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Schweizer Referendum: Eine Gefahr für die Wirtschaft?

Andreas Becker10. Februar 2014

Die Europäische Union und die Schweiz sind wichtige Handelspartner. Das umstrittene Referendum über die Zuwanderung in die Schweiz könnte aber nun beiden Seiten herbe Verluste bringen.

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Symbolbild Schweiz EU Flagge (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die inzwischen 28 Länder der Europäischen Union (EU) bilden gemeinsam den größten Binnenmarkt der Welt. Rund ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistungen wird in der EU erbracht. Die Schweiz gehört nicht zur EU, profitiert aber durch verschiedene Abkommen von vielen Erleichterungen beim Handel mit EU-Ländern.

Für die Schweiz ist die Europäische Union der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Rund drei Viertel aller Einfuhren der Schweiz stammen aus der EU, umgekehrt verkauft sie mehr als die Hälfte ihrer Ausfuhren in die EU. Zählt man In- und Exporte zusammen, hatte der bilaterale Handel zwischen der Schweiz und der EU im Jahr 2012 ein Volumen von 210 Milliarden Euro, wie die Eidgenössische Zollverwaltung errechnet hat. Den Löwenanteil macht der Handel mit Deutschland aus, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz: Das Volumen der Ein- und Ausfuhren lag zuletzt bei 79 Milliarden Euro.

Klein, aber bedeutend

Auch aus Sicht der EU ist die kleine Schweiz nicht zu vernachlässigen. Bei den Ausfuhren ist sie nach den USA der zweitgrößte Handelspartner. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat gingen zuletzt neun Prozent aller EU-Exporte in die Schweiz, mehr als nach China (8,8 Prozent), nach Russland (7 Prozent), in die Türkei (4,7 Prozent) oder nach Japan (3,2 Prozent). Bei den Einfuhren in die EU ist die Rolle der Schweiz geringer. Nach China, Russland, USA und Norwegen liegt sie auf dem fünften Platz, von hier bezieht die EU 5,3 Prozent ihrer Importe. Die aktuellsten Zahlen von Eurostat stammen aus dem Jahr 2011.

Während die EU als Ganzes bei ihren Wirtschaftsbeziehungen mit Drittländern mehr importiert als exportiert, machte sie beim Handel mit der Schweiz regelmäßig einen beträchtlichen Überschuss. Im Jahr 2012 lag das Plus bei rund 17 Milliarden Euro. Konsumgüter sind der größte Posten in der Schweizer Importstatistik. In die Alpenrepublik, die über keine eigene Automobilindustrie verfügt, wurden 2012 rund 380.000 Autos im Gesamtwert von mehr als acht Milliarden Euro eingeführt. Auch Investitionsgüter wie Maschinen und Anlagen sind beim Schweizer Import von großer Bedeutung.

Davon profitieren vor allem die in Deutschland so wichtigen Branchen Auto- und Maschinenbau. "Deutschland verkauft pro Jahr im Umfang von gut zehn Milliarden Euro mehr Güter in die Schweiz, als es von dort bezieht", sagt der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinsituts (HWWI).

Thomas Straubhaar, Direktor des Weltwirtschafts-Instituts, HWWI (Foto: picture-alliance)
Thomas Straubhaar, Direktor des HWWIBild: picture-alliance/dpa

Konsequenzen nicht absehbar

Zu den Gütern, die die Schweiz ins Ausland verkauft, gehören Chemie- und Pharmaprodukte, Uhren, Präzisionswerkzeuge und Genussmittel wie Schokolade. International von Bedeutung ist der Bankenstandort Schweiz als Anbieter von Finanzdienstleistungen.

Neben Zuwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz gibt es auch viele pendelnde Fachkräfte, gerade an der deutsch-schweizerischen Grenze. "Die Schweiz bietet die Jobs und Deutschland die Arbeitskräfte", so Straubhaar im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Zusammen produzieren sie Güter, die dann wiederum als Zulieferprodukte in der deutschen Automobilwirtschaft, im Maschinenbau oder in der metallverarbeitenden Industrie weiter veredelt werden."

Durch den Volksentscheid ist die Schweizer Regierung verpflichtet, innerhalb von drei Jahren Quoten für die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz festzulegen. Das betrifft auch Menschen aus EU-Staaten. Aus Sicht der EU wird dadurch das bisher geltende "Prinzip des freien Personenverkehrs" verletzt. Im Jahre 1999 hatte die EU mit der Schweiz mehrere Abkommen geschlossen, die neben der Freizügigkeit von Personen auch Themen wie Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen regeln. Diese Abkommen seien rechtlich miteinander verknüpft und nicht einzeln aufkündbar, teilte die EU-Kommission in einer offiziellen Erklärung mit. Jetzt müsse sie erst einmal "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen analysieren".

Eine Tafel mit der schweizerischen und der deutschen Flaggen und der Aufschrift 'Landesgrenze' (Foto: dpa)
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der SchweizBild: picture-alliance/dpa

Alles oder nichts

HWWI-Direktor Straubhaar hat Verständnis, sollte sich die EU weigern, nur das Abkommen zur Freizügigkeit neu zu verhandeln. "Die EU-Kommission steht unter hohem Druck. Wenn sie gegenüber Drittländern wie der Schweiz Sonderfälle und Ausnahmen zulässt, wollen bald auch Länder innerhalb der EU ebenso privilegiert werden. Diese Büchse wird die EU nicht öffnen."

Würden aber alle Abkommen neu verhandelt, könnte die Schweiz viele Vorteile verlieren, die sie im Handel mit der EU bisher hatte. "Das ist die Guillotine, die über allem hängt", so Straubhaar. "Wenn alles auf dem Prüfstand steht, wird es der Schweiz als kleines Land schwerfallen, gegenüber der großen Europäischen Union den heutigen Status Quo zu bewahren."

Spielraum bleibt der Schweizer Regierung nach dem Referendum nicht mehr. "Die Regierung muss jetzt aktiv werden", so Straubhaar. "Und die Europäische Kommission wird sich genau das nicht bieten lassen können und wollen."