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Debalzewe als erster Test für Minsk II

Roman Goncharenko12. Februar 2015

Nach dem neuen Abkommen von Minsk gehen die Kämpfe um das ostukrainische Städtchen Debalzewe vorerst weiter. Mehrere tausend ukrainische Soldaten sollen dort teilweise eingekesselt sein.

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Zwei Kämpfer in der Ostukraine (Foto: AFP)
Bild: M. Brabo/AFP/Getty Images

"Nun kommt das, was die Russen auszuhandeln versuchen", twitterte ein ukrainischer Diplomat aus Minsk am frühen Donnerstagmorgen. Ohne Debalzewe seien die selbsternannten Republiken Donezk und Luhansk verkehrsmäßig von Kiew abhängig. Dies sei ein Grund dafür, dass die Verhandlungen in Minsk besonders lange gedauert hatten. Details nannte er nicht.

Der 25.000-Seelen-Ort Debalzewe in der Ostukraine dürfte zum ersten Test für die neu ausgehandelte Waffenruhe zwischen der ukrainischen Regierung und den prorussischen Separatisten werden. In Medien ist von Minsk II die Rede. Es wurde wie das im September 2014 ausgehandelte erste Waffenstillstandsabkommen in der weißrussischen Hauptstadt unterzeichnet.

Strategischer Verkehrsknotenpunkt

Beobachter gehen davon aus, dass die Kämpfe um Debalzewe zunächst andauern werden. Denn die Waffenruhe tritt erst am Sonntag in Kraft. In den ersten Stunden nach den neuen Minsker Vereinbarungen meldete die Regierung in Kiew in der Tat weitere Kämpfe um das Städtchen.

Debalzewe liegt tief in der ostukrainischen Provinz, rund 70 Kilometer nordöstlich von der Millionenstadt Donezk. Anders als Donezk wird Debalzewe jedoch nicht von den Separatisten, sondern von der ukrainischen Regierung kontrolliert. Seit Monaten versuchen diese, die Stadt einzunehmen. Sie ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, denn dort verläuft die Eisenbahnstrecke, die die Separatistenhochburgen Donezk und Luhansk verbindet.

Wichtige Landstraße abgeschnitten

Seit Ende Januar behaupten die Separatisten, bis zu 8000 ukrainische Soldaten um Debalzewe eingekesselt zu haben. Das bestätigte in Minsk auch der russische Präsident Wladimir Putin. Er bezweifle die Darstellung der ukrainischen Regierung, wonach es keine Einkesselung gebe. Der Kremlchef sagte, die Separatisten würden nun eine Waffenniederlegung von Seiten der ukrainischen Kämpfer bei Debalzewe erwarten. Kiew gab am Donnerstag zu, die Separatisten hätten eine Landstraße nach Debalzewe abgeschnitten. Die Versorgung der eigenen Truppen sei aber über Feldwege gesichert.

Der russische Präsident Putin auf der Friedenskonferenz in Minsk (Foto: EPA)
Putin auf der Konferenz in MinskBild: picture-alliance/dpa/A. Zemlianichenko

In den Minsker Vereinbarungen wird Debalzewe nicht erwähnt. Es heißt lediglich, die Separatisten und ukrainische Regierungstruppen sollen schwere Waffen abziehen. Eine bis zu 50 Kilometer breite Sicherheitszone soll entstehen. Wo genau die Trennlinie verlaufen soll, ist unklar. Die Separatisten konnten in den vergangenen Wochen große Landgewinne um Debalzewe erzielen.

Sorge um Zivilisten

Es sind nicht nur die ukrainischen Soldaten, um die sich die Regierung in Kiew Sorgen macht. Die Bewohner von Debalzewe stehen seit Wochen unter Dauerbeschuss. "Meine vierjährige Enkelin und ich lebten zwei Wochen lang in einem Keller, es war feucht und dreckig", erzählt eine Frau namens Jewhenia aus Debalzewe im DW-Gespräch. "Es gab dort viele andere Kinder, auch Säuglinge."

In dem unterirdischen Unterschlupf gibt es keinen Strom, das Essen wird auf offenem Feuer gekocht. "Wasser habe ich aus einem Bach im naheliegenden Wald geholt", sagt Jewhenia. Jeder Gang dahin war lebensgefährlich, denn der Wald wurde von der Artillerie beschossen. Jewhenia und ihre Enkelin hatten Glück. Sie konnten Debalzewe Anfang Februar verlassen.

Gefangen in Kellern

Die Lage der Bewohner sei katastrophal, sagte ein ukrainischer Freiwilliger, der anonym bleiben möchte. Zusammen mit anderen hilft er, die Bevölkerung in Debalzewe mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. "Die Menschen leben nicht mehr in ihren Wohnungen, sondern nur noch in Kellern. Es gibt dort auch Verwundete. Krankenhäuser und Apotheken haben geschlossen."

Olexander Horbatko, Leiter der Nichtregierungsorganisation "Donbass SOS", bestätigte das. Die Lage in der Stadt sei in Wirklichkeit dramatischer, als die ukrainischen Behörden zugäben. "Da es keine Telefonverbindung gibt, sind die Leute von der Außenwelt abgeschnitten", erzählte Horbatko der DW. "Nur einzelne Menschen bekommen humanitäre Hilfe, Lebensmittel und Wasser werden nur in die Stadtmitte geliefert."

Busse für Flüchtlinge aus Debalzewe (Foto: Reuters)
Busse für Flüchtlinge aus DebalzewoBild: Reuters/M. Shemetov

Korridor für Flüchtlinge

Anfang Februar vereinbarten die ukrainische Regierung und die Separatisten einen Korridor, um Zivilisten aus Debalzewe mit Bussen in andere Teile der Ukraine auszufahren. Doch nur wenige konnten diese Gelegenheit nutzen. Wie viele Zivilisten noch in der Stadt bleiben, ist unklar. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief am Donnerstag in einer Presseerklärung dazu auf, die Zivilbevölkerung aus Debalzewe fliehen zu lassen.

Einen ähnlichen Appell richtete auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an die Konfliktparteien. Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik der Bundestagsfraktion der Grünen, warnte vor einer "humanitären Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes". Jeder Gesprächskanal müsse genutzt werden, "um den drohenden Tod tausender Menschen zu vermeiden", erklärte sie.

Jewhenia ist mit ihrer Enkelin bei einer Freundin in der Stadt Artemiwsk untergekommen. Der Krieg ist für sie "wie der schlimmste Albtraum". Sie fragt sich immer wieder, wann der Himmel über der Ostukraine endlich wieder friedlich sein wird.