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Schwellenländer unter Druck

Thomas Kohlmann5. Februar 2014

Seit ausländische Anleger ihren früheren Lieblingen den Rücken kehren, verlieren die Währungen vieler Schwellenländer rapide an Wert. Gleichzeitig werden Reformdefizite deutlich - wie in Indien und Indonesien.

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Bildergalerie Megacities Jakarta
Bild: BAY ISMOYO/AFP/Getty Images

Seit Wochen halten sie die Finanzmärkte in Atem und streuen Sand ins Getriebe der anziehenden Weltwirtschaft: Schwellenländer wie die Türkei, Brasilien oder Indien machen gerade die schmerzliche Erfahrung, wie schnell die Geldströme ausländischer Investoren heute weltweit bewegt werden können. "Wie ein Staubsauger" ziehen langfristig steigende Zinsen in den USA ausländisches Kapital aus den bisher boomenden Volkswirtschaften - so hat der brasilianische Zentralbankchef Alexandre Tombini im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos den Effekt beschrieben, durch den die Währungen einiger Schwellenländer gehörig unter die Räder gekommen sind. Andere vergleichen die Situation mit den Entzugserscheinungen bei Drogenabhängigen.

Schon macht ein neues Schlagwort die Runde bei Bankern und Investoren: Von den "Fragile Five" ist die Rede, den "Zerbrechlichen Fünf" oder, wer es dramatischer will, den "Gebrechlichen Fünf". Südafrika und die Türkei, Brasilien, Indien und Indonesien sind Teil dieses Clubs der Wackelkandidaten. Ihr gemeinsames Problem ist ein hohes, steigendes Defizit in ihrer Leistungsbilanz: Sie geben mehr aus als sie einnehmen und das macht diese Länder extrem abhängig von ausländischen Kapitalzuflüssen.

Symbolbild Geldsegen Dollar
Bild: Fotolia/Sergey Galushko

Schockreaktionen an den Devisenmärkten

Allein die Ankündigung der US-Notenbank im Sommer 2013, ihr milliardenschweres Programm zum Ankauf von amerikanischen Staatsanleihen und Immobilienpapieren zu reduzieren, ließ die Kurse vieler Schwellenländer-Währungen abstürzen. In immer neuen Schüben ging es mit den Währungen Indiens, Brasiliens und der Türkei bergab. Die indonesische Rupiyah verlor gegenüber dem US-Dollar über zwanzig Prozent ihres Wertes im vergangenen Jahr - das größte Minus seit mehr als einem Jahrzehnt.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bringt es im Gespräch mit der Deutschen Welle auf den Punkt: "Die Schockreaktion zeigt natürlich, dass sich viele Emerging Markets auf diesen steten Kapitalfluss aus den USA eingestellt haben. Und sie erschrecken jetzt, wenn sie merken, dass das Geld so nicht mehr fließt. Das zeigt, wie abhängig sie von dem billigen Geld aus den USA sind. "

Jörg Krämer
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: Emerging Markets haben sich an billiges US-Geld gewöhntBild: Commerzbank AG

Aus den rund 200 Millionen US-Dollar, die zu Beginn des neuen Jahrtausends pro Jahr in die Schwellenländer tröpfelten, entwickelte sich - angetrieben durch Krisen und niedrige Zinsen in den westlichen Industrieländern - ein gewaltiger Strom von ausländischem Kapital. Deutlich mehr als eine Billion US-Dollar flossen im Schnitt in den Jahren seit 2010 Jahr für Jahr in den Wirtschaftskreislauf der aufstrebenden Volkswirtschaften, wie Zahlen des Institute of International Finance, des Dachverbands globaler Großbanken mit Sitz in Washington, belegen.

Der stete Nachschub an Dollar-Milliarden ließ den Reformeifer vieler Politiker in den Schwellenländern erlahmen. In Indien mutierte Manmohan Singh vom früheren Wirtschaftsreformer und Wegbereiter des modernen Indien zum Präsidenten auf Abruf, der den Problemen des Landes ohnmächtig gegenüber zu stehen scheint. In einer Anfang Dezember veröffentlichten Studie ätzte die US-Investmentbank Morgan Stanley, Singh "werde vielleicht als der beste Finanzminister seiner Nation, aber als schlechtester Premierminister in Erinnerung bleiben".

Indiens Premierminister Manmohan Singh
Reformmüde: Indiens Premier Manmohan SinghBild: Raveendran/AFP/Getty Images

Reformstau und Korruption statt Wachstums-Story in Indien

Seit die Aussicht auf eine Erholung der US-Wirtschaft das Geld der Anleger zurück in die Vereinigten Staaten lockt, rücken Reformdefizite und gravierende Probleme vieler Schwellenländer deutlich in den Vordergrund. Das Urteil von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer muss wie eine kalte Dusche auf viele Anleger wirken, die mehr als ein Jahrzehnt immer nur auf das große Potential des Subkontinents blickten - und auf deutlich höhere Renditen als in den USA oder Europa schielten.

"Indien ist geplagt von Korruption, der Wettbewerb ist abgeschottet, die Bildungschancen sind sehr schlecht, die Straßen, Eisenbahnen in einem maroden Zustand. Und diese staatliche Infrastruktur muss der Staat dringend verbessern, damit sich das Unternehmertum entfalten kann und damit das Wirtschaftswachstum in Indien wieder anzieht auf die Raten, die wir vor ein paar Jahren gesehen haben."
Deutlich höhere Wachstumsraten als die zuletzt für ein aufstrebendes Schwellenland eher mageren fünf Prozent seien dringend nötig, um Millionen Menschen aus der Armut herauszuführen und die Mittelschicht zu vergrößern, unterstreicht Krämer.

Symbolbild Korruption in Indonesien
Korruption: In Indonesien und in Indien ein ProblemBild: picture-alliance/dpa

Auch Hian-Boon Tay, ehemaliger leitender Fondsmanager des Staatsfonds von Singapur (GIC), der für die Deutsche Bank-Tochter DWS Aktienfonds mit dem Schwerpunkt asiatische Schwellenländer managt, sieht Indien unter Druck, bessere Rahmenbedingungen für Investitionen zu schaffen:

"Indiens Hauptproblem ist, dass es einen Schritt nach vorn macht und zwei Schritte zurück. Das Rechtssystem dort ist ein Problem - und wir stehen kurz vor einer Wahl. Und die Regierung hatte seit langer Zeit nicht mehr die Kraft, um Reformen durchzubringen."

Erst nach dem Wahldebakel der regierenden Kongresspartei bei Regionalwahlen im Dezember sei wieder Bewegung in die Wirtschaftspolitik gekommen, so Hian-Boon Tay: "Danach wurden viele Projekte genehmigt, die praktisch jahrelang in der Bürokratie vergraben waren."

Hindu-Nationalist Narendra Modi im Wahlkampf in der nordindischen Stadt Agra
Hindu-Nationalist Narendra ModiBild: Reuters

Chancen auf Reformen in Indonesien

Dazu kommt die Ungewissheit über den Ausgang der Wahlen in diesem Jahr. Umfragen sehen Narendra Modi, Regierungschef des Bundesstaates Gujarat vorn. Seit seinem Amtsantritt vor gut zwölf Jahren hat der Regionalpolitiker Gujarat zu einem wirtschaftlichen Musterland gemacht, dank milliardenschwerer ausländischer Direktinvestitionen. Wegen seiner erfolgreichen Wirtschaftspolitik setzen viele Inder auf Modi, um für neuen Schwung zu sorgen. Trotzdem bleibt der Hindu-Nationalist umstritten.

Auch in Indonesien wird in diesem Jahr gewählt. Als potentieller Nachfolger des reformmüden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono - Spitzname SBY - wird der Gouverneur von Jakarta, Joko "Jokowi" Widodo, gesehen. Der frühere Bambushändler hatte sich seit 2005 als Bürgermeister der Provinzstadt Solo in Zentral-Java einen Namen als wirtschaftlicher und politischer Reformer gemacht.

Gouverneur von Jakarta Joko Widodo
Hoffnungsträger: Joko "Jokowi" WidodoBild: ADEK BERRY/AFP/GettyImages

Außerdem ließen die Erhöhung der Leitzinsen Ende Januar auf eine Beruhigung hoffen, meint Fondsmanager Boon-Tay im DW-Interview und verbreitet Zuversicht:

"Trotz dieser ganzen Turbulenzen, die wir in der letzten Zeit gesehen haben, sind viele Unternehmen sehr interessiert, in Indonesien zu investieren. Indonesien hat eine große Bevölkerung von ungefähr 220 Millionen und es ist groß. Und das Land steht vor einem explosiven Wachstum - das Potential ist da."

In Indonesien scheinen außerdem Reformen nach den Wahlen eher wahrscheinlich zu sein als in anderen Schwellenländern. In einer aktuellen Studie zu den "Fragile Five" von Morgan Stanley heißt es: "Die Chancen auf Reformen nach den Wahlen stehen in Südafrika am schlechtesten, in Indonesien am besten, unklar in der Türkei und Brasilien - aber unberechenbar in Indien."