den "Deutschen Predigtpreis".