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Ein falscher Mythos

Wolfgang Dick8. August 2012

Bis heute hält sich der Eindruck, die Autobahn sei eine Erfindung der Nationalsozialisten gewesen, und mit den Bauarbeiten sei die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland beseitigt worden. Eine historische Lüge.

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Adolf Hitler grüßt im offenen Wagen stehend die vorbeifahrenden Bauarbeiter (Foto: picture alliance/dpa)
Bildergalerie deutsche AutobahnenBild: picture-alliance / dpa

Kraftvoll sticht Adolf Hitler mit dem Spaten in der Hand in den Sandberg. Dicht um ihn gedrängt stehen Soldaten, einer hält einen Fotoapparat in den Händen, um ein Bild des Führers zu schießen und den ersten Spatenstich für ein weiteres Stück Autobahn zu dokumentieren. Ein typisches Bildmotiv, das in der damaligen Zeit im ganzen Land verbreitet wurde, am häufigsten dort, wo kleine Teilstücke der "Reichsautobahn" gebaut wurden.

Adolf Hitler beim ersten Spatenstich zum Bau der Reichsautobahn in Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Adolf Hitler - Spatenstich als InszenierungBild: picture-alliance / dpa

Die Inszenierung hatte nur ein Ziel: Die Aktivitäten sollten die Bürger im ganzen Reich erreichen. Aufwendig werden die Spatenstiche in Szene gesetzt und die Eröffnung der Strecken nochmals gesondert gefeiert.

Hitler entdeckt die Autobahn für sich

Ein seltsamer Wandel, denn nur wenige Jahre zuvor hatten große Teile der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zusammen mit der Kommunistischen Partei den Bau von "Nur-Autostraßen", wie die Pisten aus Betonplatten zunächst hießen, sabotiert. Die Bauvorhaben würden "nur reichen Aristokraten und jüdischen Großkapitalisten und ihren Interessen dienen", argumentierten die Nazis und blieben politischen Verhandlungen zur Finanzierung von Autobahnen fern. Erst als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, entdeckten die Nazis die Autobahn für ihre Zwecke.

Bis 1929 war der Bau von Autobahnen in Deutschland an der Wirtschaftskrise und fehlendem Kapital gescheitert. Deutschland ächzte unter den Folgen von Massenarbeitslosigkeit, Hyperinflation und den Reparationszahlungen des Ersten Weltkriegs. Einzig dem damaligen Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, war es 1932 gelungen, die erste kreuzungsfreie Autobahn zwischen Köln und Bonn zu bauen und zu finanzieren: die heutige A 555. Die Strecke war damals 20 Kilometer lang. Sie durfte nur mit 120 Kilometern in der Stunde befahren werden - die meisten Autos schafften damals allerdings gerade einmal 60. Die Gegend um Köln galt damals als der meistbefahrene Raum.

Adolf Hitler mit Spaten beim offiziellen Baubeginn der Reichsautobahn Frankfurt-Darmstadt-Mannheim (Foto: dpa)
Der Führer legt persönlich Hand anBild: picture-alliance / akg-images

Bereits ein halbes Jahr nach Eröffnung wurde die Kraftwagenstraße von den inzwischen regierenden Nationalsozialisten zur Landstraße herabgestuft, um für sich den Titel als Erbauer der ersten Autobahn in Anspruch nehmen zu können.

Überall mischt Hitler mit

Dabei hatten sich bereits 1909 autobegeisterte Industrielle und einflussreiche Bürger zusammengeschlossen und sich für den Bau einer Strecke eingesetzt, die Autos ohne Staub und Dreck, ohne Pferdekutschen und Fußgänger freie Fahrt ermöglichen sollte. 1913 begannen in Berlin die Arbeiten an der "Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße" - kurz AVUS genannt. Statt geplanten 17 Kilometern reichte das Geld am Ende aber nur für zehn Kilometer. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Arbeiten, und nach 1921 diente die Strecke vorwiegend dem Test immer schnellerer Sportwagen und für Motorsportrennen.Ein 1926 gegründeter Verein setzte sich für einen Bau einer Strecke quer durch Deutschland ein - von Hamburg über Frankfurt nach Basel. Die Initiative "HaFraBa" stieß zunächst auf Ablehnung auf Seiten der Nazis, nach Hitlers Machtübernahme wurden die Planungen für die "HaFraBa" teilweise übernommen; der Name des Vereins in "Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahnen" geändert.

Adolf Hitler bei seiner Rede zur Gründung des VW-Werks Fallersleben (Foto: AP)
Ein Wagen fürs Volk: der VolkswagenBild: AP

Die Mobilität der Volksgemeinschaft soll steigen

Adolf Hitler sei nur auf die Bewegung einer sich weltweit andeutenden, steigenden Mobilität aufgesprungen, sagen Historiker heute. Er erkannte allerdings die Möglichkeiten, mit einem zunächst unsinnigen Unterfangen eine Nation zu verführen und die eigene Macht zu sichern. Denn eines war klar: Nur wenige Deutsche würden sich überhaupt einen eigenen Wagen leisten können, um damit auch die neuen Autobahnen benutzen zu können. Also versprach die NS-Propaganda die Mobilität der Volksgemeinschaft. Nicht nur die Begüterten, sondern die breite Bevölkerung sollte reisen können. Die Idee des "Volkswagens" wurde geboren. Außerdem musste die Deutsche Reichsbahn auf Druck Hitlers auf den ersten Autobahnabschnitten einen Omnibus-Schnellverkehr einrichten.

Bauarbeiter auf dem Weg zur Baustelle (Foto: dpa)
Für den Bau der Reichsautobahnen wurden vor allem Arbeitslose rekrutiert. Ihr Einfluss auf die Arbeitslosenzahlen blieb jedoch gering.Bild: picture-alliance / akg-images

Jedes Jahr sollten 1000 Kilometer Autobahn fertig gestellt werden. So hatte es Hitler befohlen. 1934 sprach er von der beginnenden "Arbeitsschlacht" und kündigt an, so die hohe Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren. Mindestens 600.000 Jobs sollte der Autobahnbau bringen, doch zu Spitzenzeiten waren es gerade einmal 120.000 Arbeiter, die mit Schaufel und Spitzhacke vorgingen. Der Autobahnbau ist von Krankheit, Tod, Hunger und Elend geprägt. Es gibt Streiks. Die Streikanführer werden ins Konzentrationslager gesteckt. An die Öffentlichkeit gelangt von all diesen Vorgängen nichts.

Mythos Autobahn

Im Laufe der Jahre finden immer mehr Menschen in der boomenden Rüstungsindustrie Jobs. Sie reduziert die Arbeitslosigkeit, nicht der Autobahnbau. In den Kriegsjahren werden immer mehr Gefangene und jüdische Zwangsarbeiter für den Autobahnbau verpflichtet. Die ursprünglich beschäftigten Autobahnarbeiter sind im Krieg. 1941 sind gerade einmal 3800 Kilometer Autobahn fertig. Zwischen 1941 und 1942 werden die Baumaßnahmen sogar fast völlig eingestellt. Ab Herbst 1943 werden die Autobahnen wegen des geringen Fahrzeugverkehrs für Fahrradfahrer freigegeben.

Die Nazi-Propaganda hielt den Mythos Autobahn jahrelang aufrecht und war damit auf fatale Weise auch noch erfolgreich. Filme und Fotos zeigten selbst dann noch Aufmärsche von Arbeitern an Autobahnstücken, als die Arbeiten schon längst eingestellt waren. Die Bilder der Trupps von Autobahnarbeitern brannten sich in das Gedächtnis einer ganzen Generation von Deutschen ein. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht.