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Humanitäre Lage in Syrien

Cornelia Wegerhoff5. Oktober 2013

Der UN-Sicherheitsrat hat von der syrischen Führung einen besseren Zugang für humanitäre Helfer verlangt. Organisationen vor Ort sind skeptisch - mit Erklärungen ließen sich keine Menschenleben retten.

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Dr. Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, behandelt syrische Flüchtlinge, die über die Grenze in den Irak geflohen sind (Foto: Ärzte ohne Grenzen)
Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen bei der Behandlung von syrischen FlüchtlingenBild: Ärzte ohne Grenzen

Die Forderung des UN-Sicherheitsrates klingt unmissverständlich. Die Regierung von Machthaber Baschar al-Assad werde aufgerufen, "sofortige Schritte" zu unternehmen, um eine Ausweitung der Hilfsaktionen für die syrische Bevölkerung zu ermöglichen. Es werde ein besserer Zugang für humanitäre Helfer verlangt. Dazu zähle die Aufhebung von "bürokratischen Hürden und anderen Hindernissen".

Helfer riskieren ihr Leben

Hassan Ahmed muss beim Blick auf diese Formulierung den Kopf schütteln. Zu viele Menschen hätten ihren Hilfseinsatz im Bürgerkriegsland Syrien bereits mit dem Leben bezahlt und seien nicht nur an "Hindernissen" gescheitert.

Auch in diesen Tagen ist der gebürtige Syrer wieder in großer Sorge um Leib und Leben von Freunden. Hassan Ahmed ist Sprecher des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte mit Sitz im hessischen Weiterstadt. Einige Mitglieder versuchen gerade, per Lastwagen Medikamente und medizinisches Material über die syrisch-türkische Grenze nach Aleppo zu bringen. "Man weiß nicht, wann geschossen wird. Man weiß nicht, wie der Soldat am Checkpoint gelaunt ist. Und dann kann es wirklich sein, dass der Lkw-Fahrer mit seinem Leben dafür bezahlt."

Rotkreuz-Konvoi in Aleppo (Foto: Ammar Abd Rabbo/ABACAPRESS.COM)
Rotkreuz-Konvoi in AleppoBild: picture-alliance/acaba

Das Assad-Regime lehnt Hilfsmissionen aus dem Ausland bisher kategorisch ab. Die Begründung: Durch die Lieferungen bekämen auch die Rebellen Nachschub. Hassan Ahmed glaubt nicht, dass die UN-Erklärung an dieser Haltung etwa ändern kann: "Das klingt gut und schön. Man hört öfter von solchen Forderungen, aber nichts passiert", meint er skeptisch. Im Gegensatz zu einer UN-Resolution sei eine UN-Erklärung schließlich völlig unverbindlich. "Die Staaten können das annehmen oder sie können es einfach lassen. Das ist keine konkrete Maßnahme, mit der den Menschen in Syrien wirklich geholfen wird."

Medizin für Untergrund-Klinik in Aleppo

Das versuchen die Mitglieder des Deutsch-Syrischen Vereins unterdessen auf eigene Faust. Unterstützt werden sie dabei vom Medikamentenhilfswerk Action Medeor aus Tönisvorst bei Krefeld, das allein für den Transport nach Aleppo Medizin und Material im Wert von 190.000 Euro zur Verfügung gestellt hat. Damit soll eine Intensivstation ausgestattet werden, die seit Monaten nur noch heimlich betrieben werden kann. Das vorher bestehende Krankenhaus-Gebäude am gleichen Platz in Aleppo wurde von einer Langstreckenrakete zerstört. Seitdem operieren die Ärzte im Keller.

Unter ähnlichen Bedingungen versuchen auch Hilfskräfte von Ärzte ohne Grenzen den Menschen in Syrien beizustehen. Ihr Vorstandsvorsitzender Dr. Tankred Stöbe richtete 2012 in der syrischen Provinz Idlib sogar einen OP-Raum in einer Höhle ein. Im September verbrachte er zuletzt vier Wochen an der syrisch-irakischen Grenze, wo ein Zelt in eine Arztstation umfunktioniert wurde.

Operation in einem improvisierten Lazarett (Foto: Ärzte ohne Grenzen)
Operation in einem improvisierten LazarettBild: Robin Meldrum/Ärzte ohne Grenzen

Chronisch Kranke über Monate unbehandelt

Hunderte syrische Flüchtlinge seien dort jeden Tag über die Grenze gekommen. Aber nicht nur die Bomben-Angriffe auf ihre Heimatorte, sondern auch die mangelhafte medizinische Versorgung dort trage dazu bei, dass die Menschen ihr Land verlassen, erklärt Tankred Stöbe. Allein über die Hälfte aller syrischen Krankenhäuser sollen im Krieg zerstört oder beschädigt worden sein.

"Die Menschen haben mir berichtet, dass sie monatelang keine Medikamente mehr einnehmen konnten, keinen Arzt mehr hatten. Viele Mediziner haben ja auch das Land verlassen", so der Chef von Ärzte ohne Grenzen. Und bei chronisch Kranken, wie Diabetes- oder Bluthochdruckpatienten, könne auch die Nichtbehandlung zur tödlichen Gefahr werden.

Selbst Rettungswagen werden attackiert

Ärzte ohne Grenzen unterhält derzeit sechs Kliniken im Norden Syriens, in den von Rebellen kontrollierten Gebieten. Die Organisation unterstütze aber auch Dutzende Kliniken in anderen Teilen des Landes mit Medikamenten und medizinischem Material. "Offiziell nach Syrien einreisen dürfen wir nicht", bestätigt Tankred Stöbe die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Assad-Regimes.

Zerstörte Schule in Raqqa im östlichen Syrien (Foto: Reuters)
Zerstörte Schule in Raqqa im östlichen SyrienBild: Reuters

"Aber auch dort, wo wir arbeiten können, sind die Sicherheitsbedingungen katastrophal. Wir müssen unsere Mitarbeiter immer wieder zurückziehen, tageweise, wochenweise. Wir arbeiten in Kellern, in Zivilhäusern, in Höhlen. Wir müssen unsere Arbeit verstecken, weil wir sonst angegriffen werden."

Ein Chirurg von Ärzte ohne Grenzen wurde im September erschossen. Selbst Rettungswagen werden attackiert. "Jedes sich bewegende Auto ist ein Ziel", berichtet Dr. Stöbe von seinem eigenen Hilfseinsatz. Er und sein Team hätten alle Lichter an den Fahrzeugen abgeklebt: "Alles, was sich bewegt und als medizinisches Team gilt, wird als Feind deklariert."

Humanitäre Pausen als Notlösung

Jens Laerke, Genfer Sprecher der OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs), bestätigt die zahlreichen Angriffe auf humanitäre Helfer in Syrien. Wie von einem Mitarbeiter einer UN-Organisation wohl nicht anders zu erwarten, begrüßt er die Erklärung der Vereinten Nationen. Doch auch Laerke gibt zu, verbindlich sei da bislang nichts.

Er fordert sogenannte "humanitäre Pausen” im syrischen Bürgerkrieg. Das wüde bedeuten, dass die Kämpfe wenigstens für einen bestimmten Zeitraum unterbrochen werden. "Damit wir reinkönnen, die Menschen erreichen und ihnen die Hilfe bringen können, die sie brauchen.”