1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Taurus-Leak: "Keine Offiziere Putins Spielen opfern"

Veröffentlicht 4. März 2024Zuletzt aktualisiert 5. März 2024

Das von Russland abgehörte Gespräch deutscher Offiziere hat ein Ziel Putins schon erreicht: die Unterstützer der Ukraine auseinanderzubringen. Nun reagiert Bundesverteidigungsminister Pistorius auf die Kritik.

https://p.dw.com/p/4d8pK
Ein Taurus-Marschflugkörper unter einem Flügel eines Kampfflugzeugs
Das Objekt langer Diskussionen und Streitigkeiten: der Marschflugkörper TaurusBild: MBDA/abaca/picture alliance

Die Kritik an Deutschland nach dem geleakten Gespräch hochrangiger Luftwaffen-Offiziere über die Verwendbarkeit von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine ist vor allem in Großbritannien scharf: "Wir wissen, dass Deutschland von russischen Geheimdiensten ziemlich durchdrungen ist, was zeigt, dass sie weder sicher noch zuverlässig sind”, sagte der frühere britische Verteidigungsminister Ben Wallace nach Angaben der Londoner Times.  

Der Konservative Wallace hatte bis August 2023 in der britischen Regierung Londons Waffenhilfe für die Ukraine organisiert.  

Am vergangenen Freitag war ein mehr als 38 Minuten langes Gespräch unter Leitung des Inspekteurs der deutschen Luftwaffen, Ingo Gerhartz, in russischen Propaganda-Kanälen veröffentlicht und immer weiter verteilt worden. Die Offiziere hatten die Konferenzsoftware WebEx genutzt. Ein Teilnehmer soll sich von Singapur aus über ein Smartphone eingewählt haben.  

Pistorius bestätigt Datenleck zwei Tage nach Bekanntwerden 

Das Daten-Leck bestätigte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius am Sonntagnachmittag vor Medien in Berlin, zwei Tage nach den ersten Veröffentlichungen und während das Gespräch bereits im russischen Staatsfernsehen propagandistisch ausgeschlachtet wurde.

"In jedem Fall heißt das, dass wir uns auf jede Form von Krieg einstellen müssen, eben auch den eines Hybriden, eines Informations- eines Desinformationskrieges, denn dafür ist das hier ein sehr anschauliches Beispiel", sagte Pistorius während einer Pressekonferenz im Berliner Verteidigungsministerium.  

Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius (rechts im Bild) mit dem Inspekteur der Luftwaffen, Ingo Gerhartz bei einem Besuch des Flieferhorst Holzdorf.
Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius (rechts im Bild) mit dem Inspekteur der Luftwaffen, Ingo Gerhartz. Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

Allerdings: Dass Russland einen hybriden Krieg führt, zu dem Desinformation und Spaltung gehören ist auch in Deutschland zwei Jahre nach Beginn der vollumfänglichen Invasion Russlands in der Ukraine unstrittig. 

Dazu gehöre auch das "Entzünden oder verstärken politischer Gegensätze", so der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz arbeitet, auf der Plattform X, dem früheren Twitter. 

Die deutschen Militärs müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie grob fahrlässig gehandelt haben. Tut sich die Bundeswehr immer noch schwer, sich auf diesen hybriden Krieg Moskaus einzustellen? 

Scharfe Kritik aus dem britischen Unterhaus 

Aus dem britischen Unterhaus fragte der Abgeordnete der regierenden Konservativen und frühere Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Tobias Ellwood mit Blick auf die Deutschen, "warum wurden die grundlegenden Konzeptprotokolle nicht befolgt?"  

"Angesichts der Intensität, mit der Russland Deutschland und andere Länder ausspioniert", so Ellwood gegenüber der BBC am Montag, hätte Moskau kaum mehr durch den Taurus-Leak erfahren, als "was sie nicht schon geahnt hätten."  

Im Verhältnis zu Deutschland aber forderte der konservative Abgeordnete "ernsthafte Gespräche darüber zu führen, warum dies überhaupt geschehen ist." 

Ellwood spart nicht mit Kritik am deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, der die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern weiterhin ablehnt. 

Am Tag nach der ersten öffentlichen Stellungnahme zum Datenleck unterrichtete der deutsche Verteidigungsminister Pistorius die Verbündeten. Er habe dabei "keinerlei Anzeichen dafür wahrgenommen, dass man uns in irgendeiner Weise misstraut, und ich habe auch keine Verärgerung entgegengenommen".

Datenleck bringt Moskau kaum neue Erkenntnisse 

Im DW-Interview zeigt sich der Sicherheitsexperte James Davis von der Universität St. Gallen in der Schweiz wenig erstaunt: "Ich bezweifle, dass viele der Verbündeten überrascht sind, dass Russland die Gespräche deutscher Militärs ausspioniert”, so Davis, der den Lehrstuhl für internationale Beziehungen der Universität Sankt Gallen in der Schweiz hält. Mehr noch: "Sie sind vielleicht auch nicht überrascht, dass die Deutschen überrascht sind, was alles über die Stellung Deutschlands in der Allianz aussagt."  

Taurus-Raketen für die Ukraine?

Der Vorgang bestätige nur die weit verbreitete Meinung, "dass Berlin die deutschen militärischen Fähigkeiten vernachlässigt hat und hoffnungslos naiv ist, wenn es um die Fähigkeiten und Absichten Moskaus geht." 

Der Schaden am Verhältnis zu den NATO-Partnern ist ganz offensichtlich da. Daran änderte auch der Versuch der Schadensbegrenzung des deutschen Verteidigungsministers Pistorius zwei Tage nach Bekanntwerden des Datenlecks nichts mehr.  

Pistorius: "Hybrider Angriff zur Desinformation” 

Es handle sich "um einen hybriden Angriff zur Desinformation, es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen", sagte Pistorius.  

Deutschlands Militärgeheimdienst MAD untersucht jetzt, ob Sicherheitsstandards missachtet wurden - insbesondere in Bezug auf die gewählte Plattform eines kommerziellen Anbieters für die Videokonferenz. "Bei Webex gibt es zertifizierte Formen und so kann zum Beispiel in Abhängigkeit vom Inhalt auch bis zu einer bestimmten Vertrauens- und Geheimhaltungsstufe Webex genutzt werden", so Pistorius. 

Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Pressekonferenz zur Abhöraktion
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius stellt sich bei der Pressekonferenz vor seine MitarbeiterBild: Maja Hitij/Getty Images

Am Dienstag, vier Tage nach Bekanntwerden des Datenlecks, trat der deutsche Verteidigungsminister erneut vor die Medien in Berlin. Er wolle zeitnahe neue Erkenntnisse der Taurus-Leak-Untersuchungen präsentieren, so Pistorius. Erste Ermittlungen hätten ergeben, dass Russland nicht in geschützte Netze der Bundeswehr eingedrungen sei. Bei der Nutzung der Konferenzplattform Webex werde vermutet, dass das Datenleck durch das genutzte Smartphone eines Bundeswehr-Offiziers am Rande der "Singapur Air Show" im Februar in einem Hotel in Singapur eventuell sogar durch die Nutzung des Hotel-W-Lans erfolgt sei. Das wäre zumindest nach gängigen Sicherheitsstandards grob fahrlässig. Ob Dienstvergehen vorliegen werde weiter geprüft, so Pistorius. 

Doch mit seiner Transparenz-Initiative sendete der deutsche Verteidigungsminister gleich noch ein Signal an die digitalen Angreifer in Moskau: "Ich weiß nicht, was noch rauskommt", sagte Pistorius am Ende der nun schon zweiten Pressekonferenz zum Taurus-Leak. Er gehe nicht davon aus, dass "noch Schlimmeres passiert". Und dann stellte sich Pistorius erneut vor seine Leute: "Ich werde niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern."

Dieser Text wurde am 4. März veröffentlicht und am 5. März 2024 um die Ergebnisse der zweiten Pressekonferenz von Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Thema ergänzt.