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USA sollen lange im Irak bleiben

Daniel Scheschkewitz, Washington DC3. Dezember 2003

Die Lage im Irak ist gefährlich und unübersichtlich. Auch Sicherheitsexperten sind sich uneinig darüber, wie es in dem Land weitergehen soll. Was taugt Paul Bremers Aufbauplan?

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Zerstörtes Einkaufszentrum in BagdadBild: AP

Über Chancen und Risiken der amerikanischen Strategie im Irak haben in Washington am Dienstag (2.12.2003) unabhängige Sicherheitsexperten diskutiert. Mit uneinheitlichem Ergebnis. Die vom Brookings-Institut versammelten Fachleute hatten sich erst vor kurzem im Land selbst über die aktuelle Lage informiert. Michael O'Hanlon ist einer von ihnen. Er gibt sich überzeugt davon, dass die US-Besatzer die Guerrillaktivitäten schon bald militärisch in den Griff bekommen werden.

Irakische Extremisten "neutralisiert"

"Wir haben mittlerweile zwischen 5000 und 10.000 irakische Extremisten verhaftet oder getötet", erklärt O'Hanlon. Manchmal habe man dabei auch "die Falschen" erschossen oder Personen festgenommen, die sich später als unschuldig heraus stellten und wieder freigelassen wurden. Aber ganz generell hätten die Amerikaner inzwischen schon genauso viele Widerstandskämpfer "neutralisiert", wie derzeit noch gegen sie kämpften. O’Hanlon schätzt deren Zahl auf ungefähr 5000. Ein Großteil dieser Kämpfer würde wegen des Geldes handeln: Jeder getötete US-Soldat soll laut US-Angaben 250 Dollar einbringen.

Ansprechpartner fehlen

Deutlich skeptischer als der Brookings-Mann beurteilt Kenneth Pollock vom Saban Center für Mitteloststudien die zivile Seite des Wiederaufbaus. Hier fehle es den USA eindeutig an geeigneten Übersetzern, Bürokräften, Ingenieuren, kurzum: an Ansprechpartnern für die irakische Bevölkerung.

"Die Amerikaner haben sich in der grünen Zone Bagdads mehr oder weniger verbarrikadiert. Sie haben kaum Kontakt mit der irakischen Bevölkerung und wissen von daher auch wenig, was die Menschen bewegt", so Pollock. Umkehrt seien die Iraker frustriert und empört, weil sie sich mit ihren Problemen an niemanden wenden können – und weil sie nicht wissen, was die Besatzer vorhaben. "Es gibt keinen, der mit ihnen spricht, weil die Amerikaner nur ihren eigenen Schutz im Sinn haben", sagt Pollock.

Besorgnis in den USA

Pollock berichtet, dass viele Iraker besorgt seien, die USA könnten aufgrund der aktuellen Schwierigkeiten dazu neigen, ihre Soldaten zu früh aus dem Irak abzuziehen. Dies wäre ein großer Fehler, meint Pollock. Damit würde der Plan des US-Zivilverwalters für den Irak, Paul Bremer, der einen langsamen Aufbau einer souveränen irakischen Regierung vorsieht, in Frage gestellen werden.

Pollock hält Bremers Plan für "exzellent". Der Widerstand schiitischer Stammesführer gegen indirekte Wahlen sei vor allem taktischer Natur. So versuchten die Schiiten den Einfluss der Exil-iraker im Übergangsrat zurückzudrängen.

Säkulare Regierung unakzeptabel

Juan Cole, Islam-Experte der Michigan Universität, sieht das anders. Er glaubt, dass für die meisten Schiiten im Irak eine säkulare Regierung schlichtweg unakzeptabel sei und sie deshalb vor dem Hintergrund ihrer Bevölkerungsmehrheit auf direkten Wahlen bestünden.

"Man darf nicht vergessen, wogegen die Schiiten im Irak die letzten 35 Jahre gekämpft haben. Das war ein militaristischer, aber säkularer arabischer Nationalstaat unter Führung Saddam Husseins", erklärt Cole. "Davon fühlen sie sich nun befreit und sind nicht bereit, sich von den Amerikanern in ein neues säkulares Korsett zwängen zu lassen."

In einem waren sich die versammelten Irak-Experten jedoch einig: Die irakische Gesellschaft ist für direkte Wahlen noch nicht vorbereitet. Und: das US-Engagement im Irak dürfe nicht von kurzsichtigen innenpolitischen Erwägungen bestimmt werden. Nur wenn Amerika weit über die Präsidentschaftswahl im November 2004 hinaus bereit sei, sich im Irak zu engagieren, habe die Entwicklung einer stabilen und pluralistischen Gesellschaft eine wirkliche Chance.