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Spanier glauben nicht an Aufschwung

Guy Hedgecoe / db22. August 2014

Die Regierung in Madrid freut sich über Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen. Viele Spanier trauen Madrid allerdings nicht. Sie spüren die Wirtschaftskrise nach wie vor.

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Daisy Silva (Foto: Guy Hedgecoe/DW)
Bild: DW/G. Hedgecoe

An einem heißen Abend im August haben sich 60 Menschen im "Luis Peiro Kulturzentrum" im Madrider Arbeiterviertel Vallecas versammelt. Die meisten der anwesenden Mitglieder dieser Selbsthilfegruppe sind verzweifelt, ihnen steht womöglich die Zwangsräumung ins Haus, weil sie ihre Hypotheken nicht bezahlen können.

"Es gibt immer noch viele Zwangsräumungen", erklärt Daisy Silva. Die 45-jährige Frau aus Ecuador ist seit drei Jahren arbeitslos. Noch lebt sie in ihrer Wohnung. Sie versucht, eine Reglung mit ihrer Bank zu treffen, um der Zwangsräumung zu entgehen. Doch sie bekommt nur 426 Euro Sozialhilfe im Monat. 1998 sei sie aus Ecuador nach Spanien gekommen, viele hätten das Krisenland auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, erinnert sie sich. "Jetzt ist es hier genauso, wenn nicht sogar schlimmer."

Solche Aussagen entsprechen gar nicht dem Bild, das Premierminister Mariano Rajoy nur zwei Wochen zuvor malte, als er bekannt gab, Spaniens Wirtschaft erhole sich nach mehr als fünf langen Jahren in der Krise. "Fatalismus und Verzweiflung machen einem begründeten Gefühl von Zuversicht für die Zukunft Platz", erklärte Rajoy. Der schmerzhafte Sparkurs seiner konservativen Regierung habe Früchte getragen.

Neue Arbeitsplätze

Beim Zusammentreffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag und Dienstag (24. /25.08.2014) in Santiago de Compostela kann Rajoy neue Wirtschaftszahlen vorweisen. Zahlen, die auf ein Wachstum in einigen Sparten der spanischen Wirtschaft hindeuten.

Anfang 2014 tauchte Spanien offiziell aus seiner Doppelrezession auf, und im Juli korrigierte der Weltwährungsfond (IWF) seine Wachstumsprognose für die spanische Wirtschaft von 0,9 auf 1,2 Prozent in diesem Jahr. Im vergangenen stieg laut der Bank of Spain die Anzahl der Kredite für kleine Unternehmen, die zu den Hauptleidtragenden der Krise gehörten, um zehn Prozent. Was am wichtigsten für die spanische Bevölkerung sein dürfte: Der Arbeitsmarkt fängt an, sich zu erholen - "eine 180-Grad-Wende", so Rajoy. Die Zahl der Arbeitslosen ist im ersten Quartal um etwa 300.000 gesunken, die Arbeitslosenquote von 25,9 auf 24,5 Prozent.

Premierminister Mariano Rajoy (Foto: EFE/ALBERTO MARTIN)
Premierminister Mariano Rajoy: Zuversicht für die ZukunftBild: picture-alliance/abaca

Der Trend habe sich gewandelt, Jobs würden nicht mehr zerstört, sondern geschaffen, meint Luis Torrens, Wirtschaftswissenschaftler im "Public-Private Sector Research Center" der IESE-Handelsschule in Barcelona. Eine kontroverse Arbeitsmarktreform, 2012 zur Lockerung des Kündigungsschutzes eingeführt, ist laut Regierung der Grund für den Lichtblick. Aber Torrens meint, man müsse sich die Qualität der neuen Jobs anschauen, nicht nur die Menge. "Es sind Teilzeitjobs und Zeitverträge, und das führt nicht zu Stabilität", meint der Experte. "Eine Bank gibt niemandem, der einen Zeitvertrag hat, eine Hypothek."

Hoffen auf Touristen und Exporte

Trotz des offensichtlichen Optimismus erwartet die Regierung nicht, dass die Arbeitslosigkeit vor 2017 unter 20 Prozent sinkt. Kredite werden leichter vergeben als in den Tiefen der Krise, aber Unternehmen zahlen im Vergleich zum Durchschnitt in der Eurozone immer noch deutlich höhere Zinsen. Um aus der Flaute zu kommen, baut Spanien auf Touristen und Exporte. Der Tourismussektor entwickelte sich mit einer Rekordzahl von 28 Millionen Besuchern in der ersten Hälfte des Jahres prächtig. Angesichts eines neuerlichen Stockens in der Wirtschaft der Eurozone - dorthin gehen 60 Prozent der spanischen Exporte - werden Exporte eher nicht Spaniens endgültigen Aufschwung bestimmen.

"Die Instabilität des spanischen Arbeitsmarktes ist beschämend", erklärt Daisy Silva, die überlegt, ob sie in ihre Heimat Ecuador zurückkehren soll. "Der Aufschwung ist nichts als Fassade", meint sie. "Wer in vornehmen Autos herumkutschiert wird, sieht die Realität nicht - wir dagegen schon."

Aktivisten gegen Hausräumungen von Schuldnern in Spanien (Foto: Guy Hedgecoe/DW)
Aktivisten protestieren gegen Hausräumungen von Schuldnern in SpanienBild: DW/G. Hedgecoe

Zwangsräumungen sind eines der offenkundigsten Symptome der Wirtschaftskrise: Bei der hohen Arbeitslosigkeit können viele Familien ihre Hypotheken nicht mehr zahlen und aufgrund des strengen spanischen Gesetzes zur Hypothekenvollstreckung können sie auch kaum mit den Banken verhandeln. Die Regierung hat das Gesetz zwar auf Druck der Straße abgeändert, aber das scheint sich kaum ausgewirkt zu haben. Zahlen der Bank of Spain zeigen, dass etwa 39.000 Familien 2013 zwangsgeräumt wurden, fast genau so viele wie im Jahr davor.

Laut einer Metroscopia-Umfrage glauben 74 Prozent der Spanier, ihre Regierung habe keine Ahnung, wie man mit der wirtschaftlichen Situation umgehen soll. Nur etwa ein Drittel glaubt an eine chancenreiche Zukunft des Landes.

Die 'Unsichtbaren' melden sich zu Wort

Inzwischen melden sich Spanier, die den Aufschwung für eine Illusion halten, in einer ungewöhnlichen Kampagne zu Wort: Das Madrider Viertel Tetuan ist in diesem Sommer zugepflastert mit Postern gegen soziale Ungerechtigkeit. Unter der Überschrift "Tetuan's Invisible Ones" erzählen einheimische Aktivisten vom Schicksal von fünf Frauen, die versuchen dort über die Runden zu kommen.

Ein Poster zeigt eine ältere Frau (Foto: Guy Hedgecoe/DW)
"Tetuan's Invisible Ones" - Poster gegen soziale UngerechtigkeitBild: DW/G. Hedgecoe

"Ich bin eine von 8557 Rentnerinnen in Tetuan die von 339 Euro im Monat leben", steht unter dem Foto einer Frau namens Carmen. "Ich kann kaum mit meinen monatlichen Ausgaben Schritt halten", so geht der Text weiter. "Alle zwei Wochen gehe ich zur Tafel, und meine Hauptsorge ist die Stromrechnung."