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Subventionspoker um Chips nimmt Fahrt auf

Thomas Kohlmann
25. November 2022

Seit die USA mit gigantischen Förderprogrammen Hightech-Unternehmen in ihr Land locken, fordert Europas Chipbranche mehr Förderung aus Brüssel. Doch ist das überhaupt notwendig?

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Blick in die neue Halbleiterfabrik von Bosch in Dresden
Blick in die neue Halbleiterfabrik von Bosch in DresdenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Zur Zeit vergeht kaum eine Woche, ohne dass Meldungen über geplante Halbleiterfabriken in den USA oder Europa die Runde machen. Der deutsche Infineon-Konzern will in Dresden bauen, die US-Chipschmiede Intel in Magdeburg. Und es hält sich hartnäckig das Gerücht, der Chip-Gigant TSMC aus Taiwan würde den Bau eines Werks in Deutschland erwägen. Die US-Regierung unter Joe Biden hat erfolgreich TSMC und Samsung aus Korea in die USA gelockt, wo die Asiaten milliardenschwere Chip-Werke aus dem Boden stampfen. 

Dort locken Subventionen für die Ansiedlung ausländischer Industrie. Allein das Förderpaket des Inflation Reduction Act (IRA) ist 370 Milliarden US-Dollar schwer. Dazu kommt der Chips and Science Act mit einem Fördervolumen von insgesamt 280 Milliarden Dollar, um die USA im Bereich der Halbleiter zu stärken, Forschung und Entwicklung zu fördern und regionale Hightech-Zentren zu schaffen. Außerdem sollen aus dem Fördertopf mehr Fachkräfte für den sogenannten STEM-Bereich (Science, technology, engineering, and mathematics) fit gemacht werden. In Deutschland entspricht das den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).

Ein elektronisches Steuergerät, hier von Infineon
Das Herz von vielem: Ein elektronisches Steuergerät, hier von InfineonBild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Doch können auf Dauer Hightech-Unternehmen aus Deutschland und der EU dem Lockruf der US-Subventionen, die unter Präsident Joe Biden beschlossen wurden, widerstehen? Reicht der EU Chips Act, der mit rund 43 Milliarden Euro denselben Zweck erfüllen soll? Mit den Milliarden soll bis 2030 der Anteil Europas an der globalen Chipproduktion auf 20 Prozent verdoppelt werden.

Europäische Industrievertreter scharren schon mit den Füßen, ihnen dauert es zu lange, um die Aufholjagd einzuläuten. "Europa ist Ankündigungsweltmeister und Umsetzungszwerg", beklagte Andreas Gerstenmayer, Chef des österreichischen Technologiekonzerns AT&S, Ende November im Handelsblatt. "Die Summe ist viel zu gering, um im weltweiten Maßstab etwas zu bewirken."

Abwanderungsängste unbegründet?

Schon geht in Europa die Angst vor einer Abwanderung wichtiger Unternehmen in die USA um. Eine Angst, die von Marcus Gloger nicht geteilt wird. Der Branchenexperte ist Partner bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC.

"Es wird in Europa immer wieder bemängelt: Wir haben hier nur noch etwa zehn Prozent der globalen Chip-Produktion. Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass in Europa wichtiges Schlüsselwissen und gut ausgebildete Arbeitskräfte vorhanden sind. Das wird vollkommen unterschätzt. Man kann überall Werke bauen. Aber sie werden für diese Werke auch Menschen brauchen, die entsprechend ausgebildet sind", sagt Gloger.

Marcus Gloger, Partner bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC
Marcus Gloger, Partner bei Strategy&, der Strategieberatung von PwCBild: PwC Strategy

Und da sei Europa nach wie vor ein guter Standort. "Weil man durch die lange Historie der Halbleiter in Europa auf mehrere Zentren zurückgreifen kann, wo systematisch Menschen für diesen Bereich ausgebildet werden."

Eines davon ist das Interuniversity Microelectronics Centre IMEC im belgischen Leuven, eine einzigartige Einrichtung, in der sogar Wettbewerber zusammen in Laboren forschen. Andere Halbleiter-Cluster gibt es in der Region um München, dazu kommen das Silicon Saxony rund um Dresden, wo auch Bosch im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro investierte, oder die französische Universitätsstadt Grenoble.

Auch beim Blick auf die Stärken Europas, die Technologie, das Wissen und die Marktführerschaft in bestimmten Bereichen der Halbleiter-Industrie, wird Gloger "erst einmal nicht bange." Denn man müsse schließlich nicht nur den europäischen Chips Act sehen, sondern auch den European Recovery Fund, der sich das gleiche Ziel gesetzt hat wie der Inflation Reductions Act in den USA. Diese gesamte Bandbreite an EU-Mitteln über rund 1,9 Billionen Euro stehe bis 2030 zur Verfügung, erklärt Gloger.

"Brüssel hat verstanden"

Es seien vor allem die Spitzenbeamten und Fachleute in der EU-Kommission gewesen, die sich dafür eingesetzt haben, dass auch Europa bei High End-Chips und Super-Computing künftig mitmischen muss. Viel wichtiger als die Sicherung von Lieferketten sei künftig die Sicherung der Digitalen Souveränität, unterstreicht der Informationstechnologe und Kybernetiker. Denn je mehr das Digitale im Internet of Things (IoT) oder bei der Digitalisierung von Staat und Gesellschaft durch Künstliche Intelligenz (KI) voranschreitet, müsse auch die technologische Souveränität Deutschlands und Europas gewährleistet werden.

Intel-Chef Pat Gelsinger (li.) in Magdeburg mit Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
Hoher Besuch: Intel-Chef Pat Gelsinger (li.) in Magdeburg mit Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt (12. November 2022)Bild: Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

Schon jetzt stehen zwei der vier stärksten Supercomputer der Welt in Europa, im italienischen Bologna und in Finnland. Und bis 2024 soll im rheinischen Jülich der erste deutsche Exascale-Supercomputer fertig sein. Der Superrechner mit dem Namen JUPITER wird mit mehr als 1000 Petaflops über die Rechenleistung von über fünf Millionen modernen Notebooks verfügen. In den Jahren darauf sollen Supercomputer der Exascale-Klasse in München und Stuttgart folgen. Ganz gleich, ob es um Klimamodelle geht, die Entwicklung neuer Materialien, Prozessoptimierung, Biopharmaforschung oder Deep Learning und KI - ohne Supercomputer können Länder und industrielle Wirtschaftsräume schnell den Anschluss an die Weltspitze im digitalen Zeitalter verlieren.

Subventionen allein reichen nicht aus

Die Annahme, dass Unternehmen sich dort ansiedeln, wo am meisten Subventionen gezahlt werden, ist Gloger zufolge ein Fehlschluss. "Es braucht ein ganzes Ökosystem. Eine Chipfabrik nur zu bauen, reicht nicht aus. Es werden Materialien und Forschung benötigt, und auch ein ganzes Netzwerk an Unternehmen. Denn wir reden ja im Spitzenbereich über Leute, die komplett global aktiv sind. Diese Fachkräfte bekommen in Europa, in China und den USA die gleichen Gehälter bezahlt. Die richtigen Rahmenbedingungen sind zentral, um diese Leute hier halten zu können."

Deswegen sei es für diese Spitzenkräfte wichtig, mehrere Optionen in Europa zu haben. Denn wenn Top-Leute mit ihren Familien in ein anderes Land oder auf einen anderen Kontinent umziehen, dann sei es attraktiv für sie, zu wissen, dass es außer dem einen Unternehmen, bei dem sie anfangen, auch noch ein oder zwei andere in der Region gebe, zu denen man wechseln könne. "Das ist ein Aspekt, der meiner Meinung nach nicht ernst genug genommen wird", betont Gloger.

Ein Mitarbeiter von Infineon in Dresden mit einem sogenannten Wafer, dem Ausgangsmaterial für die Chipproduktion
Ein Mitarbeiter von Infineon in Dresden mit einem sogenannten Wafer, dem Ausgangsmaterial für die Chipproduktion Bild: momentphoto/Killig/IMAGO

Außerdem brauche man die entsprechende Forschung, wo Europa nach wie vor führend ist. In Deutschland gehören die Spitzenforscher der Fraunhofer und Max Plank-Institute zu den bekannteren Wissenschaftlern, die bei der Entwicklung von Industrie 4.0 den Takt angeben. Dazu kommen die Leibniz-Institute oder das eher weniger bekannte Ferdinand-Braun-Institut.

Die Infrastruktur zählt

Auch bei Halbleiter-Clustern brauche sich Deutschland nicht zu verstecken. Silicon Saxony rund um die sächsische Landeshauptstadt Dresden sei eines der großen, mit viel Weitsicht geschaffenen Zentren der Halbleiterindustrie in Europa. "Hier finden Sie rund 200 Unternehmen, die sich im Umfeld mit 'Halbleiterei' beschäftigen. Und für all die Maschinen in der Halbleiterproduktion wird Rundum-Support von den Spezialisten der unterschiedlichen Lieferanten gebraucht", so Gloger.

Es mache für den Lieferanten nur Sinn, solche Stützpunkte zu unterhalten und Support anzubieten, "wo eine bestimmte Infrastruktur und mehrere Kunden in einem solchen Ökosystem vorhanden sind." Geschwindigkeit sei dabei entscheidend "Wir reden nicht darüber, innerhalb von ein oder zwei Tagen Unterstützung zu bekommen. Hier geht es darum, in fünf oder zehn Minuten da zu sein."

Denn eine Halbleiterfabrik, die einen Monat nicht produziert, könne schnell um die 200 Millionen Euro Kosten verursachen. "Wenn so eine Chipfabrik für 1,5 bis 15 Milliarden Euro gebaut wird und der Bau sich um einen Monat verzögert, etwa weil ein Fundament nicht gegossen werden kann, dann entstehen oft sofort über hunderte Millionen an Schäden", unterstreicht der Branchenexperte.

Europa muss aufs Tempo drücken

Europa hat die Köpfe, betreibt Spitzenforschung und verfügt über international führende Cluster der Halbleiterbranche. Auch einzigartige Zulieferer wie ASML in den Niederlanden, der Industrieoptik-Konzern Zeiss oder der Industrielaser-Spezialist Trumpf sind in Europa, genauso wie Hersteller von Industriegasen oder Reinraumtechnik.

"Was fehlt, ist Umsetzungsgeschwindigkeit, dass wir in Europa mutiger und entschlossener in unseren Entscheidungen sind. Ich meine, sowohl die deutsche Verwaltung als auch die Industrie kann das durchaus leisten" - davon ist Branchenexperte Gloger überzeugt.