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Politik

Snowden und das "Paradebeispiel" Deutschland

Fabian von der Mark
17. September 2019

In seinem Buch beschreibt Edward Snowden wie US-Geheimdienste weltweit Daten sammeln - zum Entsetzen der Bürger, aber mit Hilfe ihrer Regierungen. Auch in Deutschland.

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Edward Snowden
Bild: picture-alliance/MAXPPP/Kyodo

Der Computer-Spezialist Edward Snowden ist Mitte 20, als er 2009 beim US-Geheimdienst NSA anfängt. Die Arbeit für die "wichtigste Signalaufklärungsbehörde der USA" nennt er in seinem Buch "Permanent Record" (Permanente Aufzeichnung) einen "Traumjob". Er beschreibt aber auch, wie er bei seiner Arbeit für den Geheimdienst auf "Stellarwind" stößt, "das dunkelste Geheimnis der NSA".

Das "Stellarwind"-Programm hatten die USA nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 aufgelegt. Snowden stellt fest, dass es, anders als offiziell behauptet, nie beendet, sondern für die NSA zu einem Instrument der "Massenüberwachung" wurde: "Technik wurde nicht mehr eingesetzt, um Amerika zu verteidigen, sondern um Amerika zu kontrollieren", schreibt Snowden.

Erinnerungen an Nazi-Deutschland

Die riesige Datensammlung der NSA erinnert den jungen US-Spion an die Praktiken Nazi-Deutschlands und der Sowjetunion. Snowden wühlt sich durch immer mehr geheimes Material und stößt auf PRISM - ein US-Programm, mit dem Amerika auch ausländische Kommunikation abschöpft. Snowden schreibt, wie ihm klar wurde, "dass die Situation, wenn meine Generation nicht dagegen einschritt, eskalieren würde".

Snowden entscheidet, seine Informationen über die Arbeit des US-Geheimdiensts an Journalisten zu übergeben, zum Whistlebower zu werden. Die Enthüllungen 2013 schlagen weltweit ein, wobei Snowden ein Muster erkennt: "Die Länder, deren Bürger der amerikanischen Massenüberwachung am kritischsten gegenüberstanden, waren genau diejenigen, deren Regierungen am engsten mit ihr kooperiert haben." Als "Paradebeispiel" nennt Snowden Deutschland.

Deutschland Merkel vor dem NSA Untersuchungsausschuss
Im NSA-Untersuchungsausschuss lädt Patrick Sensburg (li) auch Angela Merkel als Zeugin vor Bild: Reuters/A. Schmidt

Tatsächlich erfahren die Deutschen durch die Snowden-Veröffentlichungen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) die NSA beim Sammeln unterstützt hat. Die Öffentlichkeit ist außer sich - auch weil die NSA sogar das Handy der Bundeskanzlerin abgehört hat. Angela Merkel erklärt daraufhin 2013: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Den Snowden-Erkenntnissen soll nachgegangen werden: 2014 setzt das deutsche Parlament den NSA-Untersuchungsausschuss ein.

Sensburg: Snowden hat Finger in die Wunde gelegt

Den Vorsitz übernimmt der Jura-Professor und CDU-Politiker Patrick Sensburg. Heute sagt Sensburg, Snowden habe in Deutschland "viel in Bewegung gebracht", so seien die Bürger inzwischen etwa sensibler im Umgang mit Daten. Snowdens Material sei zwar nicht besonders "inhaltstief" gewesen, so Sensburg, im Ausschuss sei dann aber doch einiges zum Vorschein getreten, was "rechtlich nicht abgesichert war". Auch die deutschen Geheimdienste hatten unerlaubt Daten von Bürgern "abgegriffen" und da sei es gut gewesen, von Snowden "den Finger in die Wunde gelegt zu bekommen", so der damalige Ausschussvorsitzende. In der Folge wurde 2016 unter anderem eine Reform des BND-Gesetzes beschlossen.

Sensburg hat sich Gedanken über die Motive Snowdens gemacht. Der deutsche Politiker glaubt, Snowden habe aus "patriotischen Gründen" gehandelt, aus der Überzeugung "er muss das für sein Land tun". Diesen Eindruck vermittelt Snowden auch in seinem Buch "Permanent Record", das er bewusst am 17. September, dem amerikanischen Verfassungstag, veröffentlicht. Snowden glaubt, die US-Geheimdienste würden gegen die Bill of Rights verstoßen, hätten "die Verfassung gehackt". Das wollte er publik machen.

CDU-Politiker Patrick Sensburg  mit seinem Buch
Sensburg hat auch ein Buch geschrieben. 2017 war das. Titel: "Unter Freunden". Thema: NSA-Ausschuss und Snowden. Bild: DW/F. von der Mark

Was Sensburg nicht versteht: warum Snowden zum Whistleblower wurde, warum er glaubte nur über die Öffentlichkeit "seinem Land helfen zu können". Snowden schreibt dazu in seinem Buch, dass eine interne Information, also "der Dienstweg" für ihn nicht mehr in Frage kam. Die Praktiken der NSA wären längst "strukturimmanent", zu einer Ideologie geworden: "Meine Vorgesetzten waren sich nicht nur dessen bewusst, was die Behörde tat, sondern teilten aktiv die Befehle dazu. Sie waren Komplizen", schreibt Snowden.

Whistleblowing in Deutschland

Buchcover Edward Snowden, Permanent Record
Edward Snowdens Biografie "Permenant Record, Meine Geschichte" ist auf Deutsch im S. Fischer Verlag erschienen.

Snowden hat als geheim eingestufte Dokumente an die Öffentlichkeit weitergegeben - das wäre auch in Deutschland eine Straftat gewesen. Seit der NSA-Affäre wurde aber eine neue Möglichkeit geschaffen, Missstände innerhalb der deutschen Geheimdienstarbeit anzusprechen. Mitarbeiter können sich inzwischen direkt an das Parlamentarische Kontrollgremium wenden, den Abgeordneten-Ausschuss für die Geheimdienste. Und dies passiert wohl auch schon.

Auch im Umgang mit Whistleblowern außerhalb von Geheimdiensten hat sich seit Snowden in Europa etwas getan. Die EU hat geregelt, dass alle größeren Unternehmen eine Anlaufstelle für Whistleblower einrichten müssen und in Deutschland erlaubt seit diesem Jahr ein Gesetz, ein "Geschäftsgeheimnis" weiterzugeben, wenn dies "geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen".

Patrick Sensburg plädiert generell für andere Wege, akzeptiert aber das Whistleblowing als "Ultima Ratio" als letzte Möglichkeit. Ob Snowden in dieser Situation war? Sensburg hätte es ihn gerne gefragt, zu einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss aber kam es nie. Zwar wurde darüber diskutiert, Snowden als Zeugen anzuhören, auf einen konkreten Weg konnten sich Sensburgs Ausschuss und Snowdens Anwälte aber nicht verständigen.

In "Permanent Record" wirft Snowden Europas Regierungen vor, sich nicht für ihn eingesetzt zu haben. 27 Staaten, darunter auch Deutschland, habe er um politisches Asyl gebeten: "Kein einziger von ihnen war bereit, sich dem Druck Amerikas entgegenzustemmen" schreibt Snowden. So bleibt der Whistleblower Edward Snowden wohl erst mal in Moskau, wo er, laut Buch, 2013 eigentlich nur auf dem Weg nach Ecuador umsteigen wollte.