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Wie Ugander die KI von Google, Microsoft und Co trainieren

Simone Schlindwein Kampala
23. November 2023

Junge Leute trainieren in Uganda die Künstliche Intelligenz großer Tech-Firmen. Für viele ist dies eine verlockende Jobchance. Experten kritisieren jedoch die Ausbeutung junger Afrikaner als Niedriglohnarbeiter.

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Führungsteam von Sama in ihrer Filiale in Kampala, Uganda (07.09.2023)
Führungsteam von Sama in Uganda: Namhafte Unternehmen wie Meta oder die NASA zählen zu KundenBild: Simone Schlindwein/DW

Mehr als 150 junge Leute sitzen hinter Computerbildschirmen. Im Hintergrund dudelt Musik, sonst ist es fast still in dem verdunkelten Großraumbüro im Zentrum von Ugandas Hauptstadt Kampala. Nur das stete Klicken der Computermäuse ist zu vernehmen.

Klick für Klick werden auf den Monitoren Fahrbahnmarkierungen nachgezeichnet und bestimmt, wo ein Auto langfahren darf und wo nicht. Auf anderen Bildschirmen ist eine Obstplantage zu sehen, offenbar mit einer Drohne gefilmt. Per Mausklick werden diejenigen Äpfel markiert, die rot sind. Klick für Klick bringen die Mitarbeiter der Software bei, dass die Drohne nur die reifen Äpfel pflückt.

Sama ist eines von zahlreichen Start-up-Unternehmen, die derzeit in Afrika gegründet werden, um die Künstliche Intelligenz (KI) großer Tech-Firmen zu trainieren. In der Firmenzentrale verzieren bunte afrikanische Stoffe die Wände. Alte Glasflaschen baumeln von der Decke, aus denen heraus Ranken die Decke entlang wachsen. In der Büro-eigenen Kantine steht ein Behälter voller bunter Lutscher auf dem Tresen, aus dem sich die Angestellten frei bedienen dürfen. Es wirkt wie die afrikanische Version des Silicon-Valley.

Fotografiert werden darf hier nicht. Auch die Gesprächspartner für diesen Bericht sind von der Unternehmensführung ausgewählt.

Bild von mehreren Bildschirm, auf dem Menschen und Autos markiert sind mit einem orangefarbenen Rechteck
KI-Training für die Steuerung autonomer Maschinen: Analyse einer Verkehrssituation als HerausforderungBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Sama-Geschäftsführer Joshua Okello sitzt an seinem Laptop an einem langen Tresen im Empfangsraum. "Stell dir vor, es gibt einen Kunden in Deutschland, der eine Softwareingenieursfirma benötigt", erläutert er das Konzept. "Anstatt bis zu 50.000 Euro auszugeben, können sie uns weit weniger bezahlen."

Okello leitet ein großes Team, das in zwei Schichten Tag und Nacht millionenfach dieselben Klicks im Akkord ausübt: Bis die Drohne weiß, welche Äpfel reif sind und welche nicht, und das Tesla-Auto die Verkehrsregeln kennt, müssen stetig dieselben Abläufe durchgespielt werden.

Auf der Webseite des Unternehmens sind dessen Kunden gelistet: Google, Ford, Walmart, Sony, BMW, Ebay, Microsoft und die US-Raumfahragentur NASA. Auch für Meta, zu dem Whatsapp, Instagram und Facebook gehören, ist Sama tätig.

Früher lagerten solche Firmen Callcenter-Jobs und andere niedrigbezahlte Aufgaben beispielsweise nach Indien aus. Doch auch dort erhöhen sich mittlerweile die Gehälter. Auf der Suche nach preiswerten Arbeitskräften wandten sich die großen Konzerne an ostafrikanische Länder wie Uganda, Kenia oder Ruanda. Hier sprechen alle Englisch, das Internet ist stabil, der Zeitunterschied zu Europa nur gering.

Arbeitsplätze statt Hilfsgelder

Gründerin von Sama war die US-Geschäftsfrau Leila Janah, die 2020 im Alter von 37 Jahren an einer Krankheit verstarb. Als Tochter indischer Einwanderer und Studentin für Afrika-Wissenschaften eröffnete die Start-up-Unternehmerin von 2008 an in Indien und später in Kenia die ersten Filialen, um Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen.

Leila Janah (11.11.2015)
Sama-Gründerin Leila Janah (2015): Firmengründung zunächst in Indien, dann in KeniaBild: Rob Kim/Getty Images

Kenias Nachbarland Uganda hat weltweit eine der höchsten Geburtenraten pro 1000 Einwohner und infolge eine enorme Jugendarbeitslosigkeit. Besonders schlimm ist die Lage im Norden des Landes, wo mehr als 20 Jahre lang ein blutiger Bürgerkrieg herrschte, sagt Sama-Geschäftsführer Okello.

Als nach Ende des Krieges die zahlreichen Hilfsorganisationen aus Norduganda abzogen, eröffnete Sama dort 2012 gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Oxfam ihre erste Zentrale, machte sich später aber als Firma letztlich selbstständig. "Wir können Menschen digitale Kompetenzen vermitteln und Jobs schaffen", erklärt Okello die Grundidee. Dies sei viel besser, als Hilfsgüter zu liefern.

Die ersten Büros von Sama waren zu jener Zeit in Containern untergebracht, direkt neben dem Universitätscampus in Gulu, der größten Stadt im Norden des Landes, erinnert sich Bruno Kayiza. Der heute 30-Jährige hat damals Wirtschaftswissenschaften in Gulu studiert, wusste nach dem Abschluss jedoch nicht, wo er einen Job finden solle.

Ghostwriter in Kenia verlieren ihren Job an KI

"Ich war neugierig, was da passiert, ich habe immer wieder Leute hinein- und hinausgehen sehen", sagt Kayiza. Vier Jahre lang hat er bei Sama Robotern beigebracht, wie sie nur reife Äpfel pflücken. Dann überwachte er als Teamleader die Qualität der Arbeit seiner Kollegen. Schritt für Schritt erklomm er in den nächsten Jahren die Karriereleiter.

Mittlerweile ist Kayiza in der Filiale in Gulu für 418 Leute zuständig. 2019 eröffnete Sama die Filiale in Kampala. Neben Kenia ist Uganda mittlerweile das zweitwichtigste Standbein auf dem Kontinent.

Billigjob oder Zukunftschance?

"Die Arbeit ist sehr interessant, weil wir an verschiedenen Projekten arbeiten", sagt Kayiza. Neben den simplen Klick-Jobs würde es auch komplexe Aufgaben geben, wie beispielsweise die dreidimensionale Analyse einer Verkehrssituation. Das sei herausfordernd.

Traumatisiert durch die Arbeit als Content-Moderator

"Das Gehalt ist gut", betont er. Es liege rund 20 Prozent über dem, was in Uganda untrainierte Arbeiter in der Regel verdienen, also bei umgerechnet rund 150 Euro. Hinzu kommen soziale Absicherungen wie eine kostenlose Unfall- und Krankenversicherung, was in Uganda keine Selbstverständlichkeit sei, so Bruno Kayiza.

Für Expertin Nanjira Sambuli klingt dies aber alles ein wenig zu gut, um wahr zu sein. Die Kenianerin erforscht, wie sich die Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie auf die afrikanische Gesellschaft auswirken. Sama sei da ein gutes Beispiel für das Dilemma, in welchem die Afrikaner stecken, sagt sie.

"Klar besteht ein immenser Bedarf an Arbeitsplätzen auf dem gesamten Kontinent", so Sambuli, "aber sind dies sinnvolle Jobs? Sind das sichere Jobs mit Zukunftschancen?" Sie verweist auf einen Prozess vor dem kenianischen Arbeitsgericht gegen Sama.

Traumatisiert durch Klickarbeit

Zu Beginn dieses Jahres verklagten Mitarbeiter in Kenia die Firma aufgrund "ausbeuterischer" Arbeitsbedingungen, wie es in der Klage hieß. Die Mitarbeiter hätten im Auftrag von Facebook die Inhalte von Beiträgen prüfen müssen, oft 700 Textpassagen pro Tag, meist mit sexuell konnotiertem Inhalt. Die DW sprach vor einigen Monaten mit entlassenen Mitarbeitenden von Sama, die von ihrer Arbeit, Gewaltdarstellungen auf Facebook zu markieren, traumatisiert wurden.

"Das Beispiel in Kenia zeigt", so Sambuli, "dass sich Afrikas Politiker und die internationale Gemeinschaft Gedanken machen müssen, zu welchem Preis all diese Arbeitsprozesse zu Dumpingpreisen nach Afrika ausgelagert werden", sagt sie. "Nur weil der Kontinent dringend Arbeitsplätze benötigt, bedeutet dies nicht, dass man Arbeitsrechte und Mindeststandards an Ethik über Bord werfen darf."