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Im Zeichen der Knolle

Frank Sieren8. Mai 2015

Peking will die Kartoffel als Grundnahrungsmittel etablieren. Doch so leicht werden die Chinesen nicht auf den Geschmack kommen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Ein großer Haufen Kartoffeln (Foto: dpa/picture-alliance, Patrick Pleul)
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Seit spanische Eroberer vor rund 400 Jahren Kartoffeln aus Südamerika nach Europa brachten, fand die Knolle ungebremst den Weg in die Töpfe der Welt. Nur in China konnte sie sich nicht recht durchsetzen. Kartoffeln gehören nicht gerade zum Leibgericht der Chinesen. Zwar essen sie die „Erdbohnen“, wie sie wörtlich übersetzt heißen, gelegentlich als Gemüsebeilage nicht aber als Sattmacher. Reis wird immer dazu gereicht. An diesem Schattendasein haben auch die großen Fast-Food-Ketten nichts geändert, als sie in den 90er Jahren mit Pommes frites in China einfielen.

Das will Peking jetzt ändern und hat die Kartoffel zum vierten Grundnahrungsmittel neben Reis, Mais und Weizen ausgerufen. Chinas Führung hat seine Gründe für diese ungewöhnliche Offensive: Die Bevölkerung wächst weiter und will satt werden. Im Jahr 2020 wird es über 1,4 Milliarden Chinesen geben. Bis dahin braucht das Land mehr als 50 Millionen Tonnen zusätzliches Getreide. Peking muss sich etwas einfallen lassen, um sich weiterhin selbst versorgen zu können. Längst gibt es nicht mehr genug Fläche für zusätzliche Reis- und Weizenproduktion. Denn viele Böden sind verseucht und brauchen Jahre, um sich zu erholen.

Kartoffeln sind weniger anspruchsvoll als Reis

Und weil sich die Städte immer mehr ausdehnen, gibt es auch immer weniger Ackerland. Reisanbau ist zeitintensiv und braucht viel Wasser, woran es China ohnehin schon mangelt. Kartoffeln würden das Problem lösen, denn sie sind viel anspruchsloser. Sie gedeihen fast überall, vertragen Trockenheit und sind billig. Zwischen der Reis- und Weizenernte könnten noch zusätzlich Kartoffeln wachsen. Beste Voraussetzungen also für eine verlässliche Nahrungsquelle.

Es mag überraschen, doch schon heute ist China weltgrößter Kartoffelproduzent. Fast ein Drittel der weltweit jährlich geernteten 330 Millionen Tonnen kommen aus dem Reich der Mitte. Aber nur ein geringer Teil landet tatsächlich auch auf dem heimischen Teller. Peking will nun die Kartoffelanbaufläche von derzeit 5,3 Millionen Hektar bis 2020 noch einmal verdoppeln - eine Fläche so groß wie Island. Doch klar ist: Mehr Felder und höhere Ausbeute alleine reichen nicht, wenn es schon jetzt mancherorts eine Überproduktion von Kartoffeln gibt. Am Ende muss sie auch jemand essen. Liegt der jährliche Pro-Kopf-Verzehr in Deutschland bei 60 Kilo, bringen es die Chinesen gerade mal auf die Hälfte.

Die chinesische Bevölkerung zweifelt noch

Sie zweifeln an der Powerknolle und wissen nicht recht, was sie von den Regierungsplänen halten sollen. Ob es die Kartoffelsorten Linda oder Christa wie bei uns auf die kulinarische Hitliste schaffen, ist also eine Frage des Images. Peking muss es gelingen, die Kartoffel aus ihrer Nische zu holen. Seit Jahresbeginn müht sich Chinas Führung, den Verzehr kräftig anzukurbeln. Tageszeitungen preisen die Kartoffel als eines der gesündesten Nahrungsmittel an. In den sozialen Medien outen sich prominente Kartoffel-Bekenner. Und das staatliche Fernsehen zeigt eine Kochshow ausschließlich mit Kartoffelgerichten, um den modernen Trend in heimischen Küchen zu etablieren. Zukünftig will man die Knollen süßsauer zubereiten oder zu Nudeln und Dampfbrötchen verarbeiten. Ganz nach dem Geschmack der Chinesen.

Dass Nahrung auf Befehl so letztlich zum Erfolg führen kann, mag für den Rest der Welt schwer vorstellbar sein. Für China wäre es nicht das erste Mal. Noch vor zehn Jahren gab es in den Kühlregalen der Supermärkte kaum Milch oder Milchprodukte. In einer aufwendigen Kampagne rühmte Peking die gesundheitlichen Vorteile. Und das Volk gehorchte. Kurze Zeit später stieg weltweit der Milchpreis. Die Chinesen trinken uns die Milch weg, hieß es damals. Bis sie uns auch noch die Kartoffeln wegfuttern, wird es sicher noch etwas dauern: Noch fürchten die chinesischen Bauern eher, auf ihren Kartoffeln sitzen zu bleiben, und fordern einen staatlich garantierten Abnahmepreis.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.