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Tillich: Mit Braunkohle zur Energiewende

7. Juni 2011

Woher soll der Strom kommen, wenn die Atomkraftwerke vom Netz gehen? Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich erklärt im DW-Interview, warum seiner Meinung nach Braunkohle einen Teil der Versorgungslücke füllen soll.

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Stanislaw Tillich vor Mikrofonen im Sächsischen Landtag
Stanislaw TillichBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Ministerpräsident Tillich, als die Bundeskanzlerin einen schnellen Atomausstieg verkündete, gab es Widerspruch vor allem von ostdeutschen CDU-Politikern und auch Mitgliedern. Kann das daran liegen, dass in den ostdeutschen CDU-Verbänden mehr Ingenieure, mehr Naturwissenschaftler sind, die manches etwas kritischer sehen als Juristen und Politologen, die die westdeutschen Verbände dominieren?

Stanislaw Tillich: Das ist an sich keine Ost-West-Angelegenheit. Es ist aber richtig: Wenn man sich mit dem Sachverhalt auseinandersetzt, kommt man als Ingenieur natürlich immer an die Fragen, die in der Tat zu beantworten sind. Dann gibt es die anderen, die sagen, das muss jetzt politisch entschieden werden. Man kann vieles, auch in der Energiepolitik, politisch entscheiden. Man kann aber die Physik und auch die Mathematik nicht außer Kraft setzen. Und das muss man dem Bürger auch sagen. Ich hatte letzte Woche den tschechischen Ministerpräsidenten zu Besuch. Die Tschechen gehen davon aus, dass bei einem kompletten Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland der Energiepreis in der Tschechischen Republik um 30 Prozent steigt. Unsere Experten, die in der Energiebranche zuhause sind, halten es für sehr optimistisch, wenn die deutsche Netzagentur sagt, dass Strom einen Cent pro Kilowattstunde teurer wird. Man weiß ja noch gar nicht, welche Investitionen nötig sein werden.

Sie selbst sind Ingenieur. Sie haben kürzlich in einer Regierungserklärung die Zusammenhänge aus Ihrer Sicht dargestellt, etwa zwischen Energiekosten und Arbeitsplätzen. Fürchten Sie da negative Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft?

Eine unserer Hauptforderungen ist, dass die Energiepreise in Deutschland wettbewerbsfähig sein müssen. Gelegentlich wird so getan, als ob der Einzelkunde, also Sie oder ich als Stromkunde, entscheidend ist. Nein, es ist die Industrie, für die mittlerweile vielfach nicht mehr die Sozialpolitik oder die Lohnstückkosten den Ausschlag geben, sondern die Energiekosten. Wenn man heute weiß, dass Kernenergie in der Herstellung ungefähr 2,4 Cent pro Kilowattstunde kostet, Kohle ähnlich, Wind sich zur Zeit bei 9 Cent pro Kilowattstunde bewegt und Gas zwischen 4,1 und 4,6 Cent, dann weiß man, wenn man aus der Kernenergie aussteigt und andere Energien diese Lücke schließen sollen, dass damit die Energie automatisch teurer wird. Wir wollen ja, dass Deutschland Industriestandort bleibt. Nicht nur die Stahlwirtschaft und die Zementindustrie, sondern auch unsere Halbleiterindustrie verbraucht sehr viel Energie und ist natürlich im Wettbewerb auf kostengünstige Energie angewiesen.

Wind und Sonne haben auch die Eigenschaft, dass sie sehr unregelmäßig Energie liefern. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vor allem auf die Braunkohle hingewiesen, die Lücken schließen soll. Aber ist nicht die Braunkohle zu schwerfällig, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen?

Ein Arbeiter mit Schutzhelm vor einem Baggerarm im Braunkohle-Tagebau
Sächsische Braunkohle, wie hier aus Reichwalde, soll die Kernkraft teilweise ersetzen, fordert Ministerpräsident TillichBild: picture-alliance/dpa

Wir brauchen auch Gaskraftwerke, die noch schneller sind. Aber auch die Kohlekraftwerke von heute sind viel flexibler, als sie das noch vor zehn Jahren waren. Außerdem müssen wir uns auch die Frage stellen: Wollen wir die Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten, von Erdgas und Erdöl vergrößern, oder wollen wir weiter einheimische Rohstoffe verwenden? Und deshalb meine ich, man muss ehrlich sein und sagen: Kohle und Gas sind im Prinzip diejenigen, die die Lücke der Kernenergie schließen können und damit überhaupt erst die Energiewende hin zu den Erneuerbaren ermöglichen können.

Nun ist ja Braunkohle auch eine Energieform, die besonders viel CO2 ausstößt, und wegen des Klimaschutzes wollte man davon eigentlich herunterkommen. Wie können Sie rechtfertigen, dass Sie trotzdem auf Braunkohle setzen?

Man kann natürlich auch aus der Kohle aussteigen wollen. Es gibt ja tatsächlich Verfechter, die behaupten, man könne sowohl aus der Kernenergie als auch der Kohle aussteigen, und das sofort. Dann kommt es dazu, dass mal der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint und sich die Frage stellt, wie ich ein Automobilwerk energetisch aufrecht erhalte. Wir haben noch keine Speichermöglichkeiten im auskömmlichen Rahmen. Die Pumpspeicherwerke, die in Deutschland zur Zeit am Netz sind, sind in vier oder fünf Stunden leergelaufen, das heißt, danach gibt es keinen Strom mehr. Wir stehen da vor einer Fülle an ungelösten Fragen, die in den nächsten Jahren zu beantworten sind, und deshalb müssen wir diesen Energieumstieg mit viel Augenmaß angehen. Kohle hat zugegebenermaßen einen hohen CO2-Anteil, aber gleichwohl ist sie ein einheimischer Rohstoff, und wir sind gerade in Ostdeutschland in der Lage gewesen, den Wirkungsgrad zu erhöhen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Weltweit sind die größten Energievorkommen in Form von Braunkohle vorhanden, sowohl in China als auch in Indien. Und es wäre töricht, wenn Deutschland die Chance vergäbe, hierfür effiziente Technologien zu entwickeln, sie erst in Deutschland anzuwenden und dann den Chinesen oder Indern als Exportgüter anzubieten. Deutschland hat am CO2-Ausstoß einen einprozentigen Weltanteil. China und Indien mit rund zweieinhalb Milliarden Menschen sind die großen Energieverbraucher und werden auch die großen CO2-Emittenten sein, wenn sie Kohle verfeuern. Dort neueste Technologien einzusetzen, wäre sicher klimapolitisch sehr schlau.

Das Gespräch führte Peter Stützle