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Xi Jinpings neues Regierungssystem

Matthias von Hein8. August 2014

Chinas KP setzte in den letzten 30 Jahren auf "kollektive Führung". Staats- und Parteichef Xi Jinping scheint sich davon zu verabschieden. Die Zeichen stehen auf Zentralisierung der Macht und auf Personenkult.

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Xi Jinping in Berlin 28.03.2014 (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Seit 18 Monaten ist Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Amt. In diesen eineinhalb Jahren hat Xi seine Macht nicht nur konsolidiert. Xi hat den Staats- und Parteiapparat in einer Weise umgebaut, die ihm mehr Macht in die Hand gibt als sämtlichen Vorgängern seit Deng Xiaoping. Neben seinen Ämtern als Staatspräsident, Parteivorsitzender, Armeechef und Oberbefehlshaber der Truppen hat Xi sich noch zum Vorsitzenden von gleich fünf mächtigen Sonderkommissionen befördert: Er sitzt dem neu gegründeten nationalen Sicherheitsrat vor, der allen Ministerien übergeordneten zentralen Reform-Führungsgruppe, der Kommission für Internet- und Informationssicherheit, der Kommission für Wirtschaft und Finanzen sowie der Kommission für Landesverteidigung und Armeereform.

Sebastian Heilmann vom Berliner Mercator Institut für China-Studien, MERICS, sieht hier eine grundsätzliche Veränderung: "Wir haben eine Verschiebung der Macht von staatlichen Organen – Staatsrat, Kabinett – hin zu Organen der Parteizentrale, die extra um diesen neuen KP-Generalsekretär herum gegründet worden und ganz auf ihn konzentriert sind."

Rückkehr des Personenkults?

Diese Machtfülle geht mit einem wachsendem Personenkult einher. Das legt jedenfalls eine Studie der Universität Hongkong von Ende Juli nahe. Die Forscher um den Medienwissenschaftler Qian Gang verglichen, wie oft die bislang acht Vorsitzenden von Chinas KP in den ersten 18 Monaten ihrer Amtszeit auf den vorderen Seiten des Parteiorgans "Volkszeitung" erwähnt wurden. Ergebnis: Xi Jinping wurde mehr als doppelt so häufig genannt wie seine Vorgänger Jiang Zemin und Hu Jintao. Auf die Titelseite der "Volkszeitung" schaffte Xi es insgesamt 1311 mal – fast so oft wie Mao mit seinen 1411 Erwähnungen im Vergleichszeitraum.

Xi Jinping an der Spitze des neuen Politbüros (Foto: Reuters)
Ist das Modell "Erster unter Gleichen" nur noch Fassade?Bild: Reuters

Für den China-Beobachter Willy Lam aus Hongkong zeichnet sich hier ein fundamentaler Wandel ab, der das von Deng Xiaoping in den 1980er Jahren eingeführte System der "kollektiven Führung" in Frage stellt.

Ende der kollektiven Führung?

Lam, der Ende des Jahres ein Buch über Xi Jinping veröffentlichen wird, erläutert gegenüber DW.DE im Gespräch: "Früher war der Generalsekretär der Partei lediglich der Erste unter Gleichen. Die anderen Mitglieder des ständigen Ausschusses des Politbüros waren ebenfalls mächtig – mindestens in ihren jeweiligen Fachbereichen. Jetzt tritt Xi Jinping als neuer starker Mann hervor. Er ist jetzt vergleichbar mit Mao." Der Berliner China-Experte Heilmann will nicht ganz so weit gehen, fühlt sich aber durchaus an frühere Zeiten erinnert: "Wir haben jetzt die Situation, dass eine sehr starke Führungsfigur vieles an Entscheidungsmacht an sich gezogen hat und zugleich in der Öffentlichkeit als Leitstern dieses politischen Systems präsentiert wird."

Dieser Eindruck wird noch verstärkt dadurch, dass in chinesischen Buchläden Dutzende Bücher von und über Xi Jinping ausliegen. Viele davon sind Pflichtlektüre für die gut 80 Millionen Mitglieder von Chinas Kommunistischer Partei.

Schlechte Erfahrungen mit Alleinherrschern

Eigentlich hatte China genug von übermächtigen Alleinherrschern. Die ersten 30 Jahre der Volksrepublik China standen im Zeichen des "Großen Vorsitzenden" und "Steuermanns" Mao Zedong: Als Staatsgründer, Parteivorsitzender, Staatspräsident, Stratege und Chefideologe. Reste des streckenweise beispiellosen Personenkultes um Mao sind noch heute unübersehbar, knapp 40 Jahre nach seinem Tod 1976: Das Mausoleum im Zentrum der chinesischen Hauptstadt mit seinem einbalsamierten Leichnam, sein Bild am Eingang zum ehemaligen Kaiserpalast und auf Geldscheinen. Dabei hat Mao mit seinen Kampagnen wie dem sogenannten "Großen Sprung nach vorn" oder der Kulturrevolution den Tod von Millionen Menschen verursacht, gigantische wirtschaftliche Schäden angerichtet und unzählige Kulturgüter unwiederbringlich vernichtet.

Bürger mit Mao-Plakat zum 120. Geburtstag Maos (Foto: Reuters)
Das Andenken an den "großen Vorsitzenden" wird, den Exzessen der Mao-Ära zum Trotz, in Ehren gehalten.Bild: Reuters

Erfolgsrezept Dezentralisierung am Ende?

Nach Maos Tod hatte Reformarchitekt Deng Xiaoping deshalb anstatt auf Personen auf Institutionen und Verfahren in Partei und Staat gesetzt sowie auf Dezentralisierung. Diese Dezentralisierung war für den China-Experten Heilmann auch eine der Ursachen für den Erfolg der Reform- und Öffnungspolitik der letzten drei Jahrzehnte: "Die Zentrale hat koordiniert, hat grobe Vorgaben gemacht. Aber die Ideen, die neuen Politikansätze kamen in der Regel von unten: Aus dezentralen Initiativen in Provinzen, in Sonderwirtschaftszonen, in einzelnen Städten oder Kreisen. Und dieses Politiksystem, das sich in den letzten 30 Jahren als sehr agil und flexibel erwiesen hat, wird durch die neue Zentralisierungstendenz im Kern in Frage gestellt," so Heilmann.

Xis Griff nach der Macht wird noch unterstrichen durch die von ihm in Gang gesetzte Anti-Korruptionskampagne. Zwar hatten auch seine Vorgänger immer wieder Kampagnen gegen die allgegenwärtige Korruption durchgeführt. Dauer, Umfang und Tiefe der jetzigen Kampagne sind allerdings beispiellos. Rund 40 Kader im Rang eines Vizeministers oder höher wurden inhaftiert. Führende Militärs wurden verhaftet, das systematische Schachern mit Posten aufgedeckt.

Ende des Tabus

Mit der offiziellen Einleitung eines Verfahrens gegen Zhou Yongkang hat Xi Jinping demonstriert, dass er ausreichend Macht besitzt, um selbst gegen ehemalige Mitglieder im Ständigen Ausschuss des Politbüros vorzugehen. Dieser Ausschuss mit heute sieben und zuvor neun Mitgliedern ist das Zentrum der Kommunistischen Partei und damit der Macht in China. Seine Mitglieder waren bis zum Fall Zhou für die Behörden tabu. Zhou Yongkang unterstand bis Ende 2012 der gesamte Apparat der inneren Sicherheit, was ihn im Kreise dieser Mächtigen zu einem der Mächtigsten machte.

Ex-Sicherheitschef Zhou Yongkang 2007 (Foto: Reuters)
Das beispiellose Vorgehen gegen den einstigen Sicherheitschef des Landes, Zhou Yongkang (Foto), symbolisiert die neue Machtstellung Xi JinpingsBild: Reuters

Für den Xi-Jinping-Kenner Willy Lam steht fest, dass Xi nur mit der Rückendeckung früherer Parteivorsitzender gegen Zhou vorgehen konnte. Lam vermutet, Xi habe eine Vereinbarung mit den Parteiveteranen getroffen, nach Zhou Yongkang keine weiteren ehemaligen Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros mehr zu verfolgen und auch nicht weiter gegen die sogenannten "Prinzlinge" vorzugehen, die gut vernetzten Abkömmlinge hochrangiger Revolutionsveteranen.

Durchgeführt wird die Anti-Korruptionskampagne im Wesentlichen durch die Zentrale Kommission für Disziplinkontrolle der Partei. Die wird von Wang Qishan geleitet. Der Prinzling gilt als enger Verbündeter von Xi Jinping und sitzt ebenfalls im Ständigen Ausschuss des Politbüros. Damit erhält der Verdacht Nahrung, die Kampagne sei vor allem ein Mittel zur Ausschaltung missliebiger Gegner, auch wenn sie bislang von der Bevölkerung stark unterstützt wird.