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Der eigentliche Wahlgewinner

Günther Birkenstock23. Januar 2013

Premier Netanjahu wurde bei der Parlamentswahl abgestraft. Der Politneuling Jair Lapid machte einen Senkrechtstart und legt sich mit den Orthodoxen an.

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Der Politiker Jair Lapid spricht mit ausgebreiteten Armen auf einer Tribüne (Foto:AP/dapd)
Bild: AP

"Sie würden ihn wählen, ganz gewiss", schrieb die Süddeutsche Zeitung vor der Wahl über die Haltung der israelischen Bevölkerung zu Jair Lapid. Die Zeitung hat recht behalten. Bei der Wahl zum israelischen Parlament am 22. Januar hat die säkular-liberale Partei Yesch Atid (Es gibt eine Zukunft) des Politneulings Lapid aus dem Stand 19 von 120 Sitzen geholt und wurde damit zweitstärkste Kraft. Eine politische Sensation. Der Likud-Block von Premier Benjamin Netanjahu verlor dagegen elf Sitze und kommt nur noch auf 31 Mandate. Ein Bündnis nur aus Parteien des national-religiösen rechten Lagers hätte damit keine Mehrheit mehr. Netanjahu wird also eine Koalition mit verschiedenen Lagern bilden müssen.

Jair Lapid ist ein medialer Tausendsassa. Viele kennen ihn aus dem israelischen Fernsehen. Dort moderierte er im Sender "Channel 2" das meistgesehene Nachrichtenmagazin des Landes. Außerdem war er Autor einer Kolumne der auflagenstarken Zeitung Jedioth Ahronot. Und der 49-Jährige sieht nicht nur aus wie ein Filmstar, er hat auch als Schauspieler gearbeitet, Theaterstücke und TV-Serien geschrieben, ja sogar Kinderbücher verfasst. 

Anhänger der israelischen Partei Yesch Atid umarmen sich nach dem Wahlerfolg der Partei (Foto: Reuters)
Freude über den Wahlerfolg bei der jungen Partei Yesch AtidBild: Reuters

Wie die Eltern, so der Sohn

Beim Blick auf sein Elternhaus wird klar: Lapdis Talente scheinen nicht von ungefähr zu stammen. Seine Mutter Shulamit Lapid ist eine bekannte Schriftstellerin, die schon mehrere Romane und Kinderbücher veröffentlicht hat. Als Krimi-Autorin hat sie sich auch in Deutschland einen Namen gemacht. Sein 2008 gestorbener Vater Josef "Tommy" Lapid war ein Holocaust-Überlebender und wurde in Israel als Journalist erfolgreich. In den 1990er Jahren wechselte er in die Politik und brachte es bis zum Justizminister und Vize-Premier Israels. Kennzeichnend für ihn waren eine liberale und antireligiöse Haltung. Standpunkte, die auch das politische Credo seines Sohnes bestimmen.

Projektionsfläche für Hoffnungen

Schon seit mehreren Jahren hatte Jair Lapid mit dem Gedanken gespielt, vom Journalismus in die Politik zu wechseln. Im Januar 2012 kündigte er dann beim Fernsehen und wurde Chef der Yesch Atid. Den überraschenden Wahlerfolg führt der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, Marc Berthold, vor allem auf Lapids Rolle als Hoffnungsträger zurück: "Er hat viel Straßenwahlkampf gemacht und auf ruhigere Themen gesetzt. Zum Schluss hat er davon profitiert, dass noch 20 Prozent der Bevölkerung bis kurz vor dem Wahltag unentschlossen waren." Lapid habe den Israelis von allen Kandidaten die größte positive Projektionsfläche geboten, sagt Berthold im Gespräch mit der DW, weil nur wenig über seine politischen Ziele bekannt war. "In viele heikle Debatten hat er sich nicht so stark eingemischt, wie zum Beispiel beim israelisch-palästinensischen Konflikt."

Marc Berthold, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv (Foto: Böll-Stiftung)
Lapid sei ein glaubwürdiger Politiker, meint der Leiter der Heinrich-Böll-StiftungBild: Marc Berthold

Soziale Gerechtigkeit im Vordergrund

Stattdessen habe Lapid auf Themen gesetzt, die aus dem Rahmen fielen, betont Stiftungsleiter Marc Berthold. Er forderte, die Befreiung vom Militärdienst für Strenggläubige aufzuheben und die finanziellen Privilegien der Ultraorthodoxen abzuschaffen. Sein Thema war die soziale Gerechtigkeit. Während Premier Benjamin Netanjahu darauf setzte, die Bedrohung durch den Iran in den Vordergrund zu stellen und seinen Likud-Block als Garant für Sicherheit darzustellen, sprach Jair Lapid über die Last der Staatsverschuldung und die Schwächen des Erziehungssystems.

Lapids Stil könne man zwar als pragmatisch und wenig risikofreudig bezeichnen, so Berthold, dennoch stehe der Politik-Neuling zu seinen Überzeugungen, auch in der Debatte über den Konflikt mit den Palästinensern. "Er will eine Zwei-Staaten-Lösung. Die kann es aber nur geben, wenn Jerusalem komplett in israelischer Hand bleibt." Damit habe Lapid politische Pflöcke eingeschlagen, auch wenn er sich nie konkret zu Grenzen oder zur Räumung von Siedlungen geäußert hat.

Einfluss durch Kompromisse

Lapid selbst sieht sich als Stimme der israelischen Mittelschicht. Während des Wahlkampfs betonte er auch im Interview mit der DW seine Forderung nach einer gleichen Lastenverteilung für alle. Gleichzeitig zeigt er sich kompromissbereit. Schon vor der Wahl hatte er eine Regierungskoalition mit dem konservativen Premier Netanjahu nicht ausgeschlossen. Es sei schlecht für Israel, wenn das Land eine Regierung bekäme, die nur von Rechten und Ultra-Orthodoxen bestimmt würde. "Wir brauchen eine Regierungskoalition, die alle Kräfte umfasst.“

Portrait von Yair Lapid (Foto: AP)
Erfolgreich auf allen Ebenen - der Journalist, Autor und jetzt Politiker Jair LapidBild: AP