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Naturpark in Israel

Ulrike Schleicher30. Mai 2014

Die Hüttenwerke in Duisburg und jetzt eine Mülldeponie vor den Toren Tel Avivs: Zeugnisse einer vom Menschen misshandelten Landschaft. Der Landschaftsarchitekt Peter Latz gibt ihnen neues Leben.

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Belvedere des Ariel-Sharon-Parks
Bild: Ulrike Schleicher, 2014

Vor den Toren Tel Avivs liegt ein rund 60 Meter hoher Tafelberg, in dessen Untergrund es brodelt. Jahrzehntelang wurde hier der Abfall aus ganz Israel angehäuft, so lange bis der Berg zu kollabieren drohte, der Gestank unerträglich wurde und die Gefahr bestand, dass das giftige Gebräu durch im Winter wiederkehrende Hochwasser ausgeschwemmt würde. Hiryia, wie die Deponie genannt wird, wurde geschlossen. Zurück blieb der Berg - wie ein Mahnmal.

Giftiger Nachlass wird mediterranes Paradies

Inzwischen ist der Geruch verschwunden, und die Deponie steckt mitten in ihrer Metamorphose zum neuen Ariel-Sharon-Naturpark. 2005 hatte die israelische Regierung einen internationalen Wettbewerb zur Umgestaltung des Areals ausgeschrieben. Einer der Bewerber war der Landschaftsarchitekt und emeritierte Professor der TU München Peter Latz. Seine Vision von einer mediterranen Landschaft auf dem Plateau, einer bepflanzten Terrasse an der Bergkante, die von einem natürlich belassenen Flussbett sowie Obstplantagen und Feldern umsäumt wird, begeisterte die Jury. Latz ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Seit Beginn der 80er Jahre hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Industriebrachen zu "neuen Paradiesen" zu machen, wie er selber sagt.

Auf insgesamt 800 Hektar können die Bewohner des dicht besiedelten Raumes künftig Radfahren, Spazierengehen, Konzerten lauschen und Wasser erleben, umgeben von Israels Vegetation: Palmen, Oliven, Eichen – und Johannisbrotbäumen sowie heimischen Büschen und Kräutern wie Rosmarin, - Thymian, - und Salbei: "Kräuter, die landestypisch sind", sagt Latz. Das gesamte Baumaterial – angefangen von den Terrassen aus Betonquadern, den Holzplanken und den Eisenzäunen ist recycelt und bleibt in seinem natürlichen Zustand.

Mülldeponie Hiryia bei Tel Aviv Ariel-Sharon-Park
Die Mülldeponie Hiryia bei Tel Aviv von oben betrachtetBild: Ariel-Sharon-Park, 2013

Industriegeschichte und soziale Aneignung

Während die Oberfläche der Deponie langsam von der Natur zurück erobert wird, sieht es im Untergrund anders aus. Die Aufbereitung des Abfalls war und ist ein enormer Aufwand. "Zuerst wurde alles mit einer dicken Folie abgedeckt", erklärt Projektleiter Ulf Glänzer. Ein unterirdisches Kanalisationssystem sammelt das giftige Sickerwasser, das dann in einer biologischen Abwasserreinigungsanlage gereinigt wird. "Das Methangas, das bei der Verrottung entsteht, dient einer Textilfabrik zur Energiegewinnung." Der Gärungsprozess ist endlich, doch bis dahin hebt und senkt sich der Berg.

Wie erfolgreich Latz' Projekte sind, zeigt auch ein Beispiel früherer Zeiten. Im Landschaftspark Duisburg-Nord ist die höchste Erhebung kein Berg, sondern ein Hochofen der ehemaligen Thyssenwerke Meiderich. Hier wurde bis 1985 Roheisen produziert. Insgesamt sind es drei Hochöfen und sie bilden zusammen mit Bunkern und ehemaligen Gebäuden das Inventar des 1994 eröffneten Parks. Latz hat die Geschichte der Industrie mit ihren hässlichen Seiten in erlebbare Räume verwandelt: Bahngleise sind zu Spazierwegen geworden, ehemalige Klärbecken Biotope. „Besucher wandern durch die Ruinen der Produktion, lernen, mit ihr umzugehen und sie nach ihrer eigenen Vorstellung zu nutzen”, erläutert der 75-Jährige das Konzept. Die Nutzung des Parks für die Menschen ist vielfältig – es gibt ein Kino, Spielplätze, Galerien, ein Becken für Taucher, Kletterwände, Radwege und es ist Platz für neue Ideen. Der rund 180 Hektar große Park, der sechs verschiedene Flächen verbindet, gilt in Fachkreisen heute als wichtigstes Projekt der Landschaftsarchitektur der Jahrtausendwende und hat viele Preise gewonnen.

Naturpark Duisburg Nord
Klettern an Ruinen der ehemaligen Hochofenwerke Thyssen Meiderich: im 1994 eröffneten Naturpark DuisburgBild: Büro Latz + Partner, 2008

Trümmerflora erobert sich Terrain

Während der Park in Duisburg rund acht Kilometer außerhalb der Stadt liegt, befindet sich der Parco Dora fast im Zentrum der italienischen Stadt Turin. Seit den 20er Jahren hatten Fiat und Michelin dort ihre Produktionsstätten, bis sie in den 80er Jahren geschlossen wurden. Als Latz 2004 mit der Umgestaltung des Geländes begann, stand die Verknüpfung der Stadt mit dem neuen Park und dem Fluss Dora im Vordergrund. Brücken und Wege ziehen sich wie rote Fäden durch die fünf Bereiche und führen zum grünen Herz des Parks: Eine Halle ohne Mauern, die früher einmal ein Walzwerk war.

Parco Dora in Turin
Stahlstützen ehemaliger Industriebauten in Turin. Der 2012 fertig gestellte Park ist mit der Stadt verzahntBild: Ornella Orlandini

Die Entwicklung aller Projekte des Landschaftsarchitekten verläuft dynamisch. Nichts ist abgeschlossen, alles ist möglich. Das betrifft vor allem die Pflanzenwelt in den Parks: Zwischen gezielt gepflanzter Vegetation gibt es Platz für „Trümmerflora“, wie Latz die speziellen Blumen und Gräser, die sich solche Terrains erobern, nennt. So entstehe eine Art „Wildnis“, die dem Idealbild der modernen Gesellschaft von der Natur entspricht: „Die Wildnis überlebt im Garten“, sagt er. Aber nicht alles ist paradiesisch: Am Fuße des Ariel-Sharon-Parks etwa laden Lastwagen weiterhin Abfall ab, der in hochmodernen Anlagen inzwischen sortiert und recycelt wird. Kein Widerspruch für Latz: Vielmehr der Beginn einer Aussöhnung zwischen den Auswüchsen der Zivilisation und der Natur.