1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Türkei: Erdogan macht Sender dicht

Daniel Heinrich
29. September 2016

Die türkische Regierung hat den Ausnahmezustand verlängert. Neben der Gülen-Bewegung geht sie vor allem gegen die PKK und kritische Medienhäuser vor. Sogar ein Sender für Kinder musste seine Ausstrahlung einstellen.

https://p.dw.com/p/2Qkbb
Symbolbild Pressefreiheit Türkei
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Die Website von Zorak-TV erschlägt einen fast mit vielen bunten Farben, Clips von hüpfenden, kugelnden oder - im Falle Biene Mayas - fliegenden Zeichentrick-Charakteren. Zorak-TV ist ein kurdischer Zeichentrickkanal - und dessen Satellitenempfang haben die Behörden in der Türkei unterbrochen, neben neun anderen Sendern. Vermutlich ist auch seine Website dort nicht mehr aufrufbar.

Für Ali Toprak ist der Fall klar: "Die kurdisch-sprachigen Sender haben noch zum kläglichen Rest der Opposition gehört. Ansonsten ist die Presselandschaft in der Türkei schon seit längerem fast gleichgeschaltet." Der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland moniert, dass die staatlichen Sender nicht kritisch berichteten, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan werde 24 Stunden am Tag förmlich in den Himmel gehoben. "Bald wird es gar keine freie Presse mehr in der Türkei geben."

Ein Beispiel ist das des Journalisten Mahir Zeynalov, dessen Twitter-Account die türkische Regierung sperren lassen wollte.

Die Lage für kritische Journalisten ist in der Türkei mehr als schwierig. Reporter ohne Grenzen listet das Land auf Platz 151 der Pressefreiheit von insgesamt 180. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putsch Mitte Juli geraten oppositionelle Medienhäuser verstärkt in den Fokus der Regierung.

Doppeltes Feindbild

Über das ganze Land rollt eine Verhaftungswelle, die nicht nur Journalisten trifft. Laut Justizminister Bezir Bozdag sind bisher 32.000 Verdächtige verhaftet worden, gegen 70.000 Menschen werde ermittelt.

Türkei Verhaftungen
Die Verhaftungen in der Türkei reißen nicht abBild: AFP/Getty Images

Kristian Brakel leitet die Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul: "Die Tatsache, dass man gegen diese Satellitensender vorgeht, geht Hand in Hand mit dem Vorgehen gegen die Putschisten." Die Regierung habe sich auf zwei feindliche Gruppen festgelegt. "Auf der einen Seite steht die Terrororganisation PKK mit ihren Waffen und ihren Anschlägen. Auf der anderen Seite steht die Gülen-Bewegung mit ihrem Geld, ihrem Einfluss und ihrem Wissen über die Interna der Erdogan-Regierung." Bei der Gülen-Bewegung komme hinzu, dass sich zumindest Teile an dem Putschversuch Mitte Juli beteiligt hätten.

Regierung per Dekret

Der Ausnahmezustand verleiht Erdogan ungeahnte Macht. Seine Erlasse haben seitdem direkt Gesetzeskraft und das Parlament muss sie lediglich nachträglich billigen. Da die Regierungspartei AKP dabei auf die Unterstützung der ultranationalistischen MHP setzen kann, gibt es im Parlament eine breite Mehrheit für den Staatspräsidenten.

Für Kristian Brakel hebelt sich die parlamentarische Demokratie dadurch selbst aus. Die türkische Öffentlichkeit stünde allerdings zu den Maßnahmen der Regierung: "Wenn Sie eine Meinungsumfrage in der Türkei machen, finden Sie wahrscheinlich eine Mehrheit, die sagt, dass sie den Ausnahmezustand unterstützt. Man muss betonen: Der durchschnittliche Bürger ist von diesem Ausnahmezustand nicht betroffen."

EU stiehlt sich aus der Verantwortung

Ali Toprak kennt die Geschichten derjenigen, die betroffen sind. Gerade deswegen habe er Angst um die Zukunft der Türkei. Toprak ist traurig und wütend. Sein Ärger richtet sich gen Brüssel. Für ihn schaut die Europäische Union den Ereignissen in der Türkei seit langem nur noch zu: "Die EU hat sich durch den Flüchtlingsdeal vollkommen abhängig gemacht von der Türkei." Toprak sieht auch die deutsche Regierung in der Verantwortung und fügt hinzu: "Die Werte der EU, Pressefreiheit, Menschenrechte scheinen überhaupt keine Bedeutung mehr zu haben. Das sieht man daran, dass wir die Beitrittsgespräche mit der Türkei weiterführen. Dadurch sieht sich Erdogan natürlich noch mehr bestärkt."

Türkei Erdogan bringt Ausweitung des Ausnahmezustands auf ein Jahr ins Spiel
Erdogan hat ins Spiel gebracht, den Ausnahmezustand auf ein Jahr auszuweitenBild: AFP/Getty Images

Auch Kristian Brakel beobachtet eine zunehmend selbstbewusste türkische Regierung. Ihn beunruhigt vor allem das Ausmaß der Maßnahmen. Das Problem sei, dass inzwischen längst nicht mehr nur Gülen- und PKK-Anhänger unter Druck gerieten, sondern auch Leute, die zur demokratischen Opposition gehörten. "Der Ausnahmezustand ermöglicht viele Dinge, die der Regierung sonst nicht möglich wären. Und sie bereitet auch etwas ganz anderes vor: Sie drückt das Parlament mehr und mehr in die Ecke. Das könnte eine langfristige Strategie sein, die Präsident Erdogan verfolgt."

Für Ali Toprak ist das Ende der Repression noch lange nicht erreicht: "Ich vermute, dass Erdogan diesen Ausnahmezustand für ein weiteres Jahr verlängert. In dieser Zeit wird er die kläglichen Reste der oppositionellen Presse beseitigen, er wird jede kritische Stimme beseitigen. Nächstes Jahr wird er Neuwahlen ankündigen und seine Präsidialdiktatur ausrufen."