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GEW kirisiert Testeritis an Schulen

Karl-Heinz Heinemann15. Mai 2014

Lehrer sind unzufrieden, Gewerkschaften protestieren: Anlässlich des zehnten bundesweiten Vergleichtests "VerA" haben sie in einem Manifest die "Testiritis" an deutschen Schulen angeprangert.

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Schüler schreiben (Foto: Armin Weigel/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Dieser Tage sitzen sie wieder über ihren Aufgabenblättern: Acht- bis neunjährige Schüler aller dritten Grundschulklassen. Getestet werden ihre Kenntnisse in Mathematik und in Deutsch, und das bundesweit mit den gleichen Aufgaben. Für die Kinder eine Art Klassenarbeit, für die Lehrer dagegen ein jährliches Dilemma. Sie sehen sich als Erfüllungsgehilfen für Testaufgaben, die ihnen von oben übergestülpt werden.

Immer wieder protestieren Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland gegen diese zentralen Leistungsvergleiche. Schon vor drei Jahren haben Pädagogen in Bremen und Berlin zum Boykott aufgerufen. "Die Vergleichsarbeiten verschärfen den Leistungsdruck. Sie belasten Lehrkräfte und Schüler, ohne dass wir in der Umsetzung der Inklusion einen Schritt weiterkommen. Schulen brauchen Unterstützung, keine Testeritis", stellt die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW) Marlis Tepe fest.

Nach dem Pisa-Schock kam VerA

Die sogenannte Vergleichsarbeit (VerA), die jetzt in der Diskussion steht, wird vom IQB, dem Institut für Qualität im Bildungswesen entwickelt, einer Einrichtung der Kultusministerkonferenz an der Berliner Humboldt-Universität. Um das Leseverständnis der Kinder zu überprüfen, bekommen sie Texte, die eine Geschichte erzählen. Dazu gibt es im Multiple-Choice-Verfahren Fragen mit vorgegebenen Antworten. Die Schüler müssen nur noch die richtige Antwort ankreuzen. Die Kritik daran: Es gibt nur noch richtig und falsch, keine Zwischentöne. Getestet wird nur, was leicht messbar ist. Unterschiedliche Voraussetzungen von Schülern werden nicht berücksichtigt.

Drei Emoticons: Lachen, Mittel, Mundwinkel nach unten; darunter Kästchen, um das Betreffende anzukreuzen (Foto: fotolia)
Multiple-Choice nimmt auf Erfahrungswerte keine Rücksicht.Bild: Fotolia/MASP

Die VerA-Aufgaben sind zum Beispiel nicht darauf ausgerichtet, welche Erfahrungen die Kinder mitbringen. Da geht es etwa in einem Text um die Speisenkarte eines Edelrestaurants. Aber: Waren die Kinder überhaupt schon einmal in einem solchen Restaurant? Im Unterricht können die verschiedenen Erfahrungshorizonte der Kinder berücksichtigt werden, aber in einem zentralen Test spielen die individuellen Voraussetzungen der Kinder keine Rolle.

Mehr als 70 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer konnten in den VerA-Ergebnissen keinen Nutzen für ihren eigenen Unterricht entdecken. Und nicht einmal in der Hälfte der Schulen werden die Vergleichsergebnisse genutzt, um die Schule weiterzuentwickeln. Das ist das Ergebnis einer Lehrerbefragung durch die GEW.

Vergleichsarbeiten verschärfen den Leistungsdruck

Seitdem 1997 deutsche Schüler bei einem internationalen Mathe-Vergleichstest schlecht abgeschnitten hatten, häufen sich in Deutschland die Tests und die vermeintlich objektiven Leistungsuntersuchungen. Alle drei Jahre steht eine neue Runde der internationalen PISA-Tests an, die in Deutschland noch einmal verfeinert wurden, um die Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern besser herauszuarbeiten. Der IGLU-Test (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) stellt die Lese- und Schreibleistungen von Grundschülern fest. Regelmäßig überprüft das Berliner IQB in allen Bundesländern, ob die bundesweiten Bildungsstandards eingehalten werden. Und jedes Bundesland hat inzwischen noch eigene Evaluationen - Fragebögen, Schulinspektoren und Leistungsauswertungen. Hinzu kommt, dass sowohl die Abituraufgaben als auch die Prüfungen für den mittleren Schulabschluss nach Klasse 10 landesweit zentral vorgegeben werden.

Schriftzug PISA an einer Tafel (Foto: Armin Weigel dpa/lby)
Der PISA Schock 2001 löste eine Flut von Vergleichstests aus.Bild: picture-alliance/dpa

Lehrer brauchen gute Testergebnisse

Anlass zur Kritik sieht auch Prof. Hans Anand Pant, der Leiter des für die Vergleichsarbeiten verantwortlichen Instituts: "VerA soll Lehrkräften Rückmeldung geben, was ihre Schüler in den beiden wichtigsten Fächern können. Leider aber nutzt in vielen Ländern die Schulaufsicht VerA als Kontrollinstrument gegenüber den Schulen. So war der Test jedoch nicht gemeint." Verglichen werden die Ergebnisse nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Schule zu Schule oder innerhalb der Schulen. Und schließlich werden auch die einzelnen Schülerinnen und Schüler miteinander verglichen.

Margot B., eine Kölner Grundschullehrerin, bestätigt das: "Wir haben unsere Kinder bewusst nicht auf die Testaufgaben vorbereitet, da die Ergebnisse ja unverfälscht sein sollten." Die Folge war, dass die Schüler letztendlich schlechter abgeschnitten haben. "Die Schulaufsicht nahm unsere Schule dann besonders unter die Lupe."

Kritik auch in den angelsächsischen Ländern

Auch international nimmt die Kritik an Schulvergleichen zu. In England und den USA sind solche Tests schon länger üblich und haben noch tiefgreifendere Konsequenzen. Da werden ganze Schulen aufgrund von Testergebnissen geschlossen. "Die Öffentlichkeit hat kein Vertrauen in die Tests", schreibt die US-amerikanische Erziehungswissenschaftlerin Linda Darling-Hammond. In den USA werden nach dem Programm "No Child Left Behind" alle Schulen getestet. Doch durch die Inflation der Tests werde ihre Qualität immer schlechter. In einer Gallup-Umfrage von 2013 gaben nur 22 Prozent der Lehrkräfte an, dass die Tests ihrer Schule geholfen hätten.

Rollstuhlfahrer sitzt am Schülerpult (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)
Vergleichstests bringen Schulen bei der Inklusion nicht weiter.Bild: picture-alliance/dpa

Schweizer Lehrerverbände kritisierten schon 2012, dass Schulleistungstests zu unzulässigen und unzuverlässigen Rankings zwischen den Schulen genutzt würden: "Was können Schulen dafür, wenn sie in sozial benachteiligten Stadtteilen liegen? Wie sollen Lehrpersonen zur Integration und Inklusion motiviert werden, wenn sie hinterher mit durchschnittlich schlechteren Klassenleistungen öffentlich abgestraft werden?" Schüler mit besonderen Problemen verschlechtern die Testergebnisse, also versuchen die Schulen, sie so schnell wie möglich los zu werden, statt sie zu fördern.

Lehrerbeurteilungen sind wichtiger als Vergleichstests

Der Siegener Grundschulpädagoge Prof. Hans Brügelmann bringt das Problem auf den Punk: "An sich ist gegen Tests nichts zu sagen, wenn sie der Lehrkraft helfen können, Stärken und Schwächen einzelner Kinder besser zu erkennen." Leider würden sie in der Öffentlichkeit zum einzig wahren Maßstab erklärt, meint Brügelmann. "Ein Test kann aber niemals die Beurteilung eines Lehrers, die auf jedes Kind individuell zugeschnitten ist, ersetzen."