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Interview Perthes

16. Dezember 2011

Bis zum Jahresende sollen die noch verbliebenen 4000 US-Soldaten aus dem Irak abgezogen werden. Für das Land bleiben eine ganze Reihe von Herausforderungen, meint Nahost-Experte Volker Perthes.

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Der Nahostexerte Volker Perthes (Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik)
Bild: Stiftung Wissenschaft und Politik

DW-WORLD.DE: US-Präsident Barack Obama hat den Irak-Krieg für offiziell beendet erklärt. Was bedeutet das für den Irak?

Volker Perthes: Das bedeutet, dass die irakischen politischen Eliten und die verschiedenen Teilnehmer des politischen Spiels im Irak jetzt selbst verantwortlich sind für ihr Land – und das ist keine einfache Herausforderung. Man hat ja in den vergangenen neun Jahren die Verantwortung für alles, was schief lief – auch für den Bürgerkrieg im Irak – immer auf die Amerikaner schieben können. Die haben tatsächlich viel Verantwortung und Schuld getragen. Aber es waren letztlich auch irakische Fraktionen und Gruppen, die aufeinander losgegangen sind.

Inwiefern steht der Irak denn sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen?

Er steht schon auf eigenen Füßen. Es ist ja nicht so, dass man die amerikanische Armee heute wirklich bräuchte, um etwa eine externe Gefahr abzuwenden. Und man bräuchte auch keine amerikanische Armee, um mit der inneren Instabilität umzugehen – zuletzt hatte die US-Armee auch immer weniger Aufgaben in diesem Bereich. Hier stellt sich vielmehr die Frage, ob das politische Format hält; ob die politischen Gruppen, Fraktionen, Parteien, die Stammes- und Regionalvertreter sowie die ethnischen Vertreter sich darauf einigen können, zumindest an den formalen Regeln der Demokratie festzuhalten und alle partizipieren zu lassen anstatt einzelne Gruppen auszuschließen. Diese Gefahr besteht in der politischen Dynamik des Irak allerdings durchaus.

In den vergangenen Monaten haben wir eine große Protest- und teilweise auch Demokratie-Bewegung in der arabischen Welt beobachtet. Kann man Irak da als Vorreiter betrachten?

In keiner Weise. Hier ist ja nun der Versuch gemacht worden, Demokratie von außen durch den Einmarsch der US-Armee und ihrer Verbündeten zu etablieren – und das ist erst einmal gründlich schief gegangen. Denn es hat zwar zur Verabschiedung einer demokratischen Verfassung, aber dann eben auch zu einem jahrelangen Bürgerkrieg geführt. Das hat wahrscheinlich sogar Demokratisierungsprozesse in anderen Ländern der Region aufgehalten, weil man aus Syrien oder aus Ägypten heraus nach Irak geguckt hat und gesagt hat: Wenn das, was im Irak stattfindet – ich denke an die Zustände der Jahre 2004/2005 bis etwa 2008 – dann ist uns unser eigener Autoritarismus doch noch lieber.

Der Irak ist zurzeit sehr stark mit sich selbst beschäftigt und kann insofern überhaupt keine Stabilität in die Region projizieren. Es gibt eine demokratische Verfassung, aber von innerparteilicher Demokratie hat man auch in den regierenden irakischen Parteien wenig gehört. Die Regierung von Ministerpräsident Maliki neigt außerdem eher dazu, andere wichtige Gruppen auszuschließen, als zu integrieren.

Der irakische Ministerpräsident muss sich zurzeit auch mit anderen Konflikten in der Region beschäftigen, zum Beispiel mit der Lage in Syrien. Dort scheint der Irak immer ein bisschen das Zünglein an der Waage zu sein, weil noch nicht ganz klar ist, in welche Richtung sich der Irak orientieren wird: in Richtung Saudi-Arabien oder in Richtung Iran?

Zurzeit ist der iranische Einfluss sehr viel deutlicher. Das hat ein Stück weit, aber nicht nur, mit der konfessionellen Komposition des arabischen Bevölkerungsteils im Irak zu tun, also mit dem nicht-kurdischen Bevölkerungsteil. Da haben wir mehr als 70 Prozent schiitische Muslime und nur eine Minderheit sunnitische Muslime. Der iranische Einfluss im schiitischen Bevölkerungsteil ist größer und damit auch der auf die Regierung Maliki, auf Herrn Maliki selbst und auf seine Partei. Das ist eine gewisse historische Ironie: dass Herr Maliki nun gleichzeitig der beste Verbündete Irans im Irak ist, so wie er über die letzten Jahre der beste Verbündete der USA im Irak war.

Was bedeutet das in der Praxis für ihn?

Das bedeutet, dass er versucht, iranische Interessen im Auge zu haben. Er will Iran und das mit Iran verbündete syrische Regime nicht vor den Kopf stoßen. Das zeigt sein Lavieren in der Arabischen Liga, wo der Irak eben nicht mit der Mehrheit der anderen arabischen Staaten für Sanktionen gegen Syrien gestimmt hat. Man weiß, dass Iran ein Nachbar ist, den man braucht, mit dem man nicht im Streit leben will; man weiß aber auch, dass man Saudi-Arabien und die Türkei braucht, die anderen großen wichtigen Nachbarn. Die sind vor allem aus ökonomischen Gründen wichtig für den Irak, aber Iran ist hier der stärkste geopolitische Akteur, und dessen Interessen berücksichtigt man.

Was sind die größten Herausforderungen für den Irak in den kommenden fünf Jahren?

Die allergrößte Herausforderung ist die politische Konsolidierung. Idealerweise wäre das eine innere demokratische Konsolidierung. Wenn dies zu schwierig ist, weil die meisten Akteure wenig demokratische Erfahrung haben, dann müsste es zumindest eine innere politische Konsolidierung sein, die darauf setzt, alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte einzubeziehen. Die größte Gefahr liegt darin, dass wichtige Gruppierungen sich weder an der Macht noch an den Ressourcen beteiligt fühlen.

Die zweite große Herausforderung ist sicherlich der soziale Aufbau. Den wirtschaftlichen Aufbau habe ich hier nicht genannt, weil der Irak seit einigen Jahren wieder dabei ist, mehr Öl zu produzieren und das Vorkriegssniveau praktisch schon erreicht hat. Das heißt, eine ökonomische Grundlage oder zumindest eine finanzielle Grundlage gibt es. Es geht aber darum, das Geld auch so zu verteilen, dass es auch soziale Sicherheit für die irakische Bevölkerung gibt.

Die dritte Herausforderung liegt auf außen- und regionalpolitischer Ebene: Für den Irak, wenn er sich in Ruhe entwickeln soll, wird es wichtig sein, dass er ein gutes Verhältnis mit allen seinen Nachbarn hat. Das wird nicht immer leicht sein, wenn man selbst ein Stück weit der Austragungsort von geopolitischen Konflikten der Nachbarn ist.

Prof. Dr. Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Das Interview führte Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz