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Der Krieg im Netz

Hazem Balousha/Naomi Conrad21. November 2012

Der Gaza-Konflikt wird auch in den sozialen Medien ausgetragen. Es ist ein Kampf um Öffentlichkeit, der mit Bildern von toten Kindern und Trümmern auf Twitter und Facebook ausgetragen wird.

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Ein Screenshot vom 15.11.2012 zeigt eine deutsche Facebook-Seite, auf der die israelischen Streitkräfte für sich werben. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ebaa Rezeq erzählt, dass sie immer das Fenster aufmacht, wenn sie über den Krieg twittert. Damit sie, wenn eine Rakete neben ihrem Haus einschlägt oder eine Bombe explodiert, nicht von Glassplittern getroffen wird. Aber selbst bei geschlossenem Fenster sind die ständigen Einschüsse unüberhörbar. "Wir leben hier in der Hölle und ich will, dass die Welt davon erfährt", sagt sie.

Deshalb twittert die Studentin den ganzen Tag lang. Über Explosionen, Tote und zerstörte Gebäude. Bevor sie das Haus verlässt, schaut sie auf Twitter, wo gerade geschossen wird. Oft, sagt Ebaa, schickten ihr Israelis, sie nennt sie "extremistische Zionisten“, Drohungen. "Die Beschimpfungen sind einfach schrecklich", sagt sie. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, macht sie weiter.

Von Twitter auf die Titelseiten

Denn im Twitter-Krieg geht es um Propaganda und Deutungshoheit. Es ist ein Kampf, der auf beiden Seiten mit Bildern von Trümmerfeldern und toten Kindern ausgetragen wird, wie etwa dem Bild des weinenden BBC-Journalisten Jihad Misharawi, auf dem er seinen in ein weißes Leichentuch gewickelten elf Monate alten Sohn in den Armen hält. Das Foto wurde durch die gesamte Welt getwittert - und landete bald auf den Titelseiten der internationalen Presse.

Der BBC-Journalist Jihad Misharawi hält die Leiche seines Sohns in seinen Armen (Foto: REUTERS/Mohammed Salem)
Der BBC-Journalist Jihad Misharawi trauert um seinen SohnBild: Reuters

"Die israelische Armee und die Palästinenser versuchen, über die sozialen Medien weltweite Unterstützung zu bekommen", sagt Ula Papajak von der Technischen Universität Berlin. So ist es nicht verwunderlich, dass viele der Tweets auf Englisch verfasst sind. Auch die der Israelischen Armee (Israeli Defense Forces, kurz: IDF), die den Angriff auf Gaza über ihren Twitter-Account (@IDFSpokesperson) bekannt gab und dann erst zur traditionellen Pressekonferenz rief. Wenig später folgte die Warnung an alle Hamas-Mitglieder "in den nächsten Tagen ihre Gesichter nicht über der Erde zu zeigen". Die Antwort der Al-Kassam Brigaden der Hamas (@AlwassamBrigade) folgte prompt: "Unsere geheiligten Hände werden eure Anführer und Soldaten finden, egal wo sie sind."

Im Minutentakt updates vom Krieg

Beide Seiten twittern ununterbrochen, genauso wie hunderte von Palästinensern und Israelis. Im Minutentakt gibt es Updates vom Krieg - aus Gaza, aber auch aus den Luftschutzbunkern in Tel Aviv, in denen ganze Familien ausharren und live auf Youtube ihre Sorgen streamen.

Screenshot des Tweets der israelischen Armee über den Beginn des Angriffs auf Gaza (Foto: Screenshot)
Der Angriff auf Gaza wurde von der IDF über Twitter bekannt gegebenBild: DW/A.Tauqueer

Jetzt ist es sogar so weit, dass die IDF die israelische Bevölkerung warnt, keine genauen Angaben über Raketenangriffe aus Gaza zu verbreiten. "Das sind schließlich Informationen, die der Hamas zu Gute kommen könnten", sagt Gabriel Weinmann, Medienexperte an der Universität Haifa. Nutzen könnten sie die Informationen etwa, um ihre Trefferquote zu verbessern.

Unterstützung von Hackern aus der ganzen Welt

Doch der virtuelle Krieg ist ein ungleicher Krieg. "Die Israelis sind organisierter, die haben eine richtige Propagandamaschine und Angestellte und sonst noch alles, was sie brauchen", sagt Asaad Thebian, ein libanesischer Medienexperte. Palästinenser seien auf sich selbst gestellt.

Alle acht Stunden, erzählt Ebaa, wird der Strom gekappt. Dann muss sie ihre Nachrichten per Handy an Twitter schicken: "Die Handyverbindung ist so langsam, das ist nicht einfach." Trotzdem schickt sie so viele Tweets wie sie kann, an manchen Tagen hunderte, sagt sie.

Wenn der Strom ausfällt, übernehmen andere den Kampf, etwa Hacker aus Saudi-Arabien oder dem Libanon, sagt Weinmann. Erst am Montag (19.11.2012) hätten Hacker wieder versucht, in das Netzwerk seiner Universität einzudringen, erzählt er ziemlich ungerührt. Er ist es gewohnt: "Sobald es hier Krieg gibt, gibt es immer unzählige Versuche von Hackern, in Webseiten einzudringen, Falschmitteilungen zu verbreiten und so weiter."

Palästinenser in einem Internet-Cafe (Foto: AHMAD GHARABLI/Freier Fotograf)
Palästinensische Aktivisten werden von Hackern unterstütztBild: Getty Images

"Keiner weiß, was wirklich passiert"

Falschmitteilungen werden auch über Twitter und Facebook verbreitet, etwa Bilder von toten Kindern, die tatsächlich aber aus Syrien stammen. Das ärgert Ebaa. "Wir müssen uns an die Wahrheit halten, sonst glaubt uns keiner mehr." Auch Ulla Papajak betont, dass Bilder und Informationen genau geprüft werden müssen - obwohl oft die Zeit dazu fehle.

Doch zwischen den Explosionen, Einschüssen und der Flut von Twitter-Updates die Wahrheit zu erkennen, sei nicht einfach, gibt Ebaa zu. "Eigentlich weiß keiner genau, was wirklich passiert." Trotzdem wird sie weitertwittern.