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Harte Fronten: Nicht nur Briten drohen mit Veto

Bernd Riegert22. November 2012

Ratspräsident Van Rompuy riet den Teilnehmern des EU-Gipfels vertraulich, drei Hemden mitzubringen. Er rechnet offenbar mit langen Verhandlungen um den EU-Haushalt: drei Tage, drei Nächte.

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Drei Herrenoberhemden in einem Hotelschrank. (Foto: Bernd Riegert, DW)
Bild: DW

Offiziell ist der EU-Gipfel wie immer für rund eineinhalb Tage angesetzt. Donnerstagabend bis Freitagmittag. Eine Übernachtung und ein frisches Hemd würden also eigentlich reichen. Van Rompuy und viele Staats- und Regierungschefs rechnen aber mit zähen Verhandlungen bis mindestens Samstag, heißt es von Vertrauten des Ratspräsidenten. Nur offen zugeben mag er das nicht, weil das ja so aussehen könnte, als sei die Europäische Union zerstritten und nicht handlungsfähig. Das Ritual mit der Hemden-Zählung entstand vor zwölf Jahren beim legendären Gipfel im französischen Nizza. Damals ging es um eine Reform der EU und die Ost-Erweiterung. Und auch um Geld. Das Treffen zog sich über fünf Tage. Zwei Tage waren geplant. Erst ging den meisten die frische Wäsche aus, dann wurde sogar die Verpflegung knapp, erinnern sich erfahrene EU-Diplomaten, die in Nizza dabei waren.

Streit um 1000 Milliarden

Die Fahrgäste der Brüssler U-Bahn wissen übrigens mehr als die offiziellen Verlautbarungen zum Gipfelfahrplan hergeben. Auf den Anzeigetafeln an den Bahnsteigen steht in drei Sprachen, Französisch, Niederländisch und Englisch "Wegen des EU-Gipfels vom Donnerstag bis zum Samstag werden folgende Buslinien umgeleitet…" Samstag! Alle sieben Jahre erlebt die EU diese Marathon-Gipfel. Sieben Jahre gilt der mehrjährige Finanzrahmen der EU, der die maximale Höhe der gemeinschaftlichen Ausgaben festlegt. Von 2014 bis 2020 sollen es nach dem umstrittenen Entwurf der EU-Kommission 1035 Milliarden Euro sein. Die Steigerungsraten sind nach Ansicht des Haushaltsexperten des Europäischen Parlaments, Reimer Böge (CDU), eher moderat. Den meisten Einzahlern in den EU-Haushalt ist das allerdings zu viel. Deshalb hat EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy schon vor Beginn des Gipfeltreffens Kürzungen im Bereich von 75 Milliarden Euro vorgeschlagen.

Anzeigetafel U-Bahn Brüssel. Die Anzeige weist darauf hin, dass vom 22.11. bis 24.11 mit Umleitungen und Verkehrsbehinderungen wegen des EU-Gipfels zu rechnen ist. Offiziell soll der Gipfel nur bis zum 23.11. dauern. Die U-Bahnverwaltung weiß offenbar mehr. (Foto: Bernd Riegert, DW)
Gipfel-Fahrplan in der Brüsseler U-Bahn: Samstag inklusiveBild: DW

Alle müssen Ja sagen

Der britische Premierminister David Cameron wies diesen Ansatz beim Betreten des Ratsgebäudes brüsk zurück. "Ich bin überhaupt nicht glücklich. Wir werden hart verhandeln im Sinne der britischen und europäischen Steuerzahler", sagte Cameron nicht zum ersten Mal. Die britische Regierung will 200 Milliarden Euro, also rund 20 Prozent des Haushalts streichen. Cameron droht mit einem Veto. Der mehrjährige Haushalt kann nur einstimmig verabschiedet werden. Der störrische Brite muss also überzeugt werden. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man sie überzeugen kann", sagte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker mit einem Lächeln. "Aber die Briten werden sich überzeugen lassen müssen."

Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, dessen Land ebenfalls Netto-Einzahler in den EU-Haushalt ist, will den schwedischen Rabatt auf die Mitgliedsbeiträge verteidigen. "Alles andere wäre ungerecht", so Reinfeldt. Deshalb hat er auch Verständnis für den britischen Kollegen Cameron, der den britischen Rabatt mit Zähnen und Klauen verteidigen will. Drei weitere EU-Staaten, auch Deutschland, erhalten als Netto-Einzahler Rabatte. "Darum wird es lange Debatten geben", sagte Reinfeldt voraus. Auch vor sieben Jahren beim letzten Haushaltsdrama ging es um den Briten-Rabatt. Premier Tony Blair verteidigte ihn halbwegs. Der Durchbruch wurde erst beim zweiten Anlauf erreicht, weil die damals neue Bundeskanzlerin Angela Merkel frisches Geld auf den Tisch legte und zwischen Polen und dem Rest der EU vermitteln konnte.

Baustelle EU. Baustellenschild vor einer Baustelle am Rond point Schuman, Brüssel. Im Hintergrund das Gebäude des Europäischen Rates, Ratsgebäude Justus Lipsius, Aufgenommen am (Foto: Bernd Riegert, DW)
Großbaustelle EU: Am Ratsgebäude wurden tiefe Gräben aufgerissen. Drinnen wird um Milliarden gerungen.Bild: DW

Rabattschlacht in Brüssel

Mit der Veto-Keule drohte diesmal bislang öffentlich nicht nur der britische Premier, auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande droht mit einem Nein, falls die Agrarsubventionen gekürzt werden. Von diesem größten Posten im EU-Haushalt profitieren vor allem französische Bauern. Spanien und Lettland wiederum lehnen Kürzungen bei den Fördermitteln für die ärmeren Regionen ab, weil sie in diesem Bereich reichlich bedacht werden. So hat fast jeder der 27 Staats- und Regierungschefs ein eigenes Anliegen, das irgendwie im Haushalt untergebracht werden muss.

Pater Herman nimmt die Beichte ab

Vor Beginn der großen Verhandlungsrunde im Sitzungssaal im obersten Stockwerk des Ratsgebäudes hatten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Barroso jeden der Staats- und Regierungschefs zu einem Einzelgespräch in einen kleinen Raum einbestellt. "Beichtstuhlverfahren" nennen das die Brüssler EU-Diplomaten. Beichtvater Rompuy will so herausfinden, wo rote Linien drohen oder Zugeständnisse möglich sind. Für die Beichtstuhl-Gespräche hatte jeder Staats- oder Regierungschef allerdings nur 20 Minuten Zeit. Trotzdem dauerte dieser vorgeschaltete Beichtstuhl fast neun Stunden. Einer der ersten im Beichtstuhl war am Donnerstagmorgen der Brite Cameron, eine der letzten war Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das größte Netto-Zahlerland vertritt. Auch für Freitag hat Ratspräsident Van Rompuy "Beichtstühle" angesetzt. Während dieser Zeit haben dann die meisten Staats- und Regierungschefs nichts zu tun und treffen sich zu bilateralen Gesprächen, um ihre Verhandlungstaktik abzustimmen. Oder sie fahren kurz in die Brüsseler Innenstadt, um einzukaufen oder ein Nickerchen zu machen, meinte ein EU-Diplomat, der lieber nicht genannt werden will. "Nichts hassen die wichtigen Regierungschefs so sehr wie Warten. Je länger es dauert, desto mürber werden sie", beschreibt der Diplomat die Verhandlungsführung der Ratspräsidentschaft.

Herman Van Rompuy, EU-Ratspräsident mit einer Lampe über dem Kopf, die aussieht wie ein Heiligenschein. (Foto: Reuters)
Herman van Rompuy: Noch kein HeiligenscheinBild: Reuters

Gipfel mit Dramaturgie

Die Feinarbeit für den Haushalt haben die 27 Delegationen der Mitgliedsstaaten, die EU-Kommission und das Europäische Parlament, das zustimmen muss, längst geleistet. Der EU-Gipfel ist jetzt die Bühne für die Chefs, um zu beweisen, dass sie das Letzte geben, um die Interessen ihrer Bürger und Wähler zu wahren. "Das Publikum braucht die Gewissheit, dass echt an die Grenze gegangen wurde. Stellen Sie sich vor, die Chefs wären alle wieder nach einer Stunde raus und würden sagen: Das war's. Dann würde niemand glauben, dass alles rausgeholt wurde, was drinlag", sagte der Politik-Berater Matthias Schranner schon beim vorletzten EU-Gipfel im Juni dem Schweizer "Tagesanzeiger". Schranner leitet das "Institut für Verhandlungsführung" in Zürich. Die EU-Gipfel folgen immer einer bestimmten Dramaturgie. Je länger die Sitzung, je früher die Stunde, desto dramatischer der Durchbruch, rechnet ein erfahrener EU-Diplomat vor. Die wenigsten der Gipfelteilnehmer haben mit Verhandlungen über den Sieben-Jahre-Haushalt Erfahrungen. Beim letzten Mal im Dezember 2005 waren aus der heutigen Riege nur Bundeskanzlerin Merkel, Luxemburgs Premier Juncker und die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite dabei. Die war damals noch EU-Haushaltskommissarin und deshalb sehr tief in das Zahlenwerk eingedrungen.

Gipfel bis Montag?

Aus der deutschen Delegation hieß es vor Beginn des Gipfels, wenn es kein Ergebnis geben würde, sei das kein Beinbruch. Der EU-Abgeordnete Reimer Böge, der im Haushaltsausschuss sitzt, hat ebenfalls keine großen Sorgen. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs nicht einigen, dann gelte einfach der alte Haushaltsplan weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach im Brüssel vorsorglich von "einer zweiten Etappe", die vielleicht nötig sei. "Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Union", so Frau Merkel, aber die Ausgaben müssten in Zeiten der Krise begrenzt werden. Der schwedische Premierminister Fredrik Reinfeldt antwortete auf eine Reporterfragen nach der mutmaßlichen Länge dieses Gipfeltreffens: "Ich habe Zeit." Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann ging auf Nummer Sicher. Er hat fünf Hemden dabei. "Ich bin vorbereitet für Sonntagabend oder auch für Montag."