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Vettel: Abschied zum richtigen Zeitpunkt

20. November 2022

Sebastian Vettel beendet in Abu Dhabi nach seinem letzten Formel-1-Rennen seine erfolgreiche Karriere. Der Vierfach-Weltmeister ist in seiner zuletzt sportlich erfolglosen Zeit menschlich gewachsen und hat neue Ziele.

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Sebastian Vettel winkt den Fans zu
Mit sich und seiner sportlichen Bilanz im Reinen: Sebastian VettelBild: Andy Hone/Motorsport Images/IMAGO

Am Ende waren es 299 Grand Prix sein, bei denen Sebastian Vettel im Formel-1-Rennwagen gesessen hat. 53 davon hat er gewonnen, insgesamt stand er 122-mal auf dem Podium, startete 57-mal von der Pole Position und gewann vier Weltmeistertitel. Zum Abschluss fuhr in unterlegenen Aston Martin in Abu Dhabi als Zehnter noch einmal in die Punkteränge - dort, wo er 2010 mit 23 Jahren zum jüngsten Weltmeister der Formel 1 wurde.

Wehmütig war Vettel nach 16 Jahren in der Königsklasse des Motorsports vor seinem letzten Rennen nicht gewesen "Es ist nicht so, dass ich momentan viel zurückschaue und traurig bin", sagt er. "Ich freue mich eher auf die Zeit, die danach kommt." Die Verkündung seines Rücktritts zum Saisonende sei im vergangenen Sommer "eine Erleichterung" gewesen. "Ich freue mich darauf, mich überraschen zu lassen, etwas über mich selbst zu lernen, mehr Zeit mit meinen Kindern und meiner Familie zu verbringen und gemeinsam mit ihnen zu lernen", sagt Vettel vor seinem letzten Grand Prix. "Das wird natürlich eine andere Herausforderung und ein anderes Tempo für mich sein." Nach seiner letzten Zieldurchfahrt bedankte er sich bei den Fans. "Ich sehe viele Flaggen, viele lächelnde Gesichter. Ich werde das alles wahrscheinlich noch viel mehr vermissen, als mir im Moment klar ist."

Kometenhafter Aufstieg bei Red Bull

Immerhin ging mit dem Abschied nicht nur eine lange Formel-1-Karriere zu Ende, sondern eine Laufbahn, auf die Sebastian Vettel im Grunde schon seit seiner Kindheit hingearbeitet hatte. Schon als kleines Kind erwies er sich als Naturtalent und hatte zudem das Glück, früh von einem motorsportbegeisterten Vater gefördert zu werden. Mit drei Jahren saß Vettel zum ersten Mal in einem Go-Kart. Bald danach bestritt er regelmäßig Kart-Rennen, auch im Ausland, wohin ihn seine Familie mit dem Wohnmobil begleitete. 2003 wechselte Vettel als 15-Jähriger in den Formel-Sport: Formel BMW, Formel 3, Formel Renault - dann 2007 ein Testfahrervertrag in der Formel 1 beim Team BMW Sauber. Nach einem schweren Unfall von Stammpilot Robert Kubica durfte Vettel im Juni 2007 in Indianapolis in der Formel 1 debütieren und holte auf Anhieb seinen ersten WM-Punkt.

Sebastian Vettel wird bei der Siegerehrung nach dem Rennen in Abu Dhabi 2010 von Lewis Hamilton und Jenson Button mit Champagner begossen
Jüngster Weltmeister: Sebastian Vettel (2.v.r.) setzte sich 2010 im zweiten Jahr bei Red Bull die WM-Krone aufBild: Ali Haider/dpa/picture alliance

Noch während der laufenden Saison verpflichtete Toro Rosso Vettel als Stammfahrer. Er war nun Teil der Red-Bull-Familie und ein kometenhafter Aufstieg begann: Im September 2008 gewann er mit dem eigentlich unterlegenen Auto in Monza sein erstes Rennen und wurde zur Saison 2009 ins Toro-Rosso-Schwesterteam Red Bull befördert. Anderthalb Jahre später sicherte er sich im Herbst 2010 erstmals den WM-Titel, den er in den folgenden Jahren dreimal erfolgreich verteidigen konnte. Vettel war erst 26, bereits vierfacher Weltmeister und auf bestem Wege, einer der Größten der Formel 1 zu werden.

Enttäuschungen und Misserfolge

Allerdings kamen nach dem vierten WM-Titel keine weiteren dazu, vielmehr begann ein stetiger sportlicher Abstieg. Vettels letzte Jahre in der Formel 1 waren nicht gerade von Erfolgen geprägt. Zur Saison 2015 wechselte er von Red Bull zu Ferrari, um dort in die Fußstapfen seines großen Vorbildes und Freundes Michael Schumacher zu treten und sich seinen Kindheitstraum von einem WM-Titel für die Scuderia zu erfüllen. "Michael war eine enorme Inspiration. Nicht nur, als ich ihn als Kind habe fahren sehen, sondern auch, als ich ihn persönlich kennengelernt habe und er ein Freund wurde", sagt Vettel. "Es ist auf jeden Fall eine besondere Beziehung, die ich zu ihm habe."

Sebastian Vettel steht neben Ferrari-Teamchef Mattia Binotto und Charles Leclerc, alle drei schauen ernst und klatschen in die Hände
Schwierige Verhältnisse: Sebastian Vettel (l.) mit Ferrari-Teamchef Mattia Binotto (2.v.l.) und Charles Leclerc (r.)Bild: Benoit Doppagne/dpa/BELGA/picture alliance

2018 hatte Vettel tatsächlich die große Chance, sich im WM-Duell mit Lewis Hamilton durchzusetzen und den ersehnten Titel für Ferrari zu gewinnen. Doch der Traum platzte im Regen von Hockenheim im Kiesbett. In der Folgezeit entwickelte sich die Scuderia zum Krisen-Team, der junge Charles Leclerc wurde Vettel als Nummer eins vorgezogen, schließlich folgte entnervt von der Hinhalte-Taktik der Teamleitung der Wechsel zu Aston Martin. Als Vermächtnis bleiben 14 Siege mit Ferrari, nur Schumacher und Niki Lauda schafften mehr.

Doch auch bei seinem neuen Team lief es für Vettel nicht nach Wunsch: Statt wie geplant die vorderen Plätze anzugreifen, fuhr Vettel im stilvollen, in British Racing Green lackierten Boliden meistens nur hinterher. Insgesamt gerade einmal 80 WM-Punkte sammelte der Deutsche in seinen beiden Jahren für Aston Martin. In der vergangenen Saison wurde er WM-Zwölfter (43 Punkte), in diesem Jahr ebenfalls (37).

Damit, dass zum Ende seiner Karriere keine großen Ergebnisse mehr möglich waren, hat der früher forsch und ehrgeizig auftretende Vettel aber seinen "Frieden gemacht". Von außen "denkt man natürlich, dass es wichtig ist, mit einem Sieg oder einem Titel abzutreten", sagte Vettel jüngst. "Aber ich weiß, dass mein letztes Rennen wohl keins meiner Highlights wird, und es macht mir nicht viel aus."

Neue Projekte abseits der Rennstrecke

Überhaupt hat der 35-Jährige bereits in den vergangenen Jahren Interessen für neue Aufgaben und Projekte abseits des Rennsports entwickelt. Vettel setzt sich für Klima- und Naturschutz ein und machte dazu immer wieder mit speziellen Helmdesigns auf Missstände aufmerksam - zum Beispiel auf den ansteigenden Meeresspiegel oder das weltweite Bienensterben. Auch wenn es um Sexismus, Rassismus oder die Einschränkung von Menschenrechten ging, äußerte er sich kritisch.

Formel-1-Rennfahrer Sebastian Vettel sitzt mit einem Helm im Rennauto, auf dem die ukrainische Fahne und eine Friedenstaube zu sehen sind
Ukrainische Fahne und Friedenstaube - Sebastian Vettels Helm als Projektionsfläche politischer StatementsBild: Jerry Andre/Laci Perenyi/picture alliance

Da er währenddessen aber immer noch Teil eines Sports war, der mit hochgezüchteten Verbrennungsmotoren arbeitet, mit einem Riesentross um die Welt fliegt und seine Rennen in Ländern austrägt, die die Menschenrechte teilweise radikal einschränken, warfen ihm Kritiker Heuchelei vor.

Lob gab es dagegen von Lewis Hamilton, der seine Popularität ebenfalls nutzt, um politische Botschaften zu platzieren. "Ich glaube, ich habe noch keinen Fahrer in der Geschichte des Sports gesehen, der das getan hat, was er und ich getan haben, nämlich die Plattform zu nutzen, offen zu sein und dieses Risiko einzugehen", sagte Hamilton zuletzt. Er sehe Vettel als Verbündeten. "Es wird sehr traurig sein, ihn gehen zu sehen."

Abgang erhobenen Hauptes

Vettel geht dagegen eher mit zwei lachenden Augen. Er freut sich darauf, an seinem Rückzugsort, einem Bauernhof in der Schweiz, endlich mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Vettel ist seit 2019 mit seiner Jugendliebe Hanna Prater verheiratet. Die beiden haben zwei Töchter und einen Sohn. Eine Rückkehr in den Rennsport kann er sich Vettel erstmal nicht vorstellen. "Ich glaube, in dem Moment, wo man zurücktritt, tritt man zurück. Aber man kann ja nichts ausschließen." Wobei er eine Sache allerdings doch kategorisch ablehnte: nämlich künftig als TV-Experte mit dem Formel-1-Tross um die Welt zu reisen. Dafür ist sie ihm dann doch nicht wichtig genug.

Vettel - so scheint es - geht im richtigen Moment: erhobenen Hauptes, auf eigenen Wunsch und zu einem Zeitpunkt, an dem er durchaus noch Angebote und Möglichkeiten gehabt hätte, weiterzufahren. Er geht als menschlich Großer. Und auch sportlich gibt und gab es in der Formel 1 nur ein paar wenige, die noch größer sind als er.