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Unser Gast vom 24.05.2009 Frido Mann, Schriftsteller und Psychologe

Moderator Hajo Schumacher spricht mit Frido Mann über Söhne, Schriftsteller und die Suche nach dem richtigen Weg im Leben.

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Bild: DW-TV

Frido Mann war der Lieblingsenkel von Thomas Mann. Der Literaturnobelpreisträger setzte ihm in Gestalt des Nepomuk Schneidewein im Roman "Doktor Faustus" ein literarisches Denkmal. Eine Hypothek, die ihn zeitlebens belastete, wie er in seiner Autobiographie “Achterbahn” bekennt. Er studierte Musik in Zürich und Rom, dann Theologie und Psychologie in Deutschland. Nach einer therapeutischen Tätigkeit im Krankenhaus habilitierte er und erhielt eine Professur in Münster. Anfang der Achtziger tritt er dann doch in die Fußstapfen seines Großvaters und fängt an zu schreiben. Die Erfahrungen als Psychologe prägen auch sein schriftstellerisches Werk, in dem er sich häufig mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzt.

Frido Mann wird 1940 im kalifornischen Monterey geboren, wo die Familie Mann nach der Flucht aus Nazi-Deutschland im Exil lebt. Sein Vater, der Musiker und Germanist Michael Mann, gehört mit Golo und Monika zu den ungeliebten Kindern des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Die Ablehnung, die Michael von seinem Vater erfährt gibt er unmittelbar an die Kinder weiter. Er steckt den Sohn zuerst in Landschulheime und Internate, dann kommandiert er ihn zu den Großeltern ab und legt ihm gegenüber immer wieder eine manchmal auch gewalttätige Feindseligkeit an den Tag. Elternhausersatz bieten die Großeltern Thomas und Katia Mann, zuerst in Pacific Palisades, dann in Kilchberg bei Zürich, wo Frido Mann auch später noch, während seines Musikstudiums, einige Jahre wohnt.

Der Lieblingsenkel

Thomas Mann nimmt sich des Enkels liebevoll an, spricht sogar von ihm als seiner "letzten Liebe:" Fridolin Mann war unbestritten der Lieblingsenkel von Thomas Mann. Begeisterte Tagebucheinträge des Großvaters bekunden das. Und der Großvater setzt dem Enkel in Gestalt des Nepomuk Schneidewein in seinem Roman "Doktor Faustus" ein literarisches Denkmal. Doch die Frage, warum die Romanfigur Nepomuk Schneidewein mit vier Jahren qualvoll an Meningitis sterben musste, begleitet den Lieblingsenkel sein Leben lang. Als "Doktor Faustus" 1947 erscheint, ist Frido Mann sieben Jahre alt und lebt oft bei den Großeltern in Los Angeles. Mit 13 Jahren liest er den "Doktor Faustus" und fühlt sich missbraucht, ausgenutzt und verletzt. Jahrzehnte weigert er sich, weitere Bücher des Großvaters zu lesen.

Frido Mann ist 15, als sein Großvater stirbt. Bis heute erinnert er sich an seine Gefühle auf dem Friedhof in Kilchberg: "Es war schon eine ganz merkwürdige Mischung, die ich in der Kirche beim Gottesdienst empfunden habe", so Frido Mann. "Und dann auf dem ganzen Weg zum Friedhof: bestürzte Trauer einerseits, aber auch irgendwo unterschwellig ein Gefühl der Befreiung, fast Triumph möchte ich nicht sagen, aber Befreiung, dass dieser riesige Schatten, aber auch diese Überliebe weg war. Ich dachte, jetzt bin ich aber auch frei, selbst zu tun, was ich will."

Befreiung und Erweckung

Frido Mann absolviert Ausbildung um Ausbildung, wechselt ein um das andere Mal den Beruf und ist dabei ebenso erfolgreich wie unglücklich. Ein Musikstudium ergreift er in dem Moment, in dem sein Vater, der weit entfernt von den Kindern in Kalifornien lebt, den Beruf als Bratschist bei der San Francisco Symphony aufgibt und sich der Germanistik zuwendet. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Musikstudiums, findet er eine Anstellung als Korrepetitor am Züricher Opernhaus. Doch ein einschneidendes Erlebnis im Winter 1963 gibt dem Leben des 22jährigen schnell eine erneute Wendung:

Geprobt wird Wagners «Parsifal»; er legt den Weg zwischen seinem Arbeitsplatz und dem Kilchberger Haus der Grosseltern, wo er seit seiner Gymnasialzeit wohnt, bei arktischer Kälte zu Fuss zurück. Eines Abends befällt ihn mitten auf dem See eine regelrechte Eisvision. Die Wagner-Klänge, die ihm noch im Kopf kreisen, verschmelzen mit wirren Erinnerungen an das Andersen-Märchen von der Schneekönigin, das sein Grossvater ihm einst vorgelesen hatte. Zuletzt kommt es zu «furchterregenden optischen und akustischen Halluzinationen », die in Selbstmordphantasien münden. Mit knapper Not findet er den Weg nach Hause, geht wie in Trance in die Bibliothek, zieht einen Band der Brockhaus-Enzyklopädie aus dem Regal und schlägt den Artikel «Jesus Christus» auf. In dieser Nacht beschliesst er, Theologie zu studieren und vollzieht eine radikale Wendung: der Abkömmling erzprotestantischer und jüdischer Bürgerhäuser wird Katholik. Der frisch diplomierte Pianist und Dirigent nimmt Konvertitenunterricht, lässt sich in Florenz taufen und wählt als Studienort München, um dem Kilchberger «Museum» zu entkommen.

Die Suche endet

In der katholischen Theologie findet er seine neue geistige Heimat. Er promoviert, wird Assistent des berühmten Karl Rahner, schlägt aber einen Lehrstuhl für Fundamentaltheologie aus. Stattdessen studiert er Psychologie und bringt es zum Direktor des medizinpsychologischen Instituts der Universität Münster. Gleichzeitig ist er Student der Medizin. 1978/79 geht er (als Schweizer Staatsbürger) in die DDR und habilitiert sich als Psychotherapeut an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Nach Münster zurückgekehrt, will ihn dort keiner mehr haben. Zum wiederholten Mal landet Frido in einem "Niemandsland" zwischen allen akademischen wie ideologischen Stühlen. Aus dem vorerst letzten "Wendepunkt" geht er Mitte der Achtzigerjahre als Schriftsteller hervor, sein Medizinstudium bricht er ab. In schneller Folge schreibt er sieben Romane, sucht in Brasilien, sich nunmehr seiner Herkunftsfamilie zuwendend, nach Spuren seiner Urgroßmutter Julia Mann-Bruhns-da Silva. Er gründet den Verein "Casa Mann" und errichtet im Geburtshaus der Urgroßmutter in Paraty ein internationales Kultur- und Begegnungszentrum, das sich dem weltethischen Programm von Hans Küng verpflichtet fühlt. Aus der katholischen Kirche ist er mittlerweile ausgetreten. Anlaß war der Umgang der Kirche mit den Pius-Brüdern und dem Holocaust-Leugner Williamson.
Frido Mann lebt heute als freier Schriftsteller zusammen mit seiner Frau Christine Heisenberg, der Tochter des Physiknobelpreisträgers Werner Heisenberg, in Pfäffikon/Schweiz und in Göttingen. Mit ihr zusammen hat er den Sohn Stefan (geb. 1968).