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"Welterbekomitee der UNESCO soll Russland ausschließen"

26. Juli 2023

Das fordert der Verein World Heritage Watch. Mit der gezielten Zerstörung historischer Gebäude in der ukrainischen Stadt Odessa sei eine letzte Grenze überschritten.

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Die Verklärungskathedrale in Odessa ist nach Raketenangriffen stark beschädigt
Die Verklärungskathedrale in Odessa nach dem russischen RaketenangriffBild: Oleksandr Gimanov/AFP

Nicht nur das spirituelle Zentrum, die Verklärungskathedrale, die einst Zarin Katharina die Große in der südukrainischen Hafenstadt Odessa erbauen ließ, auch drei Museen haben einen massiven Schaden durch die Raketenangriffe der russischen Armee am Wochenende erlitten. Besonders hart wurde das Literaturmuseum in der Altstadt getroffen. 80 Fenster in drei Stockwerken seien zerborsten, Ausstellungsräume verwüstet und die Decke teilweise eingestürzt, erzählt Kateryna Yergiyeva, Mitarbeiterin im Literaturmuseum von Odessa, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Auf die Frage, was zu tun sei, um UNESCO-Kulturerbestätten wie die Altstadt von Odessa zu schützen, antwortete Yergiyeva: "Gute Luftabwehrsysteme sind die wirksamste Hilfe".

World Heritage Watch: Russland soll raus aus UNESCO-Welterbekommission

Genauso wie die Zerstörung der Infrastruktur ist auch die Kultur ein strategisch gewähltes Ziel der russischen Angriffe auf die Ukraine. Kurz nach den verheerenden Attacken vom Wochenende (23.07.) fordert die Organisation World Heritage Watch, ein globales Netzwerk zur Überwachung von UNESCO-Welterbestätten, den Ausschluss der russischen Föderation aus der Welterbe-Kommission der UNESCO. Es könne keinen eklatanteren Grund für einen Ausschluss aus diesem Gremium geben als die mit der Absicht des Völkermordes begangene Zerstörung von Kulturerbe, das per definitionem das gemeinsame Erbe der Menschheit (Welterbe) sei, erklärte der Verein in Berlin.

Menschen in Odessa stehen vor der stark beschädigten Verklärungskathedrale
Erschrocken stehen die Menschen in Odessa vor der 1794 gegründeten, schwer beschädigten VerklärungskathedraleBild: REUTERS

Es sei an der Zeit, dass sich die Menschheit insgesamt gegen diese Barbarei zur Wehr setze, sagte Stephan Doempke, Vorsitzender von World Heritage Watch, im DW-Interview. Russland habe jegliche Berechtigung verwirkt, eine Rolle in internationalen Gremien zu spielen, die über den Schutz von Kulturgut beraten oder entscheiden. "Bisher hat es noch nie einen Ausschluss aus dem UNESCO-Welterbekomitee gegeben", so Doempke. Doch jetzt sei es an der Zeit. Er hoffe, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nun Schritte einleitet: "Die Ukraine ist Mitgliedstaat der Welterbekommission und die Außenministerin hat sich immer wieder sehr klar in der Ukrainefrage positioniert, klarer als alle anderen. Ich hoffe, dass Deutschland jetzt auch in dieser Frage diplomatisch tätig wird." Erst im Januar war das historische Zentrum von Odessa im Eilverfahren in die Weltkulturerberliste der Vereinten Nationen aufgenommen und unmittelbar auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt worden. 

Saudi-Arabien hat es in der Hand

Ukrainische Kulturgüter in Gefahr

21 Länder bilden das Welterbe-Komitee der UNESCO. Sie wurden gewählt von den 194 Mitgliedsländern. Den Vorsitz hat derzeit Saudi Arabien. "Saudi-Arabien kann in seiner Funktion die Sitzung einberufen und den Ausschluss der russischen Föderation als einzigen Punkt auf die Tagesordnung setzen. Dann müsste es unter den 21 Mitgliedsstaaten eine Abstimmung geben", so Doempke. Deutschland, das zwar Mitglied der UNESCO, aber derzeit nicht des Welterbekomitees ist, solle diplomatisch aktiv werden, um eine Mehrheit zustande zu bringen. So habe es auch 2022 erfolgreich funktioniert, als Russland sich auf Drängen der Mitglieder vom Vorsitz des UNESCO-Welterbekomitees zurückgezogen habe. "Damals wurde über Monate ein solcher Druck aufgebaut, dass Russland (in Form des russischen Botschafters Alexander Kuznetsov, Anm. der Redaktion) im Oktober 2022 den Präsidentensessel geräumt hat. Danach ging der Vorsitz an Saudi Arabien, als nächstes Land im englischen Alphabet."

Zerstörte Häuser nach einem Raketenangriff auf Lwiw
Russische Raketenangriffe gab es auch am 6. Juli auf die Welterbestadt LvivBild: YURIY DYACHYSHYN/AFP

Doempke rechnet allerdings mit Widerstand, käme es zu einer Abstimmung. "Die afrikanischen Länder sind unsichere Kandidaten, aber auch Indien. Die westlichen Länder haben alleine keine Mehrheit, also muss da schon diplomatisch entschieden agiert werden."

UNESCO will Diskussion über Russlands Rolle

Lutz Möller, stellvertretender Generalsekretär der deutschen UNESCO nimmt im DW-Interview zu den Forderungen von World Heritage Watch folgendermaßen Stellung. "Deutschland ist derzeit kein Mitglied des Welterbekomitees. Wir sind wie alle Vertragsstaaten Mitglied der Vertragsstaatenkonferenz, die im November tagen wird. Aus unserer Sicht sollte die Vertragsstaatenkonferenz zumindest eine Diskussion darüber starten, dass wir neue Regeln brauchen, die es gerade eben ermöglichen, das Stimmrecht im Welterbekomitee zu entziehen". Möller stellte klar: "Es ist aus unserer Sicht einfach unerträglich, dass ein Staat, der selbst Weltkulturerbestätten beschießt, Menschenleben gefährdet und Menschen tötet, dass dieser Staat gleichzeitig am Tisch sitzt und über die Anerkennung von neuen Welterbestätten mitentscheidet."

Menschen stehen vor einem von Raketen zerstörten Wohnhaus
Das ukrainische Lviv nach einem russischen Raketenangriff Anfang JuliBild: Mstyslav Chernov/AP/picture alliance

Die Ukraine habe den Ausschluss Russlands aus der UNESCO gefordert, so Möller im DW-Interview, bislang aber noch keinen formalen Antrag gestellt. "Tatsächlich ist ein Ausschluss eines Staats aus der UNESCO nach ihrer Verfassung nicht vorgesehen. Aber darüber könnte man natürlich diskutieren, aber ich möchte mich jetzt hier nicht zu Spekulationen äußern."

Nicht nur Odessa, auch viele andere ukrainische Kultur- und Gedenkstätten wurden seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 angegriffen und teilweise auch zerstört. Die UNESCO hat bereits für den Wiederaufbau des gesamten Kultursektors der Ukraine in den nächsten zehn Jahren 6,9 Milliarden US-Dollar (6,2 Milliarden Euro) zugesagt.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion