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Was bedeutet eine Intervention beim IGH?

16. Januar 2024

Deutschland hat erklärt, dem Völkermord-Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof als Drittpartei beizutreten. Der Völkerrechtler Stefan Talmon beantwortet die wichtigsten Fragen.

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Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag zum Nahostkonflikt
Das Gebäude des Internationalen Gerichtshofs in Den HaagBild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Südafrika verklagt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen der Verletzung der Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948. In den kommenden Wochen wird der IGH entscheiden, ob er vorläufige Schutzmaßnahmen anordnet. Das Hauptverfahren zur Frage der Verletzung der Völkermordkonvention könnte Jahre dauern und behandelt den gegenwärtigen Krieg der israelischen Armee gegen die Hamas im palästinensischen Gazastreifen, der durch den Terrorangriff der militant-islamistischen Gruppe am 7. Oktober auf Israel ausgelöst worden war. Deutschland hat am Freitag erklärt, an diesem Verfahren als Drittpartei teilnehmen zu wollen.

Warum tritt ein Staat einem IGH-Verfahren bei?

Dies gehe deshalb, erklärt der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon im Gespräch mit der DW, da es sich bei der Völkermordkonvention um einen internationalen Vertrag handele. "Nach dem Artikel 63 des IGH-Statuts kann jede Vertragspartei eines multilateralen Vertrages einem Streit beitreten, bei dem es um die Auslegung des Vertrages geht."

Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag zum Nahostkonflikt
Jede Partei eines Abkommens kann in Den Haag intervenieren: Hier die Verhandlung zur Klage Südafrikas am Freitag, 12. Januar 2024Bild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Rund 150 Staaten haben die Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948 unterschrieben. Darunter sind nicht nur die beiden Streitparteien Südafrika und Israel, sondern auch Deutschland. Der Grund, dass sich ein Staat für eine solche Intervention entscheidet, ist laut Juraprofessor Talmon, dass eine Auslegung des Vertrages durch den Gerichtshof alle Parteien betrifft.

Ergreift man damit Partei für eine Seite?

In der Theorie, erklärt Talmon, trete man dem Gerichtsverfahren neutral bei. Man helfe dem Gerichtshof bei der Auslegung des Vertrages. In der Praxis sei es jedoch immer so, dass man mit seiner Auslegung eine der beiden Seiten unterstützen wolle.

Dies ergebe sich bereits aus der Natur des Verfahrens, betont Talmon: "Wenn sie ein kontradiktorisches Streitverfahren – also ein Streitverfahren zwischen zwei Parteien – haben, und es geht um die Auslegung eines Vertrages, dann werden Sie zwangsläufig eine der Parteien unterstützen, je nachdem wie Sie den Vertrag auslegen."

Die deutsche Bundesregierung hatte in ihrer Pressemitteilung bereits erläutert, einer "politischen Instrumentalisierung" der Völkermordkonvention entschieden entgegentreten zu wollen und den an Israel gerichteten Vorwurf ausdrücklich zurückzuweisen. Er entbehre jeder Grundlage. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bedankte sich für den Rückhalt, wohingegen Namibia die Entscheidung der Bundesregierung scharf kritisierte. 

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Welche Rolle kommt einem intervenierenden Staat im Prozess zu? 

"Der intervenierende Staat legt dem Gerichtshof gegenüber seine Auslegung der in Frage stehenden Bestimmungen des Vertrages dar", erklärt Talmon. Dies geschehe sowohl durch schriftliche Stellungnahme als auch in der mündlichen Verhandlung. Dabei dürfe sich der Staat nur zur Auslegung der Vertragsbestimmungen äußern und nicht zum Inhalt des Falles selbst, erklärt der Völkerrechtler, der an der Universität Bonn forscht und lehrt. 

Wie üblich ist es, dass Staaten intervenieren?

In den vergangenen zwei bis drei Jahren sei es üblicher geworden, dass Staaten in Verfahren vor dem IGH intervenieren würden, sagt Talmon. Auch in zwei weiteren Fällen mit Bezug zur Völkermordkonvention – Ukraine gegen Russland und Gambia gegen Myanmar – seien andere Staaten, darunter auch Deutschland, dem Verfahren beigetreten. 

Bislang hätten Bangladesch und Jordanien angekündigt, dem Verfahren zur Unterstützung Südafrikas beitreten zu wollen, sagt Talmon. Für den gesamten Prozess erwartet er mehr als 30 Interventionserklärungen – den Hauptteil davon für Südafrika.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel