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Europaweit: Fünf gegen die Langeweile

Bernd Riegert16. Mai 2014

Europaweit übertragen, vielsprachig und erstmals mit allen fünf Spitzenkandidaten: Die Live-Show aus Brüssel sollte der Höhepunkt des Wahlkampfs für die Europawahl nächste Woche werden. Hat das geklappt?

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Wahlkampfdebatte Eurovision (Foto: DW)
Bild: Bernd Riegert

Der Spitzenkandidat der Sozialisten lobte sich selbst und die Fernsehmacher der Eurovision am Ende der Debatte. Früher sei der Europawahlkampf langweilig gewesen, jetzt sei er mit den Fernsehdebatten der Kandidaten für das europäische Spitzenamt doch viel abwechslungsreicher, so Martin Schulz. Und selbstbewusst fügte der deutsche Sozialdemokrat hinzu: "Der neue EU-Kommissionspräsident wird einer von uns fünf Kandidaten sein. Er spricht gerade mit Ihnen!" Gelächter von seinen Gegnern. Applaus von den Anhängern im Plenarsaal, der mit viel technischem Aufwand in ein blau schimmerndes Fernsehstudio umgebaut wurde.

Die Eurovision, die Vereinigung der großen europäischen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, hatte die Debatte organisiert. Sie wurde erstmals gleichzeitig in rund 25 europäischen Staaten übertragen und von zahlreichen Internet-Plattformen übernommen. Wie viele Zuschauer tatsächlich von dieser Premiere angelockt wurden, ist schwer zu sagen. Die meisten Fernsehanstalten trauten dem Experiment nicht und schoben die Debatte in Spartenkanäle und Nachrichtenprogramme ab. Die BBC etwa verbannte die Sendung in den Parlamentskanal. In Deutschland übertrug nur der Dokumentationskanal Phoenix. Die Deutsche Welle strahlte das Erstlingswerk der Wahlkämpfer allerdings komplett auf Englisch aus. In den sozialen Medien konnte die Fernsehdebatte kommentiert werden. Ein aufgeregter jugendlicher Ko-Moderator präsentierte stolz 62000 Einträge auf Twitter. Getwittert wurde allerdings am heftigsten unter den Schlagworten "Widerstand der Roma", "Transatlantisches Handelsabkommen" und "Idaho". Die hatten allerdings herzlich wenig mit den tatsächlichen Themen des Schlagabtauschs auf der riesigen Bühne im Plenarsaal zu tun. Idaho?

Nur einer tanzt aus der Reihe

Beherrschendes Element der Debatte war eine riesige Count-Down-Uhr, die über den Köpfen der fünf Politiker schwebend die Sekunden der Redezeit abzählte. Die italienische Moderatorin Monica Maggioni hatte alle Mühe, die Zeitdisziplin durchzusetzen. Manchmal verhedderte sie sich auch in den komplizierten Debattenregeln, auf die sich die Teams der Kandidaten vor der Show geeinigt hatten. Wer wann zu was und wie lange sprechen sollte, war nicht immer ganz logisch. Die Uhr würgte oft einen echten Schlagabtausch ab. Es ging immer schön der Reihe nach.

Alexis Tsipras (li.) und Ska Keller (Foto: DW)
Alexis Tsipras (li.) und Ska Keller: Wenig GemeinsamkeitenBild: Bernd Riegert

Die altbekannten Argumente zur Euro-Krise, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingspolitik trugen die Spitzenpolitiker vor, ab und an gewürzt mit einer kleinen Spitze gegen die Mitbewerber links und rechts an den Stehpulten. Der einzige, der etwas aus der Reihe tanzte, war der Spitzenkandidat der Linken, Alexis Tsipras. Er führt in Griechenland ein äußerst erfolgreiches Parteienbündnis gegen die Rettungsschirme für Griechenland und die mit ihnen verbundene Sparpolitik. Tsipras forderte eine Ende der Sparsamkeit und mehr Schulden, also das Gegenteil der heutigen EU-Politik. "Die Leute lehnen dieses Europa ab. Deshalb müssen wir eine Alternative anbieten. Die kann nicht heißen, die europäische Integration noch weiter auszuweiten. Die Natur der Europäischen Union muss geändert werden. Wir müssen eine neue Vision anbieten. Wir brauchen eine Alternative zu Austerität und Sparpolitik." Welche das sein soll, ließ der griechische Volkstribun allerdings offen. Nachgefragt wurde auch nicht.

Wenig neue Argumente im neuen Sendeformat

Die anderen vier Kandidaten, Jean-Claude Juncker (Konservative), Ska Keller (Grüne), Guy Verhofstadt (Liberale) und Martin Schulz (Sozialisten) verteidigten die Euro-Rettung mehr oder weniger vehement. Guy Verhofstadt plädierte für den Erhalt der Gemeinschaftswährung. Ohne den Euro würden nationale Währungen wie früher die italienische Lira oder die griechische Drachme einfach abgewertet mit dramatischen Folgen für die Vermögen der Menschen: "Das ist die Wahrheit. Wir müssen den normalen Leuten sagen, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen ihren eigenen persönlichen Interessen schaden würde. Das ist keine Lösung für ihre Probleme." Die Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten geißelten alle fünf Kandidaten als größtes Problem. Der Konservative Jean-Claude Juncker, der selbst als Chef der Euro-Gruppe an dessen Rettung maßgeblich mitgearbeitet hat, gab sich als Beschützer der kleinen Leute: "Ich bin für einen Mindestlohn überall in Griechenland und überall in Europa. Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können. Wir brauchen einen Mindeststandard an sozialer Gesetzgebung. Wenn wir die arbeitenden Menschen nicht vom europäischen Projekt überzeugen können, dann kommen wir in große Schwierigkeiten."

Martin Schulz (li.) und Jean-Claude Juncker (Foto: DW)
Meistens einig: Martin Schulz (li.) und Jean-Claude JunckerBild: Bernd Riegert

In diesem Punkt ist Juncker mit seinem Freund Martin Schulz völlig einig. Schulz gab eher den zerknirschten Nachdenklichen in der Runde. "Wir haben das größte Kapital der EU verspielt, und zwar das Vertrauen der Menschen. Dieses Vertrauen müssen wir wieder gewinnen. Wir müssen ihnen sagen, wir kämpfen gegen eure Armut und euer Elend. Wir wollen euren Kinder eine Chance im Leben geben. Dann bekommen wir Vertrauen zurück", sagte Schulz, der seit vielen Jahren im Europäischen Parlament am Verlust des Vertrauens mitgearbeitet hat. Jetzt fordert er als Kandidat eine andere EU, nicht mehr Europa. Die hartgesottenen Europa-Gegner aus dem rechten Lager durften oder wollten nicht mitreden. Sie hatten keinen gemeinsamen Spitzenkandidaten aufgestellt, der an der Fernsehdebatte der Eurovision hätte teilnehmen können.

EU-Mitarbeiter und Freunde vor dem Parlament (Foto: DW)
Entspannung während der TV-Debatte: EU-Mitarbeiter und Freunde vor dem ParlamentBild: Bernd Riegert

Schaut Europa nach dem Song-Contest jetzt auch den Politik-Wettbewerb?

Wer den ersten europäischen Schlagabtausch der Spitzenkandidaten gewonnen hat, lässt sich schwer sagen. Das wurde nach der Debatte noch heftig in der "Spin Alley" diskutiert. Die hatten sich die Wahlkämpfer in amerikanischen TV-Duellen abgeguckt. Jeder Kandidat hatte im Wandelgang einen kleinen Stand aufgebaut, an dem Zuschauer und Journalisten noch mit Argumenten versorgt wurden. Die rund 500 Zuschauer im Saal waren meist Parteianhänger oder handverlesene Mitarbeiter der Abgeordneten und des Parlaments, die gruppenweise für ihre Kandidaten klatschten. "Das ganze erinnert mich von der europäischen Öffentlichkeit her an den Eurovision Song Contest, nur ohne Musik", sagte eine Mitarbeiterin der Liberalen nach der Show. Die Eurovison hatte am vergangenen Wochenende das Musikfest übertragen, bei der Conchita Wurst gewonnen hatte. Tatsächlich war der Song Contest bis heute die einzige paneuropäische Fernsehsendung in Dutzenden von Sprachen. Jetzt ist die Wahlkampfdebatte dazugekommen. Nicht ganz so bunt, überhaupt nicht schrill und wegen der gleichen Meinungen nicht ganz so aufregend, wie die Macher vielleicht gehofft hatten. Das Publikum konnte sich nach 90 Minuten gleich vor der Tür des Parlaments in Brüssel belohnen. Da feierten wie jeden Donnerstag Hunderte EU-Mitarbeiter auf dem "Luxemburg-Platz" mit belgischem Bier. Diesmal lief auf den Fernsehern der umliegenden Kneipen statt Fußball eben Wahlkampf aus dem Plenarsaal.