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Bollywood: Spiegel der Gesellschaft?

Isha Bhatia21. April 2013

In Indien wird oft die Frage diskutiert: Geben die Bollywood-Filme die Lebensrealität der Menschen wieder? Oder sind sie doch eher Abbild ihrer Träume?

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Veer Zara, ein Film des Bollywood- Regisseurs Yash Chopra (Foto: Yashrajfilms)
Bild: Yashrajfilms

Unendliche Liebe, überschäumende Freude, tiefe Traurigkeit und schwierige Herausforderungen: In Bollywood-Filmen wird die Liebe des Helden und der Heldin oft auf die Probe gestellt und ihre Opferbereitschaft geprüft. Bollywood-Filme ähneln einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Sie sind im Grunde Märchen, in denen am Ende jeder Zuschauer die Gewissheit hat, dass es ein Happy-End gibt. M. Madhava Prasad, Professor für Filmwissenschaft in Hyderabad, sagt, dass genau dieser Aspekt der Bollywood-Filme die Menschen in Indien in einen Widerspruch verwickelt: "Sicherlich beeinflussen unsere Filme die Menschen und die Gesellschaft in Indien. Aber die Filme zeigen auch eine Wirklichkeit, die mit der Lebenswirklichkeit der Zuschauer nichts gemein hat."

Harte Realität

Die indische Gesellschaft ist eine zutiefst hierarchisch organisierte Gesellschaft. Zwar ist das Kastenwesen mit der Verfassung von 1950 offiziell abgeschafft worden. Es wird aber vor allem auf dem Land noch praktiziert. Die indische Gesellschaft ist durch den Anfang der 1990er Jahre einsetzenden Wirtschaftsboom und die Fortschritte bei Alphabetisierung und Bildung offener und toleranter geworden. Doch während im Film alle Grenzen zwischen den Liebenden überwunden werden können, sieht die Realität anders aus.

Fahrradrikschas und eine neuer großer BMW fahren in der Altstadt von Alt-Delhi (Foto:dpa)
Arm und Reich: viele Menschen in Indien träumen vom Leben der ReichenBild: picture-alliance/dpa

In den großen Glitzermetropolen Delhi, Mumbai, Kolkata oder Chennai lebt nur ein Bruchteil der 1,2 Milliarden Inder. Nach Angaben der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2011 leben zwei Drittel der Menschen noch immer auf dem Land und sind direkt oder indirekt in der Landwirtschaft tätig. 90 Prozent aller Hochzeiten sind auch heute noch arrangiert, wie Statistiken von UNICEF aus dem Jahr 2012 belegen - auch wenn es inzwischen in den Städten immer mehr Paare gibt, die sich zuerst lieben lernen und dann von ihren Eltern miteinander verheiratet werden, um die Beziehung zu legitimieren.

Ehen zwischen Hindus, die etwa 80 Prozent der indischen Gesellschaft ausmachen, und Muslimen, die etwa 16 Prozent der Bevölkerung stellen, sind extrem selten. Doch Bollywood überwindet diese Tabus in Filmen wie "Bombay" (1995), "Revolte" (Gadar, 2001) "Veer und Zara" (Veer Zaara, 2004) oder "Jodhaa und Akbar" (Jodhaa Akhbar, 2008). Und Stars wie Shah Rukh Khan oder Saif Ali Khan sind auch deshalb Idole, weil sie im echten Leben als Muslime Frauen hinduistischen Glaubens geheiratet haben.

Spiegelbild oder Traumwelt

Der Regisseur Kunal Kohli ist durch romantische Filme wie "Verrückt nach Liebe" (Hum Tum, 2004) oder "Zerstörung" (Fanaa, 2006) bekannt geworden. Der Deutschen Welle gegenüber antwortete er skeptisch auf die Frage, inwieweit Bollywood wirklich die Gesellschaft verändern kann: "Wenn die Filme wirklich die Menschen beeinflussen würden, dann würden wir uns alle gegenseitig zum Lachen bringen und es viel öfter wagen, uns zu verlieben. Aber das passiert nun mal nicht. Die Filme beeinflussen das wirkliche Leben nicht besonders, auch wenn sie an das wahre Leben angelehnt sind."

Filmplakat: die Schauspielerin Vidya Balan in "The Dirty Picuture" (Foto: STRDEL/AFP/Getty Images)
Plakat zum Film "Dirty Picture": Hauptdarstellerin Vidya Balan im Zentrum des männlichen InteressesBild: ALT Entertainment/Balaji Motion Pictures

Der renommierte Autor Javed Akhtar geht sogar noch einen Schritt weiter: "Die Filme reflektieren sicherlich, was in der Gesellschaft vor sich geht. Aber sie reflektieren vor allem die Wünsche, Hoffnungen, Werte und Traditionen. Sie sind also kein echtes Spiegelbild, sondern ein Traum, den die Gesellschaft träumt."

"Kino ist Unterhaltung"

Der 2011 erschienene und mehrfach ausgezeichnete Film "Dirty Picture" mit Vidya Balan in der Hauptrolle hat die Frage, welche Filme beim Publikum ankommen, auf den Punkt gebracht. Der Film erzählt die Lebensgeschichte von "Silk Smitha", einer südindischen Erotikdarstellerin. Er zeichnet nach, wie die selbstbewusste Frau zwar zu Ruhm kommt, aber am Ende dennoch, ausgegrenzt von der Gesellschaft, keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich das Leben zu nehmen. Im Film sagt Vidya Balan schließlich enttäuscht: "Um erfolgreiche Filme zu machen, sind nur drei Dinge nötig: Unterhaltung, Unterhaltung und Unterhaltung." So sieht es auch Filmwissenschaftlerin Ranjini Majumdar von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu Delhi: "Kino bedeutet nun einmal Unterhaltung. Wir können nicht von den Regisseuren erwarten, dass sie die harte Realität der Gesellschaft zeigen. Das ist im kommerziellen Kino nicht ihre Aufgabe."

"Dirty Picture" hat aber einen weiteren wichtigen Trend im Bollywood-Kino unterstrichen. Lange Zeit waren Frauen nur dekoratives Beiwerk. Doch inzwischen werden immer mehr Filme gedreht, in deren Zentrum starke - und oft auch erfolgreiche - Frauen stehen.

Wirklichkeitsnähe ist Ausnahme

Nur eine Handvoll Filme haben in den letzten Jahren die Lebenswirklichkeit tatsächlich abgebildet. Dazu gehören zum Beispiel Vishal Bhardwajs "Der Pate von Mumbai" (Maqbool, 2003) oder Anurag Kashyaps "Schwarzer Freitag" (Black Friday, 2004). "Der Pate von Mumbai" spielt im Mafia-Milieu, und "Schwarzer Freitag" beschäftigt sich mit den Unruhen zwischen Hindus und Muslimen, ausgehend von Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben. Obwohl viele Kritiker diese Filme lobten, wurden sie nur in wenigen Kinos in Indien und bei Filmfestivals außerhalb des Landes gezeigt.

Filmszene aus "Ein Stern auf Erden": der Junge Ishaan und sein Lehrer (Foto: Aamir Khan Productions)
Der achtjährige Ishaan wird in "Ein Stern auf Erden" ausgegrenztBild: 2008 Aamir Khan Productions

Ernste Themen, locker und leicht mit der Traumwelt Bollywoods verwoben, haben dagegen Filme wie "Hochzeit - Nein, danke" (Salaam-Namaste, 2005), "Ein Stern auf Erden" (Taare Zameen Par, 2007) und "Echte Freunde" (Dostana, 2008). "Hochzeit - Nein, danke" zeigt die Mühen einer Radiomoderatorin, die ungewollt schwanger ist und von ihrem Freund verlassen wird. In "Ein Stern auf Erden" wird ein kleiner Junge von seiner Familie und von der Gesellschaft ausgegrenzt, weil er Wörter und Texte nicht richtig verstehen kann. "Echte Freunde" spricht das Thema Homosexualität an, ein großes Tabu in Indien. Doch wirklichkeitsnähere Ansätze sind im indischen Kino heute immer noch die Ausnahme.