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Wenn der Kämmerer sich verzockt

Martin Koch23. Januar 2014

Viele Kommunen haben sich von Banken hochriskante Finanzgeschäfte andrehen lassen. Was die Stadtkasse entlasten sollte, führte oft ins Verderben. Das verlorene Geld ist nur schwer zurückzuholen.

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Symbolbild Börsenverlauf nach unten
Bild: Fotolia/Dan Race

Diese Idee der Banken muss vielen Kämmerern und Bürgermeistern angesichts ihrer klammen Kassen wie der Topf mit Gold am Ende des Regenbogens vorgekommen sein: Sie investieren in sogenannte "Swaps" - und wenn es gut läuft, können sie dadurch die Zinslast für ihre Schulden reduzieren.

Bei einem einfachen "Swap" bietet die Bank dem Kunden zum Beispiel an, den festen Zinssatz eines Kredits gegen einen flexiblen zu tauschen (engl. "to swap"). Diese einfache Form haben die Banken weiterentwickelt und zusätzlich von Zinsen losgelöste Elemente in den flexiblen Wert eingebaut.

Dieser bewegliche Wert kann sich auf die unterschiedlichsten Kriterien beziehen, zum Beispiel auf die Entwicklung des Börsenkurses einer Aktie oder des Kurses einer Fremdwährung. In besonders komplexen Swap-Geschäften geht es sogar darum, wie sich zwei Währungen, Aktien oder sonstige an Börsen gehandelte Produkte in ihrem Verhältnis zueinander verändern.

Dr. Jochen Weck, Rechtsanwalt
Weck: Kommunen waren "leichte Beute" für die BankenBild: S. Kletzsch

Zahlreiche deutsche Städte wie Pforzheim, Hagen oder Mülheim an der Ruhr und kommunale Unternehmen wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben sich auf diese Art der Finanzgeschäfte eingelassen - und sind gescheitert.

Etikettenschwindel der Banken

Was für den Fachmann auf den ersten Blick wie ein hochspekulatives und nahezu unvorhersehbares Planspiel erscheint, ist - genau das: "Die Banken haben den Kunden nicht gesagt, dass es sich hier um Wetten auf die Entwicklung handelt, sondern sie haben immer suggeriert, es handle sich um einen Zinstausch, der die Zinsbelastung der Kommune verringern soll", sagt Rechtsanwalt Jochen Weck, der schon zahlreiche Städte und Gemeinden juristisch vertreten hat, denen durch spekulative Bankgeschäfte Schaden in Millionenhöhe entstanden ist.

Natürlich sei jedes Bank- und Börsengeschäft auf die zukünftige Entwicklung ausgerichtet, so Weck. Man hoffe ja auch beim Kauf einer Aktie, dass deren Wert sich in Zukunft erhöhen werde. Doch beim Swap-Handel mit den Kommunen haben die Geldinstitute den wahren Charakter dieser Geschäfte nicht offengelegt, kritisiert der Jurist.

"Unmoralische Geschäfte"

An diesem Punkt setzt auch der Vorwurf von Wolfgang Gerke an. In der Zeit vor Beginn der Finanzkrise, kurz nach der Jahrtausendwende, seien viele Kommunen von den Versprechungen der Banker geblendet worden, so der Professor für Bank- und Börsenwesen und Präsident des Bayerischen Finanz Zentrum e.V.: "Als schlecht informierte Partner waren sie häufig geduldige Opfer. Ich bin mir sicher, dass hier im Markt sehr viele unmoralische Geschäfte gemacht wurden."

Wolfgang Gerke Bayerisches Finanz Zentrum
Gerke: Banken haben unmoralische Geschäfte angebotenBild: Sigfried Heuser/STMWIVT

Schlecht informiert - das ist eines der Hauptargumente von Jochen Weck, mit dem er vor Gericht schon mehrfach erfolgreich die Schuld für finanzielle Verluste aus Börsengeschäften der Kommunen den Banken zuschreiben ließ. Den Einwand, die Verantwortlichen in den Rathäusern hätten mit etwas gesundem Menschenverstand die Risiken erkennen müssen, lässt Weck nicht gelten. Dafür seien die angebotenen Finanzprodukte viel zu komplex, die Bürgermeister und Kämmerer mussten sich vertrauensvoll auf die Beratung durch die Banken verlassen, sagt er. "Ich sitze ja auch in einem Haus und vertraue darauf, dass die Statik trägt, ohne dass ich weiß, wie sie funktioniert. Das ist Sache der Profis."

Verluste auf Kosten der Bürger

Die Rechtsprechung in Deutschland ist seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes von 2011 eindeutig. Banken dürfen demnach Geschäfte nicht mit einem "negativen Marktwert" zu Lasten der Kunden starten, ohne diese über das Risiko zu informieren. Doch selbst wenn die Kommunen gegenüber den Banken vor Gericht Recht bekommen, stehen sie finanziell hinterher nicht unbedingt besser da: Die Schadenersatzzahlungen gleichen die Verluste durch die missglückten Spekulationsgeschäfte meist nicht aus.

Die dafür nötigen Einsparungen erfolgen fast immer im sozialen Bereich, ärgert sich der vierfache Vater Jochen Weck. "Ich war in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen bei der Wiedereröffnung einer wunderbaren Sonderschule für behinderte Kinder. Und da hat mir der Bürgermeister gesagt: Ich bin so froh, dass wir die Gelder schon vor Jahren bewilligt haben, denn nach dem Desaster mit dem Swap hätten wir das nicht mehr machen können."

Hohe Dunkelziffer

In Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Städte und Gemeinden in hochspekulative Anlageformen investiert und dadurch Verluste erlitten haben. Vermutlich sind es mehrere Hundert. Städte wie Pforzheim und Hagen mit jeweils knapp 40 Millionen Schaden durch Börsengeschäfte lassen erahnen, dass die Gesamtsumme in Deutschland immens ist. Schätzungen zufolge könnte sie rund eine Milliarde Euro betragen.

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Kommunen haben Angeboten von Großbanken wie JPMorgan Chase vertrautBild: picture-alliance/dpa

Im aktuellen Fall der Berliner Verkehrsbetriebe geht es um 150 Millionen Euro. Die BVG hatte sich mit der US-Bank JPMorgan Chase auf einen Swap-Deal in dieser Höhe geeinigt, um einen ausgefallenen Kredit abzusichern. Als das Geschäft im Zuge der Finanzkrise 2008 platzte, weigerte sich die BVG, den Kredit weiter zu bedienen und berief sich auf eine nicht ausreichende Beratung durch die Bank. Die fordert vor einem Londoner Gericht nun ihrerseits die ausstehende Summe von der BVG.

Auswege aufzeigen

Jochen Weck hat gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund einen Leitfaden erarbeitet, der Kommunen vor Millionenverlusten durch windige Bankgeschäfte bewahren soll. Die beiden wichtigsten Grundsätze formuliert er so: "Lassen Sie sich nicht von den Banken selbst, sondern von unabhängigen Fachleuten beraten, die kein eigenes Interesse an einem Geschäftsabschluss haben. Und fragen Sie, wie viel die Bank bei dem Deal verdient!"

Doch am besten sollten Kommunen ganz die Finger von riskanten Börsengeschäften lassen. Als Vorreiter in dieser Hinsicht sieht Jochen Weck den Freistaat Sachsen: "Die haben das Spekulationsverbot in der Gemeindeordnung schriftlich verankert und es mit einer Konsequenz versehen, nämlich dass ein von einer Kommune abgeschlossenes spekulatives Geschäft unwirksam ist."