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Der Mythos von der desinteressierten Jugend

Rachel Baig25. März 2013

Jugendliche in Deutschland gelten als unpolitisch. Das stimmt nur zum Teil. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen, so eine Studie. Das Kinderhilfswerk fordert jetzt mehr politische Beteiligungsmöglichkeiten.

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Demonstrierende Kinder Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Halil Ergin ist ein echtes Vorbild. Der 18-Jährige ist Gründungsmitglied der Flüchtlingshilfe Warburg. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen setzt er sich für die Rechte von Menschen ein, die in seinem Heimatkreis Höxter in Nordrhein-Westfalen untergekommen sind. Halil hält Referate an Schulen und hilft Flüchtlingen im Alltag, indem er sie bei Behördengängen begleitet. Und er versucht, andere Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren - mit einer Ansprache auf Augenhöhe.

"Wir sind der Meinung, dass wir bei jungen Menschen mehr erreichen können. Wir wollen für die Zukunft Leute gewinnen, die Spaß daran haben, anderen zu helfen", so Ergin. Die Zahl der Jugendlichen, auf die das nicht zutrifft, ist in Deutschland allerdings hoch. Das zeigt eine Studie, die das Deutsche Kinderhilfswerk in Auftrag gegeben hat.

Von der Politik im Stich gelassen

Präsident des Kinderhilfswerks Thomas Krüger Foto: Bundeszentrale für politische Bildung
Kinderschützer Krüger: "Schule und Familie müssen Politik vermitteln"Bild: Bundeszentrale für politische Bildung

Die Hälfte der 830 befragten 10- bis 17-Jährigen gab an, sich nicht politisch engagieren zu wollen. Ein möglicher Grund: Die Jugendlichen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Zwei Drittel haben den Eindruck, dass die Bundesregierung sich zu wenig für ihre Belange einsetzt. Noch schlechter ist das Ansehen auf kommunaler Ebene. Nur 15 Prozent haben den Eindruck, dass sich Lokalpolitiker für ihre Anliegen interessieren.

Dabei gäbe es durchaus Potenzial, Jugendliche für Politik zu begeistern. Laut Ergebnis der Studie des Kinderhilfswerks steigt das Interesse an politischer Mitbestimmung bis zum Alter von 15 Jahren. Dann kommt es zu einem Bruch. "Bei Jugendlichen verändert sich in dem Zeitraum sehr viel, allein schon wegen der Pubertät. Man verliert viele Jugendliche in diesem Alter, weil es keine richtige Verständigung gibt", so Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, im Interview mit der Deutschen Welle. Er fordert als Konsequenz den Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten von jungen Menschen.

Theorie ist Gift für jugendliches Engagement

"Um Jugendliche für politisches Engagement zu motivieren, ist aktives Handeln notwendig. Man muss Spaß an der Sache schaffen, um es interessant zu gestalten. Wenn man sich nur trifft und theoretisch alles durchgeht, dann wird es schnell langweilig", sagt der 18-Jährige Halil Ergin. Die Realität gibt ihm recht. Dass engagiertes und gemeinschaftliches Handeln gesellschaftlichen Wandel herbeiführen kann, hat in der Vergangenheit die Anti-Atom-Bewegung gezeigt. Gerade in ihren Anfängen bestand sie hauptsächlich aus jungen Leuten.

Halil Ergin, Gründungsmitglied der FHW - Flüchtlingshilfe Warburg. Foto privat
Halil Ergin (18) will Jugendliche für Politik begeisternBild: Halil Ergin

Obwohl viele Jungen und Mädchen in der Politik und bei sozialen Fragen mitwirken wollen, fehlt ihnen meist die Information zum "wie". Laut Umfrage besteht bei den Jugendlichen ein großes Informationsdefizit zum Thema Mitbestimmung und Beteiligung. Knapp die Hälfte der Befragten wusste nicht, ob sie auf örtliche Entscheidungen Einfluss nehmen oder sich politisch engagieren könnte. "Das mag mit einer unzureichenden Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben. Aber auch damit, dass die bestehenden Angebote in der Schule relativ unbekannt sind. Politik muss in den Schulfächern näher gebracht werden", betont Krüger.

Soziales Umfeld spielt keine Rolle

Überraschend ist ein weiteres Ergebnis:  Es gibt bei politischer Bildung und Engagement offenbar keine sozialen Unterschiede. Laut der Kinderhilfswerks-Studie sind Hauptschüler mit 31 Prozent am besten informiert. Außerdem bestehe kein bemerkenswerter Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.

Demonstranten protestieren in Frankfurt am Main gegen Atomkraft. Foto: Mario Vedder/dapd
Anti-Atom-Protest in Frankfurt am Main: Wandel durch EngagementBild: dapd

Doch kommt es nur für wenige Jugendliche infrage, in einer Partei oder politischen Gruppe mitzuarbeiten. Im Bereich vom sozialen Engagement, das politisch neutral ist, sei der Zuwachs aber groß, meint Jungaktivist Halil Ergin. Kinderhilfswerkpräsident Thomas Krüger sieht das auch so. "Deshalb müssen hier Schule, aber auch Familie und Nachbarschaft entgegenwirken und deutlich machen: Politik ist etwas, was alle angeht und betrifft, und für jeden zugänglich werden muss."