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Wahltag in Kiew: "Korruption ausrotten"

Roman Goncharenko26. Oktober 2014

In der ukrainischen Hauptstadt ist es am Wahlsonntag ruhig. Die meisten Stimmen dürften hier prowestliche Parteien bekommen. Viele Wähler erhoffen sich von einer neuen Regierung ein härteres Vorgehen gegen Korruption.

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Ukraine Wahl (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Eine Stunde länger schlafen. Die meisten Kiewer scheinen die Umstellung auf die Winterzeit an diesem Sonntag genutzt zu haben, um länger im Bett zu bleiben. Am Morgen sind nur wenige unterwegs. Umso mehr fallen Polizisten und Armeesoldaten im Straßenbild auf. Auch in der U-Bahn trifft man mehr Uniformierte als sonst. Die Angst vor Terroranschlägen ist offenbar groß. Besonders am Tag, an dem vorzeitig das neue Parlament gewählt wird.

In einem Plattenbauviertel am westlichen Stadtrand verlässt ein älteres Ehepaar das Wahllokal in einem Gymnasium. Sie zögern, bevor sie erzählen, welche Partei sie gerade gewählt haben. Sie möchten nicht fotografiert werden und keine Namen nennen. Vielleicht ein Zeichen der Verunsicherung in Kriegszeiten. Denn das neue Parlament wird vor dem Hintergrund andauernder Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten in der Ostukraine gewählt.

Nationalisten als Gegengewicht zu Poroschenko

"Wir haben für Swoboda gestimmt", sagt die Frau endlich und schaut sich um, ob sonst jemand zuhört. "Die Partei soll dafür sorgen, dass endlich die Korruption ausgerottet wird". "Die Oligarchen sollen ihre Macht verlieren", fügt ihr Mann hinzu. "Deshalb hat die Partei von Präsident Petro Poroschenko meine Stimme nicht bekommen." Poroschenko, ein Milliardär und bis vor kurzem ein Geschäftsmann, gilt in der Ukraine auch als ein Oligarch. Die Nationalisten sollen dafür sorgen, dass Poroschenko nicht zu viel Macht habe, so der Mann.

Die nationalistische Partei Swoboda (Freiheit) erhielt bei der vorherigen Parlamentswahl 2012 rund zehn Prozent der Stimmen, die meisten davon in Kiew und in der Westukraine. Während der oppositionellen Proteste im vergangenen Winter war Swoboda eine der treibenden Kräfte. Danach kam sie mit an die Macht. Ihre Vertreter sitzen bis heute in der Regierung. Doch ihre Beliebtheit sinkt. Umfragen lassen daran zweifeln, dass Swoboda die fünf-Prozent-Hürde schafft. Die Stimmen des Ehepaars werden daran wohl nichts ändern können.

Parlamentswahl in der Ukraine (Foto: AP)
Wahllokal in Kiew: Um 19 Uhr Ortszeit ist Schluss.Bild: picture-alliance/AP Photo/Efrem Lukatsky

Neue Parteien

Am Ende des kurzen Gesprächs verrät die Frau doch noch mehr über sich. Sie habe früher als Lehrerin gearbeitet und sie finde den "Rechten Sektor sympathisch". Das sagt sie sehr leise, eher geflüstert. Der "Rechte Sektor" ist eine neue rechtsextreme Partei, die erst vor wenigen Monaten gegründet wurde. Sie entstand auf der Basis mehrerer außerparlamentarischer Splittergruppen, die sich während der Proteste Kämpfe mit der Polizei geliefert hatten. Laut Umfragen hat der "Rechte Sektor" keine Chance, ins Parlament einzuziehen.

Parlamentswahl in der Ukraine (Foto: Reuters)
Wen wählen? Vielleicht geben die Informationsblätter der Kandidaten den letzten Impuls.Bild: Reuters/Shamil Zhumatov

Inzwischen kommen immer mehr Menschen, um ihre Stimme abzugeben. Warteschlangen gibt es aber nicht. Eine junge Frau, die mit Mann und kleinem Sohn gekommen ist, sagt, sie habe eine neue Partei gewählt: "Hromadjanska Posizija" (Bürgerliche Haltung). Diese Partei war bisher nicht im Parlament vertreten und gilt als unverbraucht. Ihre Mitglieder waren bei den Protesten in Kiew von Anfang an dabei. "Ich kenne ein paar Leute von dieser Partei persönlich, die sich damals engagiert haben", erzählt die Frau. Auch sie nennt die Korruption als das größte Übel in der Ukraine und hofft, dass sich das neue Parlament in erster Linie darum kümmert, dass weniger Schmiergeld fließt.

"Ostukraine und die Krim zurückholen"

Ein paar Straßen weiter liegt das nächste Wahllokal. Auch hier gibt es keinen Andrang. "Ich habe für das Poroschenko-Bündnis gestimmt", sagt ein Mann Anfang 30. "Er hat große Verantwortung auf sich genommen und bisher keine großen Fehler gemacht", findet der Wähler. Das im September ausgehandelte Abkommen über Waffenruhe mit prorussischen Separatisten im Donbass findet er richtig. "Zunächst muss man den diplomatischen Weg gehen und erst dann mit Waffen die Regionen Donezk und Luhansk zurückerobern."

Ähnlich äußern sich viele Kiewer, die an diesem Sonntag ihr neues Parlament wählen. Auch die von Russland annektierte Halbinsel Krim werde wieder ukrainisch, so die Stimmung. Auf die Frage, wie das geschehen soll, schütteln jedoch die meisten nur den Kopf: "Das wird schwierig."