1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vermisst - und wiedergefunden

Jasmina Rose26. März 2013

Während des Kriegs in Bosnien-Herzegowina richtete die Deutsche Welle einen Suchdienst für Flüchtlinge ein. Redakteurin Jasmina Rose erinnert sich.

https://p.dw.com/p/184FL
Jasmina Rose, Redakteurin der Bosnischen Redaktion (Foto: DW/Per Henriksen)
Bild: DW/P. Henriksen

"Ich komme aus Zvornik und suche meine Kinder Husein, Salih und Mehmed, meine Schwiegertochter und zwei Enkelkinder..." Der Ansturm solcher Suchmeldungen war riesig, als die Deutsche Welle am 19. April 1993 das Sonderprogramm für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina startete. Dort herrschte bereits seit einem Jahr blutiger Krieg, der viele Zivilisten in Mitleidenschaft zog. Die Hälfte der Bevölkerung war auf der Flucht, viele verloren sich in den Kriegswirren. Die Versprengten wollten wissen, wo Familienmitglieder, Verwandte und Freunde geblieben waren. Für viele war die bange Frage: Haben sie überhaupt überlebt?

Überlebende suchen Angehörige

Täglich ab 9 Uhr strahlten wir per Brief und Telefon eingegangene Anfragen bosnischer Flüchtlingen auf Kurzwelle aus. Dahinter verbargen sich oft schreckliche Schicksale, zum Beispiel von Menschen, die das Massaker von Srebrenica überlebt hatten. Telefonische Anfragen erreichten uns vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die meisten schriftlichen Suchmeldungen kamen aus Deutschland. Grund dafür war, dass Deutschland die größte Zahl von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina aufgenommen hatte - etwa 300.000 Menschen. Der Rest verteilte sich auf Europa und Nordamerika. Einen Brief bekamen wir sogar von den Fiji-Inseln. Wir übermittelten auch Mitschnitte unserer Sendungen via Satellit nach Bosnien, wo sie von Radio Sarajevo ausgestrahlt wurden.

Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina (Foto: Waltraud Grubitzsch)
Viele Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina fanden in Deutschland eine BleibeBild: picture alliance/dpa

So übernahm die Deutsche Welle praktisch eine ähnliche Rolle wie das Internationale Rote Kreuz. "Ich möchte Ihnen danken, dass ich meine Familie nur mit Ihrer Hilfe ausfindig machen konnte, einige Verwandte sogar in Dänemark und Kanada", schrieb damals ein Bosnier aus Stuttgart. Ein anderer meinte: "Ihre Sendung ist für uns lebenswichtig! Wir danken der DW und wünschen Ihnen weiterhin Erfolg bei der Zusammenführung auseinandergerissener Familien." In den Folgejahren berichteten wir auch über Hilfsaktionen wie humanitäre Konvois aus Deutschland nach Bosnien-Herzegowina sowie über friedenspolitische Aktivitäten deutscher Politiker.

"Einziges Fenster zur Welt"

Die Deutsche Welle war gerade für Menschen, die eingeschlossen und von der Welt abgeschnitten waren, eine der wenigen unabhängigen Informationsquellen. Ich werde nie einen Brief aus der UN-Schutzzone Srebrenica vergessen, der uns ein Jahr vor dem Völkermord erreichte: "Sie sind unser einziges Fenster zur Welt. Wir haben hier zwar keinen Strom, aber unsere Ingenieure haben am Fluss kleine Wasserkraftwerke gebaut, so dass wir die DW hören können."

Ajsa Hukic zeigt die Fotos ihrer getöteten Söhnen aus Srebrenica (Foto: DW/Mirsad Camdzic)
Viele Überlebende des Massakers von Srebrenica sahen ihre Söhne und Ehemänner nicht lebend wiederBild: DW

Diese Hilfe für Menschen in Kriegs- und Krisengebieten hat auch mit der Gründungsidee der Deutschen Welle zu tun. Kein Zufall, dass für die Erkennungsmelodie der DW ein Thema aus Beethovens Freiheitsoper "Fidelio" gewählt wurde: "Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen, hilft er gern." Und die DW half.

Welch tiefe Dankbarkeit diese Hilfe in Bosnien-Herzegowina ausgelöst hat, wurde mir erst einige Jahre später klar: Ich war mit einem deutschen Politiker in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Da wollte ich ihm ein altes, traditionelles Kaffeehaus zeigen. Ich klopfte, und nach längerem Warten öffnete eine ältere Frau die Tür. Mürrisch sagte sie: "Es ist geschlossen!" Dann schaute sie den Herrn neben mir an und fragte: "Woher kommt er?" - "Aus Deutschland", erwiderte ich. - "Aus Deutschland? Dann ist er ein guter Mensch. Kommen Sie herein, ich lade Sie ein!"