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Schulsozialarbeiter: unverzichtbar, unbezahlbar?

Sabine Damaschke2. Januar 2014

Sozialarbeiter kümmern sich um schwierige Schüler und vermitteln in Konflikten. Deutsche Schulen wollen nicht auf sie verzichten. Doch es gibt Streit, wer die Sozialarbeiter bezahlen soll. Nun droht vielen die Kündigung.

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Schulsozialarbeiterin Christiane Leithaus posiert mit drei Kindern (Foto: DW/S.Damaschke)
Bild: DW/S.Damaschke

Wenn Sozialarbeiterin Christiane Leithaus auf den Schulhof der Wuppertaler Grundschule kommt, wird sie sofort von Kindern umringt. Manche wollen nur erzählen, wie es ihnen geht, andere suchen ihren Rat.

"Frau Leithaus kann man alles sagen, auch Geheimnisse", schwärmt die zehnjährige Dunya. "Sie hat immer gute Tipps, wenn es Stress mit Klassenkameraden oder in der Familie gibt." Für ihre Freundin, die elfjährige Jenna, ist Schule ohne die Sozialarbeiterin nicht mehr vorstellbar. "Das wäre ganz schlimm, wenn Frau Leithaus gehen müsste", meint sie. "Die Lehrer hören uns überhaupt nicht so gut zu, wenn wir Streit haben. Da heißt es nur: Regelt das untereinander." Doch wenn Jenna Pech hat, muss die 55-jährige Schulsozialarbeiterin aber tatsächlich bald gehen.

Seit zwei Jahren arbeitet Leithaus an der Grundschule. Das Viertel, in dem sie liegt - ein klassischer Brennpunkt von Wuppertal: Von den 316 Schülern haben drei Viertel einen Migrationshintergrund. Viele Eltern sind Asylbewerber, arbeitslos oder halten sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser. Rund 30 Prozent der Familien ihrer Schüler, so schätzt Christiane Leithaus, beziehen Sozialleistungen vom deutschen Staat. Besonders ihnen soll die Sozialarbeiterin helfen, staatliches Geld für Schulmaterialien und -ausflüge, Mittagessen und Nachhilfe zu beantragen.

"Teilhabe" für benachteiligte Familien schaffen

Seit zwei Jahren haben diese Familien im Rahmen des sogenannten "Bildungs- und Teilhabepakets"der Bundesregierung darauf einen Anspruch. Rund 400 Millionen Euro pro Jahr sind deutschlandweit in dieses Projekt geflossen, 3.000 Schulsozialarbeiterstellen wurden damit bezahlt, unter anderem die von Christiane Leithaus. Ende des Jahres läuft die Finanzierung durch den Bund aus. Nun streiten Bund, Länder und Kommunen in Deutschland darum, wer die Sozialarbeiter weiterhin finanziert. "In Wuppertal springt die Stadt erst einmal bis Ende März ein", erzählt Christiane Leithaus.

Drei Kinder halten Bilder hoch (Foto: DW/S.Damaschke)
Aufzeigen, leise sein, zuhören: Regeln für Kinder fördern die soziale KompetenzBild: DW/S.Damaschke

Doch Sozialarbeiter, Schulen, Eltern und Kommunalpolitiker machen hinter den Kulissen Druck, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung die Finanzierung dauerhaft übernimmt. Ähnlich sieht es auch in anderen Bundesländern aus. Überall finden Gespräche mit den Regierungen statt. "Noch hoffen alle, dass die neue Bundesregierung das Paket wieder auflegt", sagt Bernhard Eibeck vom Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. "Im Koalitionsvertrag steht aber nichts davon." Das Ergebnis: Viele Schulsozialarbeiter haben die Kündigung bereits im Briefkasten. "Wir rechnen damit, dass insgesamt mindestens ein Drittel der vor zwei Jahren geschaffenen Stellen wegfallen."

Deutsche Schulsozialarbeit - der "reinste Flickenteppich"

Die Finanzierung der Schulsozialarbeit in Deutschland sei ohnehin der reinste Flickenteppich, kritisiert Thomas Pudelko vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Insgesamt, so schätzt er, gibt es in Deutschland rund 10.000 Schulsozialarbeiter für fast 34.500 Schulen. Ihre Stellen werden von den Städten, Landesregierungen, Sozialverbänden oder mit Projektgeldern der Europäischen Union bezahlt. Je nach Geldgeber sind die Stellen oft befristet und das Gehalt unterschiedlich hoch.

Sozialarbeiterin Christiane Leithaus mit der Rektorin der Wuppertaler Grundschule (Foto: DW/S.Damaschke)
Rektorin Teichmann weiß die Hilfe ihrer Sozialarbeiterin sehr zu schätzenBild: DW/S.Damaschke

"Diese Projekteritis muss ein Ende haben", fordert Pudelko. "Wir brauchen in Deutschland endlich eine strukturell abgesicherte Schulsozialarbeit - und zwar flächendeckend für jede Schule." Davon aber ist Deutschland weit entfernt. Es gebe ja noch nicht einmal ein einheitliches Konzept für Schulsozialarbeit, kritisiert Norbert Grewe, Professor für pädagogische Psychologie an der Uni Hildesheim. "An den Schulen werden sie eingestellt, um sich um die 'schwierigen Schüler' zu kümmern. Aber wie genau das aussieht, wird ihnen meistens selbst überlassen."

Dringender Beratungsbedarf an Grundschulen

In Finnland, Großbritannien und den Niederlanden dagegen sind an jeder Schule Sozialarbeiter zu finden. Sie arbeiten laut Grewe in einem Team mit Psychologen und Beratungslehrern zusammen und gehören fest zum Lehrerkollegium. Finanziert werden ihre Stellen von den jeweiligen Kommunen. Genau das wünscht sich der Wissenschaftler auch für Deutschland. "In jeder Klassen sitzen heute rund zwanzig Prozent Schüler, die Beratungsbedarf haben", betont er, "entweder weil ihnen soziale oder sprachliche Kompetenzen fehlen oder sie an Legastenie, Dyskalkolie oder ADHSleiden."

Besonderen Beratungsbedarf haben vor allem Kinder mit Migrationshintergrund.Sie machen noch immer den Großteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss aus. Und die Gruppe der Einwandererkinder wächst: Bereits jedes dritte Kind unter fünf Jahren in Deutschland kommt aus einer Einwandererfamilie. Deshalb müsste es unbedingt an jeder Grundschule einen Schulsozialarbeiter geben, fordert Grewe.

Sozialarbeiter als "Friedensstifter"

In Wuppertal hat man das offenbar erkannt - und mit dem Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepaket vor allem Sozialarbeiter an Grundschulen eingestellt. Auf die möchte nun niemand mehr verzichten. "Wir haben hier Kinder, die zuhause Gewalt erleben und diese dann an ihre Mitschüler weitergeben", erzählt Rektorin Babette Teichmann. "Häufig sind Familien verschiedener Nationen verfeindet und tragen ihre Konflikte in die Schule."

Der Wuppertaler Schüler Dominik (Foto: DW/S.Damaschke)
Schüler Dominik möchte seine Vertrauensfrau nicht missenBild: DW/S.Damaschke

Eine "Friedensstifterin" nennt Teichmann ihre Schulsozialarbeiterin. Christiane Leithaus trage zur Völkerverständigung in der Multikulti-Grundschule bei. Der zehnjährige Dominik drückt es anders aus: "Sie ist eine echte Vertrauensfrau", sagt er. "Sie will, dass sich nach einem Streit alle wieder vertrauen und Freunde sind."