1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

USA und Europa in der Kritik

Astrid Prange5. Juli 2013

In Lateinamerika lebt das alte Feindbild USA wieder auf. Doch nach dem Zwangsstopp von Boliviens Staatschef Morales in Wien wächst auch der Unmut über die Haltung Europas. Kolumbien warnt vor einem diplomatischen Eklat.

https://p.dw.com/p/192OB
Protestbanner gegen die USA in Puerto Rico (Foto: picture alliance/dpa)
Protestbanner gegen die USA in Puerto RicoBild: picture-alliance/dpa

Ausgerechnet am amerikanischen Nationalfeiertag ist die US-Botschaft in Bolivien hermetisch abgeriegelt. Vor dem weißen, wuchtigen Hochhaus im Zentrum von La Paz haben Polizisten eine Phalanx gebildet, um ungebetene Besucher fernzuhalten. Hinter den Mauern herrscht Stille. Die Feier zum 4. Juli wurde kurzfristig abgesagt.

Die Botschaft in La Paz (Foto: Getty Images)
Was passiert mit der US-Botschaft?Bild: AFP/Getty Images

Nach dem erzwungenen Zwischenstopp von Boliviens Staatschef Evo Morales in der Nacht zum Mittwoch in Wien herrscht politische Eiszeit zwischen La Paz und Washington. Südamerika 'begeht' den amerikanischen Nationalfeiertag mit einem diplomatischen Krisengipfel im bolivianischen Cochabamba.

Auf diesem droht Morales sogar, den USA die Botschaft in La Paz zu schließen. "Wir brauchen die US-Botschaft nicht", gab sich Boliviens Präsident trotzig. Lateinamerika, China, Russland und einige europäische Staaten seien die neuen Alliierten Boliviens.

Südamerika protestiert

Dass nach ihrer Lesart ausgerechnet die USA unter Präsident Barack Obama gegen das von den amerikanischen Gründungsvätern 1776 postulierte Recht auf Freiheit verstieß, hat bei vielen Menschen in der Region einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. "Das illegale Festhalten des bolivianischen Präsidenten Morales ist nicht nur eine Demütigung eines befreundeten Nachbarlandes, sondern des ganzen südamerikanischen Kontinents", stellte Argentiniens Staatschefin Cristina Kirchner gegenüber der Zeitung "Clarin" klar.

"Evo si, Yanquis no" (Evo ja, Amerikaner nein) - so lautete der Schlachtruf der Anhänger des bolivianischen Präsidenten, der am 3. Juli kurz vor Mitternacht (Ortszeit) wieder in La Paz landete. Der Ärger über die herablassende Behandlung des Staatschefs hat mittlerweile den ganzen Kontinent erfasst und das alte Feindbild des US-Imperialismus wieder aufleben lassen. Nur Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos warnte davor, den diplomatischen Konflikt eskalieren zu lassen.

Boliviens Präsident Evo Morales und sein Stellvertreter Alvaro Garcia Linera (Foto: Reuters)
Bei seiner Ankunft in Bolivien wird Präsident Evo Morales als Held gefeiertBild: Reuters

"Die USA stellen in unangemessener Weise ihr nationales Geheimhaltungsinteresse über internationales Recht", erklärte Günther Maihold gegenüber der DW. Der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, der zurzeit am Wilhelm-und-Alexander-von Humboldt-Lehrstuhl am Colegio de Mexico lehrt, attestiert Obama einen "massiven Verlust an Glaubwürdigkeit". in Lateinamerika. "Für die USA kann sich dies zu einem dauerhaften Schaden auswachsen", meint Maihold. So könne es zum Beispiel bei Kooperationsabkommen mit den USA künftig immer mehr Vorbehalte geben.

Europa blamiert sich

Nicht nur die Amerikaner sitzen auf der Anklagebank, auch die Europäer. "Die europäischen Regierungen haben sich herablassend gegenüber dem Präsidenten eines souveränen Landes verhalten", erklärte der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa bei einer Veranstaltung über Pressefreiheit in Lateinamerika, die im Amerikahaus in Madrid stattfand. Der Vorfall sei inakzeptabel, protestierte Vargas Llosa gegenüber der Presse.

Mario Vargas Llosa (Foto: dpa)
Enttäuscht von Europa: Literaturnobelpreisträger Mario Vargas LlosaBild: picture-alliance/dpa

In Südamerika rief das widersprüchliche Verhalten der Europäer gleichermaßen Entsetzen und Unverständnis hervor. Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff verlangte in einer offiziellen Verlautbarung eine Entschuldigung für den Verstoß gegen geltendes Recht. "Die Haltung einiger europäischer Regierungen ist erschreckend", fügte Rousseff hinzu. Schließlich seien sie selbst von den USA ausspioniert worden und hätten genau deshalb das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa hinterfragt.

Boliviens Vize-Präsident Alvaro Garcia Linera ließ seiner Empörung gegenüber der spanischen Zeitung "El País" freien Lauf: "Mit diesem diplomatischen Zwischenfall haben einige Länder Europas ihre eigene Würde verletzt. Die Kolonien sind nicht in Amerika oder Afrika, sondern bedauernswerterweise in Europa".

Debatte bleibt aus

'Die Rolle Europas stößt auch Lateinamerika-Expertin Marianne Braig übel auf. Sie meint, nicht Lateinamerika habe sich blamiert, sondern Europa. "Am schlimmsten finde ich das Schweigen Europas", erklärt Braig, die am Lateinamerika-Institut der FU Berlin Politikwissenschaft lehrt. "Warum kommt bei uns keine Debatte über ein Asylrecht für Snowden zustande?" Es gebe schließlich internationale Regeln, auf die sich Deutschland und die EU berufen könnten.

Demonstranten in Berlin fordern Asyl für Edward Snowden (Foto: Reuters)
In der Minderheit: Demonstranten in Berlin fordern Asyl für Edward SnowdenBild: Reuters

Doch der Fall des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden zeige, dass es sich einige Länder leisten können, sich über internationales Recht hinwegzusetzen. Auch wenn der außenpolitische Schaden groß sei, am Kurs der USA werde sich wohl vorläufig nichts ändern, vermutet Günther Maihold. "Nicht nur Europa, auch lateinamerikanische Staaten kooperieren mit den US-Geheimdiensten." Daher gebe es außer Protestnoten nur wenig politische Reaktionsmöglichkeiten, meint der Lateinamerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Als potenzielle Asylgeber kämen deshalb nur Länder in Frage, die "weltpolitisch marginal und existenziell nicht auf die USA angewiesen sind", so Maihold, "zum Beispiel Ecuador, Weißrussland oder Venezuela".