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Vitalis letzte Hoffung?

Mareike Aden, Moskau19. Februar 2013

Ein amerikanisches Paar kämpft gegen die russische Justiz, um ein Kind mit Down-Syndrom zu adoptieren. Doch das bestehende Adoptionsverbot für Amerikaner legt den Eheleuten Steine in den Weg.

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Jenny Moyer und Vitaliy, ein russisches Weisenkind mit Down-Syndrom, dasn sie adoptieren möchte. Das Bild gehört Aaron und Jenny Moyer, die DW das Recht gegeben hat, es zu veröffentlichen. Es gilt das Eingabedatum
Bild: Moyer

Aaron und Jenny Moyer haben die lange Reise nach Moskau auf sich genommen, um für das Recht zu kämpfen, ein Kind mit Down-Syndrom adoptieren zu dürfen. Das Paar aus Gainesville im US-Bundesstaat Georgia will den vierjährigen Vitali zu sich nehmen, aber ihre Pläne wurden im vergangenen Dezember durch ein neues russisches Gesetz zerstört, wonach es US-Amerikanern untersagt ist, russische Kinder zu adoptieren. Doch die Moyers wollen nicht aufgeben.

"Wir waren schockiert, als wir gehört haben, dass das Gesetz unterzeichnet ist", sagt Jenny. Sie steht vor dem Gebäude der Duma, dem russischen Parlament, in dem das Adoptionsverbot im Dezember in Rekordzeit entschieden wurde. "Es hat uns das Herz gebrochen, wir haben geweint und gebetet und in gewisser Weise auch getrauert. Nicht unbedingt weil wir geglaubt haben, dass es nun unmöglich geworden ist, aber weil wir wussten, dass es nun viel schwieriger werden würde."

Die Moyers sind Anfang 30 und haben bereits zwei eigene Kinder und eine in Florida adoptierte Tochter im Babyalter. Von Freunden hatten sie von den vielen Waisenkindern in Russland gehört und davon, dass behinderte Kinder besonders schlecht gestellt seien. Anfang März 2012 stellten sie den Adoptionsantrag für Vitali. Es war ihre religiöse Überzeugung, die sie letztendlich dazu veranlasst hat, sich für eine Adoption zu entscheiden.

Das eine Bild zeigt Jenny und Aaron Moyer, ein US-Paar das ein russisches Kind mit Down-Syndrom adoptieren möchte. Es wurde von der freien Mitarbeiterin Mareike Aden in Moskau , Russland gemacht. Es gilt das Eingabedatum
Die Moyers haben die Hoffnung noch nicht aufgegebenBild: Mareike Aden

"Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich gefragt habe: Was, wenn das mein Kind wäre?", erzählt Aaron. "Ich habe mir ein Gesicht vorgestellt - ein Kind ohne Mutter und Vater in einem Waisenhaus. Ich musste einfach anfangen zu weinen. Ich weiß noch, dass ich gerade den Geschirrspüler ausgeräumt habe, als Jenny mir davon erzählt hat, und ich in Tränen ausgebrochen bin."

In Russland landen behinderte oder schwerkranke Kinder oft im Waisenhaus - weil sich ihre Eltern entweder nicht um sie kümmern können - oder nicht wollen. Es gibt etwa 650.000 Waisenkinder in Russland; jedes vierte ist behindert oder leidet an einer Krankheit.

Nach der Überwindung unzähliger bürokratischer Hürden konnten die Moyers Vitali im Oktober 2012 schließlich zum ersten Mal in einem Waisenhaus treffen.

"Sie haben ihn ins Zimmer gebracht und das erste, was er gemacht hat, war, auf uns zuzukommen und unsere Köpfe zu tätscheln", erinnert sich Aaron. "Von da an hatte er uns angenommen und uns Mama und Papa genannt. Er hat uns umarmt und geküsst und hat sich gefreut, wenn wir ins Zimmer kamen. Uns wurde erzählt, dass er sich nach unseren Besuchen verändert hatte, dass er stolzer geworden war, gerader stand und dass auch seine Gesundheit sich verbessert hatte; wahrscheinlich weil er wusste, dass er jetzt zu einer Familie gehört."

Aber das neue Gesetz hat den Adoptionsplänen vorerst ein Ende bereitet. Daher sind die Moyers erneut nach Russland gefahren; in der Hoffung, dass ein Richter zu ihren Gunsten entscheiden wird, dass Vitalis Adoption weiterlaufen kann, da der Antrag ja noch vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes gestellt worden war.

Die einzige Hoffnung

Zwar haben Adoptionen innerhalb Russlands zugenommen, aber die meisten russischen Paare zögern, ein behindertes Kind zu adoptieren, erklärt Valeri Panyuschkin, ein Schriftsteller und Journalist aus Moskau, der sich seit über 15 Jahren in Kinderwohltätigkeitsorganisationen engagiert.

Für Kinder wie Vitali sei die Adoption aus dem Ausland die einzige Hoffnung, sagt er. "In Russland werden diese Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder adoptiert werden und sie bekommen auch nicht die notwendige medizinische Unterstützung", sagt Panyuschkin. "Sie werden in einem Waisenhaus bleiben, bis sie 18 Jahre alt sind, und dann kommen sie in ein Pflegeheim oder eine Nervenklinik - kurz gesagt, in eine Irrenanstalt. Und dann sterben sie beispielsweise mit 20 an einer Lungenentzündung. An diesen Orten leben die Menschen nicht lange."

Über die letzten 20 Jahre wurden rund 60.000 russische Kinder von US-Amerikanern adoptiert. Die größte Welle gab es während der 90er Jahre, als Bilder von verhungerten Kindern in übervölkerten russischen Waisenhäusern die Menschen im Westen schockierten.

Heutzutage sei die Situation in Waisenhäusern wieder viel besser geworden, insbesondere in den größeren Städten, erklärt Panyuschkin. Dennoch fehle es nach wie vor an Zuwendung für die Kinder und an der nötigen medizinischen Langzeitversorgung.

Brücken abbrechen

Dennoch hat der russische Ombudsman für Kinderrechte, Pavel Astakhov, schon eine Initiative gestartet, grundsätzlich jegliche Adoption aus dem Ausland zu verbieten.

Demonstranten in Moskau REUTERS/Sergei Karpukhin (RUSSIA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Zehntausende haben gegen das Vebot protestiert, aber Umfragen zeigen auch eine wachsende UnterstützungBild: REUTERS

"Das richtet sich nicht gegen Amerikaner", erklärt Astakhov gegenüber der Deutschen Welle. "Es ist ein ganz natürlicher Schritt für einen Staat. Die Zeit ist gekommen, dass wir uns selbst um unsere Waisen kümmern. Ich halte dies für eine längst überfällige Entscheidung. Und in Russland müssen wir solche Sachen einfach auf diese Weise durchsetzen: Um eine Veränderung zum Besseren zu bewirken, müssen wir die Nabelschnur durchtrennen: Wir müssen alle Brücken abbrechen, so dass wir keine andere Wahl mehr haben."

Im vergangenen Monat sind Zehntausende auf die Strassen von Moskau gegangen, um gegen das Adoptionsverbot zu protestieren. Im russischen Staatsfernsehen wurden die Demonstranten jedoch als Unterstützer von Kinderhandel dargestellt. Umfragen zeigen, dass in der Tat eine Mehrheit der Russen das Verbot unterstützt - eine Tatsache, der sich Jenny Moyer durchaus bewusst ist.

"Ich weiß nicht, wie ich politisch dazu Stellung nehmen soll, ich bin keine Politikerin", sagt sie. "Ich bin einfach nur eine Mutter."

Zurück in den USA wartet auf die Moyers eine harte Zeit. Die russischen Gerichte haben den Fall erst verzögert und dann fallengelassen. Jenny und Aaron wurden davon unterrichtet, dass Vitali bald in ein Waisenhaus für etwas ältere Kinder verlegt werden soll.

Nun haben die beiden ihre letzte Hoffnung in den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelegt: Vier verschiedene amerikanische Familien haben Klage eingereicht, um das russische Adoptionsverbot anzufechten.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Moskau einlenken wird. Am Montag twitterte Ombudsman Astakhov, dass ein dreijähriger adoptierter russischer Junge über Jahre hinweg Psychopharmaka bekam, bevor er Ende Januar von seiner amerikanischen Adoptivmutter in Texas zu Tode geprügelt wurde.