1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Warum Janukowitsch nicht aufgibt

Roman Goncharenko20. Februar 2014

Der diplomatische Druck auf den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch wird immer größer. Doch zum Rücktritt ist er nicht bereit. Ein Blick zurück auf vier Jahre seiner Amtszeit erklärt, warum er nicht aufgibt.

https://p.dw.com/p/1BCTt
Viktor Janukowitsch (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

"Sehe ich aus wie jemand, der Angst vor irgendetwas hat?" So antwortete Viktor Janukowitsch auf die Frage der Deutschen Welle, ob seine Politik der Annäherung an Russland die Ukraine spalten könnte. Das Gespräch fand im August 2010 statt.

Rund vier Jahre später steht die Ukraine kurz vor einer echten Spaltung. Im Westen haben oppositionelle Demonstranten die Macht de facto übernommen, Verwaltungen und Sicherheitsbehörden sind in ihren Händen. Im Osten und Süden dagegen, wo die meisten Anhänger des Präsidenten leben, werden Rufe nach einer Abspaltung von der Ukraine immer lauter.

Nur noch eine Forderung: Rücktritt

Der Protest begann Ende November 2013 nach einer überraschenden Entscheidung der ukrainischen Regierung, das fertig ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen. Stattdessen kündigte der Präsident eine Annäherung an Russland an.

Seitdem eskaliert die Lage. Es gibt Straßenschlachten in Kiew mit dutzenden Toten. Oppositionelle Demonstranten haben inzwischen nur noch eine Forderung: Rücktritt des Präsidenten. In einem westlichen Land hätte ein Verantwortlicher in vergleichbarer Position längst die Konsequenzen gezogen, schimpfen viele Ukrainer in sozialen Netzwerken. Doch der ukrainische Staatschef denkt offenbar nicht an Aufgeben.

Straßenschlachten in Kiew (Foto: Reuters)
Dutzende Menschen sind bei den Straßenschlachten in Kiew ums Leben gekommenBild: Reuters

"Janukowitsch kann und wird nicht nachgeben", meint Winfried Schneider-Deters. Bei einem Machtverlust müsse der Präsident damit rechnen, "vor Gericht gestellt und zu zig Jahren Gefängnis verurteilt zu werden", sagte der Ukraine-Experte und Publizist in einem Gespräch mit der Deutschen Welle.

Donezker auf Schlüsselposten

Um zu verstehen, warum Janukowitsch so handelt und warum ihm möglicherweise Gefängnis droht, lohnt sich ein Blick auf die vier Jahre seiner Präsidentschaft.

Seit seinem Amtsantritt im Februar 2010 hat der Präsident in der Ukraine eine Machtvertikale nach russischem Vorbild aufgebaut. In Russland besetzte Wladimir Putin, selbst ehemaliger KGB-Offizier, wichtige Ämter mit Geheimdienstmitarbeitern und Freunden. In der Ukraine tat sein Amtskollege Janukowitsch das Gleiche mit Menschen aus seiner ostukrainischen Heimatstadt. Mittlerweile wird das 45-Millionen-Land von dem so genannten "Donezker Clan" regiert. Der Präsident, der Regierungschef, der Generalstaatsanwalt, der Innenminister - sie alle stammen aus Donezk.

Erfahrungen im kriminellen Milieu

Die Kohleregion im Donezk-Becken hat eine besondere Geschichte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blühte in der Ukraine wie in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken die organisierte Kriminalität. In Donezk herrschte jedoch ein besonders brutaler Bandenkrieg. Wer nicht nachgab, wurde getötet.

Vor diesem Hintergrund begann der politische Aufstieg von Viktor Janukowitsch und vielen anderen in seiner regierenden "Partei der Regionen". Janukowitsch kennt die kriminelle Welt von innen. Als Jugendlicher wurde er zweimal wegen Raubs und Schlägerei verurteilt und saß im Gefängnis - deshalb schreien tausende Demonstranten in Kiew heute "Seka het!" ("Weg mit dem Knacki!"). Schneider-Deters sieht in diesen Erfahrungen einen weiteren Grund dafür, warum Janukowitsch nicht aufgibt. Der Charakter des Präsidenten sei in einem kriminellen Milieu geformt worden: "Kompromisse sind Zeichen von Schwäche."

Oppositionelle im Gefängnis

Julia Timoschenko im Gerichtssaal (Foto: dpa)
Julia Timoschenko war Janukowitschs Rivalin bei der Präsidentenwahl 2010Bild: picture-alliance/dpa

Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft verlängerte Janukowitsch den Vertrag mit Russland über Stationierung der Schwarzmeerflotte auf der Krim um 25 Jahre. Die Opposition warf ihm deswegen Landesverrat vor. Die Flotte sei ein Machtinstrument des Kremls.

Die Liste von möglichen Anklagepunkten gegen Janukowitsch und seine Elite ist lang. Der Präsident ließ die Verfassung zu seinen Gunsten ändern, manipulierte Kommunal- und Parlamentswahlen. Die ukrainische Justiz brachte mehrere Oppositionelle, darunter die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hinter Gitter. Die Verfahren werden im Westen als "selektive Justiz" kritisiert.

Vorwürfe persönlicher Bereicherung

In den vier Jahren seiner Amtszeit hat die ukrainische Wirtschaft so stark wie noch nie gelitten. Ende 2013 erklärte die Regierung, das Land stehe vor einem Bankrott. Nur eine Milliarden-Unterstützung aus Russland half Janukowitsch, das zu verhindern. "Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind eine Folge der vierjährigen Misswirtschaft seiner Regierung und vor allem der allgegenwärtigen Korruption", sagt der Experte Schneider-Deters.

Medien und oppositionelle Politiker in der Ukraine beschuldigen den Präsidenten, sich und seine Familie persönlich bereichert zu haben. Das Vermögen des Präsidentensohns, Alexander Janukowitsch, wird vom ukrainischen Wirtschaftsmagazin Forbes auf rund 190 Millionen US-Dollar geschätzt. Andere Quellen nennen eine halbe Milliarde. 2012 soll er 100 Millionen besessen haben.

Janukowitsch regiert die Ukraine so rücksichtlos wie kein anderer vor ihm, meinen Beobachter. Vor dem Hintergrund vieler Toter auf Kiews Straßen müssten der Präsident und seine Familie "um ihr Leben fürchten", sagte der DW der deutsche Politologe Andreas Umland, der in der ukrainischen Hauptstadt lebt. Er glaubt, dass sich Janukowitsch und sein Regime "nur noch bestenfalls einige Wochen" werde halten können.