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Deutsch lernen

Der Knast

Naumann, Nils25. Januar 2011

In den Knast - umgangssprachlich für Gefängnis - muss, wer eine Straftat begangen und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Der Alltag der "Knastbrüder" und der Gefängniswärter verläuft in der Regel in festen Bahnen.

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Sprecherin:

Die Nacht ist kurz im Knast. Um 5.30 Uhr weckt ein durchdringender Klingelton die mehr als 700 Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Krümmede am Rande der Bochumer Innenstadt. Das weiß verputzte Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert beherbergt Drogendealer, Mörder, Betrüger und Diebe aus mehr als 30 Nationen. Doch das weiträumige Gelände hinter Stacheldraht und haushohen Mauern ist nicht nur der unfreiwillige Aufenthaltsort von kleinen und großen Kriminellen. Die Bochumer Krümmede ist auch der nicht ganz ungefährliche Arbeitsplatz von rund 400 Menschen. Ihre Aufgabe: Die Bewachung und Betreuung der Häftlinge. Kein einfacher Job. Die Anforderungen an die Männer und Frauen in den Uniformen sind hoch.

O-Ton:

"Geduld muss man haben. Man sollte sich ziemlich selbst beherrschen können. Man sollte sich also selbst unter Kontrolle halten. Teamfähig muss man sein. Ja, und man muss sich hier mit dieser gesamten Umgebung auseinandersetzen und man muss das auch für sich akzeptieren, selbst irgendwo eingesperrt zu sein, denn, dass ist man auch, obwohl ich ja jederzeit die Anstalt verlassen kann und ich muss mit der Situation, dass es immer so eine leicht gefährliche Situation jederzeit eintreten kann, mit der muss ich auch klar kommen.

Sprecher:

Doch zumindest Rolf Lensing hat bisher Glück gehabt. Bis auf eine Hüftprellung und einen gebrochenen Mittelhandknochen hat er seine Berufsjahre ohne größere Verletzungen durch Angriffe von Häftlingen überstanden. Doch es kann auch schlimmer kommen. In einem benachbarten Gefängnis wurden vor einigen Jahren zwei Bedienstete als Geiseln genommen, mit Benzin überschüttet und angezündet. Die Opfer überlebten, leiden aber noch immer unter den Spätfolgen.

O-Ton:

"Das verdrängt man. Wenn ich also morgens in die Anstalt komme mit dem Bewusstsein, ich bin 'ne potenzielle Geisel, dann bin ich nach 'nem halben Jahr beim Kappendoktor, also beim Neurologen oder Psychiater. Das hält der Mensch auf Dauer nicht aus."


Sprecherin:

Trotz des hohen Risikos sind die Bediensteten beim alltäglichen Kontakt mit den Häftlingen unbewaffnet. Schlagstöcke und Schusswaffen werden nur im Notfall ausgegeben. So soll das Klima in der Anstalt entspannt werden. Bei Auseinandersetzungen setzen Rolf Lensing und seine Kollegen in der Regel auf Deeskalation.

O-Töne:

"Das ist wie im freien Leben draußen auch. Wie man in den Wald ruft, so schallt es wieder raus. Das ist ganz normal. Wenn ich die Leute vernünftig anspreche, krieg' ich 'ne vernünftige Antwort, normalerweise, in der Regel zumindest. Wenn ich die anboller', ja dann werd ich 'ne entsprechende Antwort bekommen und dann schaukelt sich das hoch. / Wir versuchen, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Oftmals reicht auch das Gespräch, dass man offen auf den Gefangenen eingeht. Was ist los? Kann ich dir helfen? Kann ich Ihnen helfen? Je nachdem."

Sprecher:

Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen: Das ist die Devise der Bediensteten der Krümmede. Es soll also nicht auf Grund eines geringfügigen Anlasses ein unangemessen hoher Aufwand betrieben werden. Auch im Alltag ist der Umgang der Beamten mit den Häftlingen freundlich distanziert, denn Lensings Kollegen wissen, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Aggressives Verhalten gegenüber den Häftlingen würde ihrer Meinung nach nur deren Aggressivität erhöhen. Doch die Deeskalationsstrategie ist nicht immer erfolgreich. Im Extremfall landen gewalttätige Häftlinge in der Beruhigungszelle.

O-Ton:

"Wir sind hier im besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände, von den Gefangenen B-Zelle, also Beruhigungszelle oder Bunker genannt. Die Gefangenen müssen sich komplett ausziehen, bekommen neue Kleidung. Wir haben in der Vergangenheit den Fall gehabt, dass Gefangene in ihrer Unterwäsche zum Beispiel Rasierklingen versteckt haben, um hier ihren, in 'nem Haftraum begonnenen Selbstmord zu Ende zu führen."

Sprecherin:

Bundesweit nimmt sich durchschnittlich alle drei Tage ein Gefangener das Leben. Die Gründe sind vielfältig: Drogensucht, langjährige Haftstrafen, mangelnde Zukunftsperspektiven.


Sprecher:

Inzwischen ist es kurz vor zehn. Arbeitsaufschluss. In der Gefängnisdruckerei rotieren die Walzen, in der Schlosserei nebenan schweißt eine Gruppe von Häftlingen an einem neuen Treppengeländer. Insgesamt 450 Gefangene sind in den verschiedenen Betrieben auf dem Gelände der Krümmede beschäftigt. So sollen sie auf ein geregeltes Leben außerhalb der Anstaltsmauern vorbereitet werden.

Sprecherin:

Von ihrem Verdienst finanzieren die Häftlinge vor allem die Genussmittel Tabak und Kaffee. Doch genau wie in der Freiheit ist auch im Strafvollzug die Arbeit knapp. Rund ein Viertel der arbeitswilligen Häftlinge findet keine Beschäftigung. Die Jobs sind begehrt, denn schließlich ist Arbeit eines der wenigen Mittel um die langen Tage im Knast auszufüllen.

O-Ton:

"Sonst verblödet man ja. Man muss ja irgendwat machen. Aber sons' is' vollkommen Ende hier, so ist ja nichts. Ich hab hier noch 'nen Los gezogen mit Elektrowerkstattarbeiten. Da bin ich ja beruflich gefordert. Wenn ich jetzt in so 'nem Pensumbetrieb irgendwelche Schrauben zählen müsste, der ganze Tag, dann würd' ich am Rad drehen. Da wär' et wat anderes. Aber so bin ich an sich gut ausgelastet."

Sprecher:

Jochen hat ein Los gezogen. Er hat Glück gehabt. Der 47-Jährige hat einen vielseitigen Arbeitsplatz in der Elektrowerkstatt der Krümmede. Die Redensart ein großes Los ziehen bezieht sich auf das mit einem Hauptgewinn verbundene Lotterielos und bedeutet im übertragenen Sinne so viel wie einen guten Griff tun oder Glück haben. Wer dagegen mit seinem Los unzufrieden ist, der hat nichts gewonnen und hadert mit seinem Schicksal. Wenn Jochen Pech gehabt hätte, dann würde er heute nicht in der Elektrowerkstatt sondern in einem eintönigen Betrieb arbeiten und am Rad drehen. Wer am Rad dreht, der hält etwas nicht mehr aus, er verliert die Nerven und wird langsam aber sicher verrückt.

Sprecherin:

Doch das ganz große Los hat Jochen in seinem Leben wohl noch nicht gezogen. Zehn Jahre verbrachte er bereits hinter Gittern. Der Grund: Kokainhandel im großen Stil. Gleich zwei Mal wurde er verurteilt; in beiden Fällen hatte ihn ein Informant bei der Polizei verzinkt, also verraten. Das Leben im Knast ist für Jochen vor allem fremdbestimmt.

O-Ton:

"Du hast hier überhaupt keine Eigeninitiative, so. Du musst für jeden Mist an sich betteln, ne. Du kannst nichts mal selbst entscheiden, dir wird alles aus der Hand genommen. Du kriegst dein Essen mittags zu festen Zeiten, du wirst morgens geweckt, das ist ja alles in festen Bahnen, das ist ja nichts irgendwie Außergewöhnliches. Ich kann ja jetzt, nächste Woche kann ich ja schon genau sagen, was gibt's zu essen, wann geh ich schlafen, wann geht morgens die Schelle wieder. Das ist immer das Gleiche, da ändert sich ja nichts."

Sprecher:

Jochens Alltag im Gefängnis verläuft in festen Bahnen. Alles wird ihm aus der Hand genommen. Die Bahn, das ist der vorgegebene Weg, ursprünglich die durch einen Wald geschlagene Schneise. Im Knast sind das die Vorschriften und die Vollzugsbeamten, die den Häftlingen Vieles aus der Hand nehmen. Die Hand, ursprünglichstes Werkzeug des Menschen, steht im Mittelpunkt vieler Redensarten. Jemandem etwas aus der Hand nehmen bedeutet die Kontrolle darüber gewinnen.

Sprecherin:

Das Leben hinter Gittern ist nicht einfach. Seit Jahren sind die deutschen Gefängnisse chronisch überbelegt. Durchschnittlich kommen auf 100 Haftplätze 110 Gefangene. Und so werden Einzelzellen doppelt besetzt und Aufenthaltsräume in Mehrbettquartiere umgewandelt. Auch in der Bochumer Krümmede muss sich jeder zweite Häftling. Zelle und Klosettschüssel mit anderen teilen. So manch einen Häftling macht die Enge aggressiv. Doch Jochen hat sich bisher zurückgehalten und keinen Ärger gemacht. Schließlich droht die Gefängnisleitung Gewalttätern mit dem Entzug des Arbeitsplatzes. Doch auch ihn hat die Zeit im Gefängnis verändert.

O-Ton:

"Egoistisch wirst de. Weil nur deinen eigenen Weg siehst. Mich interessiert doch nicht, wat er macht, oder er oder er. Interessiert mich überhaupt gar nicht. Ich will doch nur wissen, dat ich klar und wieder entlassen werd und Aus, Ende. Und hart, gefühlsmäßig hart, weil wenn du irgendwelche Probleme hast, die musst de immer reinfressen und dat passiert dir ja immer mehr. Dann frisst de immer mehr rein und bleibst immer mehr bei dir. Du gehst da nicht mehr nach außen."

Sprecher:

Im Gefängnis sieht oder geht Jochen nur seinen eigenen Weg. Diese Formulierung bedeutet so viel wie sich nicht beirren lassen und nur das tun, was man selbst für richtig hält. Auch seine Probleme will oder kann mit niemandem teilen. Stattdessen frisst er sie im übertragenen Sinne in sich hinein. Natürlich werden die Probleme dadurch nicht gelöst und oft führt das konsequente Reinfressen von Problemen sogar langfristig zu noch größeren körperlichen und psychischen Problemen.


Sprecherin:

Viele andere Häftlinge betäuben ihre Probleme mit Drogen aller Art. Rund ein Drittel der Knackis sitzt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Hepatitis und Aids sind weit verbreitet. Viele Abhängige konsumieren auch hinter Gittern weiter Heroin, denn mit den entsprechenden finanziellen Mitteln wird ihre Nachfrage auch im Knast befriedigt. In einigen Gefängnissen haben organisierte Gruppen den Drogenhandel übernommen, auch Henning Köster, Leiter der Bochumer Krümmede, glaubt schon lange nicht mehr an die vollkommene Kontrolle des Drogenhandels in seiner Anstalt.

O-Ton:

"Pakete kommen rein, es kommen Lieferanten rein, es kommen alle möglichen Leute rein, also dieses Abschotten geht eben auch nicht, ne. Erst mal in der Gesellschaft gibt's Drogen, warum soll's dann im Knast keine Drogen geben. Hundertprozentig kann man's nicht verhindern und jeder, der das meint, ist naiv."

Sprecherin:

Es ist später Nachmittag. Die meisten Häftlinge sind wieder in ihren Zellen. Im zentralen Kontrollraum von "Hafthaus 1" herrscht entspannte Ruhe. Nur gelegentlich müssen die Beamten einige Häftlinge zu ihren Freizeitgruppen begleiten. Doch nicht immer ist die Arbeit so problemlos. Vollzugsdienst ist kein Traumjob. Ärger mit den Häftlingen und latenter Personalmangel gehören zum Alltag. Insgesamt 27.000 Überstunden haben sich allein bei den Bediensteten der Krümmede angesammelt. Nicht nur deswegen sind viele mit ihrem Beruf unzufrieden. Doch zumindest Rolf Lensing hat seine Sinnkrise schon hinter sich gebracht.

O-Ton:

"Es gab 'ne Zeit Ende der 70er bis Mitte der 80er, wo ich also jeden Samstag den Annoncenteil der Zeitung gelesen habe und überlegt habe, also, du müsstest eigentlich deinen Job an den Nagel hängen, das ist nichts für dich. Der Frust frisst dich auf, et geht auch nich weiter. Über diesen Punkt bin ich, Gott sei Dank, lange hinaus. Es war richtig damals für mich, hier anzufangen und es war richtig dabei zu bleiben."

Sprecher:

Auch Lensing wollte seinen Job an den Nagel hängen, er wollte also aufhören, ihn zu betreiben. Der Nagel ist in diesem Fall nicht der Fingernagel, sondern ein metallener Stift, mit dem zum Beispiel Bretter befestigt beziehungsweise festgenagelt werden. Der Beruf wird also sinnbildlich wie ein alter Mantel abgestreift und am Nagel aufgehängt.

Sprecherin:

Der Grund für Rolf Lensings Frustrationen war vor allem der Mangel an Erfolgserlebnissen, denn das Ziel des Strafvollzuges, die Resozialisierung, also die Wiedereingliederung, in die Gesellschaft erreichen nur die wenigsten Häftlinge. Zwei von drei Gefangenen werden nach der Entlassung wieder straffällig. Um nicht zu verzweifeln, hat sich Rolf Lensing neue, auch im Vollzugsalltag mittelfristig erreichbare Ziele gesucht. Dazu zählt er vor allem Ruhe und Ordnung im eigenen Zuständigkeitsbereich und ein halbwegs entspanntes Verhältnis zu den Häftlingen. Damit das eigentliche Ziel des Strafvollzuges nicht vollends aus den Augen verloren wird, kümmern sich in der Krümmede neben den Beamten auch Sozialarbeiter und Psychologen um die Gefangenen. Aber auch diese Bereiche sind chronisch unterbesetzt. Doch nicht nur Quantität und Qualität des Personals entscheiden über Erfolg oder Misserfolg der Resozialisierung. Henning Köster, Leiter der Krümmede:

O-Ton:

"Resozialisierung fängt in den Köpfen der Gefangenen an, nicht in unseren Köpfen, in den Köpfen der Gefangenen fängt das an. Und man darf nicht die Vorstellung haben, dass wir hier eben durch Hand auflegen oder dadurch, dass wir neben jedes Bett 'nen Sozialarbeiter oder Psychologen stellen, dass sich dadurch was ändert. Es hängt auch an der Anstalt, aber ganz entscheidend an den Gefangenen. Die müssen - wie man im Ruhrgebiet sagt - aus dem Quark kommen, müssen sagen, ich will was machen aus meiner Zeit und dann steht ihnen im Grunde das ganze Angebot des Vollzuges offen."

Sprecher:

Auch die Gefangenen müssen aus dem Quark kommen. Schon seit dem 16. Jahrhundert bezeichnet das Milchprodukt Quark bildlich gesprochen etwas völlig wertloses. Henning Köster drückt mit der Redensart aus, dass die Gefangenen aus eigenem Antrieb einen Ausweg aus ihrer Misere finden müssen. Denn durch reines Handauflegen der Bediensteten wird sich an der Situation der Häftlinge nichts ändern. Damit bezieht sich der Leiter der Krümmede ironisch auf Quacksalber oder Wunderheiler, die angeblich durch reines Handauflegen schwere Krankheiten heilen können. Nachbarländer wie die Niederlande investieren wesentlich mehr Geld in den Strafvollzug als die Bundesrepublik, doch Justiz und Polizei allein sind ohnehin bei der Bekämpfung der Kriminalität überfordert. Deswegen wünscht sich Henning Köster neben mehr Personal vor allem eine Verbesserung der Vor- und Nachsorgesysteme. Ohne deren Optimierung hat der Bochumer Gefängnisdirektor nur wenig Hoffnung auf einen Abbau der Kriminalität.

O-Ton:

"Es gibt Gefangene, die müssen auch draußen etwas getreten werden. Wenn sie quasi sich selbst überlassen sind, dann passiert eben gar nichts oder sie machen wieder Straftaten."



Fragen zum Text

Die Wärter in der Krümmede tragen während ihrer Arbeit …

1. Schusswaffen.

2. keine Waffen.

3. Schlagstöcke.

Die Redewendung Wie man in den Wald ruft, so schallt es wieder heraus bedeutet:

1. man hört ein Echo im Wald.

2. man bekommt das Verhalten gespiegelt, das man zeigt.

3. es steht jemand im Wald, der einem dieselben Worte zuruft.

In der Umgangssprache wird ein Gefangener als … bezeichnet.

1. Hafti.

2. Knasti.

3. Knacki.

Arbeitsauftrag

In Deutschland gibt es in den meisten Gefängnissen einen geregelten Alltag. In Werkstätten werden Gefangene auf die Zeit nach Ende ihrer Haftstrafe vorbereitet. Schreiben Sie ein Referat, in dem Sie unter anderem beschreiben, wie der Alltag eines Gefangenen in Ihrem Land aussieht und welche Resozialisierungsmaßnahmen es gibt.

Autor: Nils Naumann

Redaktion: Beatrice Warken