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Was sind Reparationen?

30. Juni 2023

Wenn jetzt der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien die Nachfahren der Sklaven entschädigen will, ist das eine Zäsur in der amerikanischen Geschichte. Welche Bespiele gibt es für Reparationen in anderen Ländern?

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Ägypten Sharm el-Sheikh | COP27 Klimagipfel Protest
Bild: Peter Dejong/AP/picture alliance

Nach völkerrechtlichem Verständnis sind Reparationsleistungen die Zahlungen, die ein Staat leistet, um eine Verletzung des Völkerrechts zu kompensieren. Sei es eine Verletzung in Gestalt eines rechtswidrigen Angriffs oder durch ein Verbrechen im weiteren Kriegsverlauf. Lange Jahrzehnte und Jahrhunderte war das vor allem ein Recht des Kriegssiegers: Wer den Krieg gewann, konnte bestimmen, wie groß die Kriegsschuld war. Ob dieser Krieg aus vermeintlichen guten Gründen, etwa als Abwehr von Aggressoren, begonnen worden, oder ein schlichter Angriffskrieg war, spielte keine Rolle.

Charta der Vereinten Nationen

Das änderte sich alles nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Charta der neu gegründeten Vereinten Nationen Angriffskriege grundsätzlich ächtete. Das umfassende Gewaltverbot gilt erst seit diesem Zeitpunkt. In den Jahren danach kam auch die Einschätzung dazu, dass die wahren Ursachen für den Grund von Kriegen erst nach vielen Jahren ganz klar werden. Und dass Unrecht nie beseitigt werden kann, wenn der Verursacher dafür nicht die Verantwortung übernimmt.

Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde das Deutsche Reich durch den Friedensvertrag von Versailles zu 20 Milliarden Goldmark Reparationen verpflichtet, was nach heutigen Schätzungen etwa 100 Milliarden Euro entspricht. Außerdem mussten 90 Prozent der Handelsflotte übergeben werden. Später forderten die siegreichen Kriegs-Verbündeten sogar mehr Geld. Man einigte sich schließlich auf eine Summe von 132 Milliarden Goldmark, die es zu tilgen und auch zu verzinsen galt. Tatsächlich hat Deutschland bis 2010 diese Schulden abgezahlt.

Häuserruinen in Warschau. Im Vordergrund die umgestürzte Säule eines Denkmals.
Zerstörungen in Warschau 1945: Bis heute fordert Polen von Deutschland Entschädigungen.Bild: PRASA/Prasa/dpa/picture alliance

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland von den Siegermächten zur Wiedergutmachung verpflichtet. Anders als im Ersten Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag gab es aber keinen Friedensvertrag, vor allem die westlichen Kriegsalliierten, also die USA, Frankreich und England, waren an einem Erstarken Westdeutschlands interessiert, sie brauchten das Land im längst beginnenden Ost-West-Konflikt als Puffer gegenüber dem sowjetischen Einflussbereich.

Die Reparationen waren deshalb weniger finanzieller Natur, sondern die Siegermächte demontierten vor allem wichtige Industrieanlagen. Auf den Londoner Schuldenkonferenz von 1953 gelang es dem deutschen Verhandlungsleiter Hermann Josef Abs, einen hohen Schuldennachlass zu erreichen. Die anfänglich berechneten Schulden in Höhe von 29,3 Milliarden Mark wurden auf 14,8 Milliarden reduziert, wobei besonders die USA großzügig auf Rückzahlungen verzichteten. Mit Folgen bis in die Gegenwart: Polen und Griechenland, an den Verhandlungen nicht beteiligt, machen bis heute gegenüber Deutschland hohe Reparationsforderungen geltend. Auf bis zu 1,3 Billionen Euro lautet allein die Forderung Polens. Deutschland lehnt das ab.

Die USA und Vietnam

Nach dem Krieg in Vietnam verweigern die USA bis heute Reparationen oder andere Entschädigungsleistungen. Stattdessen musste Vietnams Regierung 1993 die Schulden des früheren Südvietnams übernehmen, um Kredite zu erhalten und die Aufhebung eines Embargos der USA zu erreichen.

US-Flugzeuge versprühen das Entlaubungsmittel Agent Orange über den Dschungel.
Von 1962 bis 1971 versprühte das US-Militär Entlaubungsmittel über den vietnamesischen Wäldern, um den kommunistischen Streitkräften die Nutzung der Dschungels als Deckung zu nehmenBild: Everett Collection/picture alliance

Immerhin: 2007 bewilligten die USA erstmals 400.000 Dollar zur Beseitigung von Dioxinrückständen im früheren Kriegsgebiet. Im Mai 2009 verdoppelte der damalige US-Präsident Barack Obama diese Hilfe von drei auf sechs Millionen Dollar. Entschädigungsklagen von krebserkrankten Vietnamesen wiesen US-Gerichte zurück.

Der Irak und Kuweit

Bis in den Februar 2022 dauerte es, bis der Irak seine Kriegsschulden aus dem Golfkrieg von 1990 abgezahlt hatte. Die Vereinten Nationen teilten mit, dass das Land insgesamt 45,9 Milliarden Euro zahlte. Am 2. August 1990 war die irakische Armee in das benachbarte Emirat einmarschiert. Der damalige irakische Machthaber Saddam Hussein erklärte Kuwait zur Provinz seines Landes. Aber eine internationale Streitmacht unter Führung der USA wies ihn die Schranken.  

Deutschland und sein koloniales Erbe

Von 1884 bis 1915 war das Deutsche Reich Kolonialmacht im heutigen Namibia. Es kämpfte unerbittlich gegen die lokale Bevölkerung, die sich gegen die Fremdherrschaft und Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzte. Grausamer Höhepunkt war der Krieg gegen die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama zwischen 1904 und 1908. Schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen wurden durch die deutschen Truppen ermordet, verdursteten in der Wüste oder starben in Konzentrationslagern.

Demonstranten auf einer Straße in Windhuk fordern auf Transparenten die Zahlung angemessener Reparationen.
Auch nach der Einigung zwischen Deutschland und Namibia kommt es zu Protesten, wie hier im September 2019 in WindhoekBild: Sakeus Iikela/DW

Nach schwierigen Verhandlungen, nach langen Jahrzehnten, in denen Deutschland keinerlei Schuld für den Völkermord übernehmen wollte, kam dann doch 2021 eine erste Einigung:  Deutschland erkennt den Völkermord an, entschuldigt sich und will 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten.  Doch unterschrieben haben beide Regierungen das bis heute nicht.

Reparationen sind also auch heute ein schwieriges Thema, und letztlich hängt es vom guten Willen beider Seiten, des Kriegsverursachers und des Opfers ab, ob eine Einigung gelingen kann. Entscheidend ist dabei der politische und kulturelle Druck, der in den früheren Siegermächten erzeugt wird, sich zur Schuld zu bekennen. Auch die Charta der Vereinten Nationen hat wenig daran geändert, dass nur dann wieder gut gemacht wird, wenn die Schuld auch tatsächlich anerkannt wird.