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Unterhalt für Rabeneltern

Jeanette Seiffert12. Februar 2014

Muss ein Sohn für seinen Vater Unterhalt zahlen, auch wenn dieser den Kontakt vor Jahrzehnten abgebrochen hat? Ja, entschied der Bundesgerichtshof. Ein Grundsatzurteil, das sich auch auf andere Fälle auswirken könnte.

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Foto: Patrick Peul/dpa.
Bild: picture-alliance/ZB

Gerade einmal knapp 18 Jahre war der heute 62-jährige Beamte, als sich sein Vater aus seinem Leben verabschiedete: 43 Jahre lang haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen. Der Vater enterbte ihn - als dieser vor zwei Jahren starb, blieb dem Sohn nur der Pflichtteil. Die Stadt Bremen verlangte dennoch vom Sohn, sich mit rund 9.000 Euro an den Kosten für das Pflegeheim zu beteiligen, in dem der Vater vor seinem Tod lebte. Zu Recht, hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden - und hob damit ein Urteil des Oberlandesgerichts auf.

In der mündlichen Verhandlung im Januar hatten die Familienrichter noch klargestellt, dass Eltern, die den Kontakt zu ihren Kindern kontinuierlich verweigern, die "familienrechtliche Solidarität" aufgeben. Wegen solch einer "vorsätzlichen schweren Verfehlung" könnten sie daher den Anspruch auf Elternunterhalt teilweise verlieren.

Verwandtschaft vor Solidarität?

In der Urteilsbegründung liest sich das nun ganz anders: Auch wenn der Vater später das familiäre Band zerschnitten habe, habe er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um ihn gekümmert. Er habe damit seine Elternpflichten im Wesentlichen erfüllt. Auch das Testament des Vaters führe nicht dazu, dass dieser keinen Anspruch mehr auf Elternunterhalt habe. Er habe lediglich von seinem Recht Gebrauch gemacht, selbst über sein Vermögen zu bestimmen, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts.

Richter verhandeln über Elternunterhalt. Foto: Foto: Uli Deck dpa/lsw
Verhandlung über Elternunterhalt: Kommen die Gerichte an die Grenzen ihrer Urteilsfähigkeit?Bild: picture-alliance/dpa

"Ich halte das Urteil für wenig hilfreich", meint dagegen der Dortmunder Familienanwalt Jörn Hauß. Er rechne auch nicht damit, dass es in der Öffentlichkeit auf Verständnis stoßen werde: "Der Vater hat sich bewusst vom Sohn abgewandt - und man wird kaum verstehen können, dass man jemanden zu familiärer Solidarität zwingt, der diese Solidarität selbst nicht erfahren hat."

Scheidungskinder wehren sich

Das Urteil könnte weit reichende Folgen haben: Denn in Deutschland leben immer mehr alte Menschen, deren Pflege bezahlt werden muss. Die Leistungen der Pflegeversicherung decken meist nur einen kleinen Teil der hohen Kosten in Pflegeheimen. Gerade Fälle wie der aktuelle dürften in Zukunft immer häufiger vorkommen: Denn es gibt immer mehr Scheidungskinder, die keinen Kontakt mehr zu einem Elternteil haben - und sich fragen, warum sie dann später für dessen Unterhalt zahlen sollen.

Junge Mütter im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Foto: Foto: Peer Grimm/dpa
Aufwachsen ohne Vater - und später für ihn zahlen?Bild: picture alliance/dpa

Noch komme es deshalb nur selten zu Gerichtsverfahren, betont der Bremer Sozialstaatsrat Horst Frehe: "Wir haben nicht so viele Fälle, in denen sich Angehörige gegen die Zahlung von Heimkosten wehren - insofern sind wir froh, dass nach diesem Urteil Rechtssicherheit herrscht." Er geht davon aus, dass es künftig bei der Unterhaltspflicht keine Rolle mehr spielt, ob es zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das Kind erwachsen geworden ist, zu Konflikten oder Zerwürfnissen komme: "Da ist vom Gericht jetzt zum Glück Klarheit geschaffen worden", sagte er im DW-Interview. In den meisten Fällen gehe es allerdings darum, dass die Kinder keine Unterstützung leisten können, weil sie zu wenig verdienen. Die Zuschüsse zu Pflegeleistungen für Menschen mit geringem Einkommen kosten allein den kleinen Stadtstaat Bremen jedes Jahr über 150 Millionen Euro.

Grundsatzentscheidung - oder Einzelfall?

Brunhilde Ackermann, Anwältin des Beklagten im aktuellen Fall vor dem BGH, sieht in dem Urteil aber keine generelle Unterhaltsverpflichtung von Kindern gegenüber ihren Eltern: "Kein Fall ist wie der andere", sagte sie der DW. "Und es wird in der Praxis sicherlich Fälle geben, die ganz anders gelagert sind."

Familienrechtler Jörn Hauß warnt sogar davor, dass das aktuelle Urteil Schule machen könnte: "Wenn man diese Verantwortungslosigkeit des Vaters sanktionslos hinnimmt, dann wird die Familie zum Reparaturbetrieb staatlicher Fehlleistungen," kritisierte er im DW-Interview. Das wahre Problem liege nämlich darin, dass die Leistungen aus der Pflegeversicherung nicht ausreichten, um die Heimkosten alter Menschen zu decken. "Wäre das staatliche Pflegegeld höher, müsste man gar nicht erst auf die Kinder zurückgreifen."

Demenzkranke Frau wird im Pflegeheim betreut. Foto: Stefan Puchner/dpa
Kann schnell sehr teuer werden: Pflege im AltenheimBild: picture-alliance/dpa

Kein zeitgemäßes Urteil

Für ihn hat der aktuelle Fall vor allem eines gezeigt: Dass das entsprechende Gesetz überarbeitet werden muss. Er kritisiert, dass die Richter die reine Verwandtschaft vor die elterliche Verantwortung des Vaters gestellt haben: "Das Problem scheint mir hier zu sein, dass der BGH nicht nach der Qualität familiärer Beziehungen fragt, sondern aus der bloßen Institution der Familien Rechte und Pflichten ableitet", argumentiert der Familienrechtler: "Das halte ich für nicht mehr zeitgemäß."