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"Thailand ist ein feudales System"

Rachel Baig2. Dezember 2013

Die massiven Demonstrationen in Thailand gehen weiter. Regierungsgegner fordern den Rücktritt der Regierungschefin. Die DW sprach mit Marc Saxer, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert- Stiftung in Thailand.

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Ein Demonstrant diskutiert mit einem Soldat der Königlichen Thailändischen Armee in Bangkok (Foto: EPA/BARBARA WALTON)
Bild: picture-alliance/dpa

Augenzeugen berichten, dass es in Bangkok stellenweise wie im Bürgerkrieg aussehen würde. Die Proteste der Regierungsgegner in Thailand eskalieren zunehmend. Tausende Demonstranten versuchen die Regierungszentrale, die Zentrale der Polizei, das Parlament und Medienhäuser einzunehmen. Der Oppositionsführer Suthep Thaungsuban hat der Regierungschefin Yingluck Shinawatra nun ein Ultimatum gestellt. Diese lehnt einen Rücktritt aber ab.

DW: Was ist der Grund für die erneuten Ausschreitungen in Thailand?
Marc Saxer: Der unmittelbare Auslöser war ein Amnestiegesetz, das vor fünf Wochen vom Parlament verabschiedet wurde. Es hätte dem wegen Korruption verurteilten und im Exil lebenden Thaksin Shinawatra (thailändischer Premierminister von 2001 - 2006, Anm. d. Red.) die Rückkehr ermöglicht. Zusätzlich hat die Regierung versucht, die von der Militärjunta geschriebene Verfassung zu demokratisieren: Das Oberhaus sollte in Zukunft frei gewählt werden. Die Demonstranten hatten gefordert, diese Vorhaben nicht umzusetzen. Wegen des Widerstands hat die Regierung beides zurückgenommen.

Was ist jetzt das Ziel der Demonstranten, wenn beide Forderungen schon erfüllt wurden?
Man muss da unterscheiden, denn die Demonstranten sind keine homogene Gruppe. Bis zum letzten Sonntag ging es der Bangkoker Mittelschicht vor allem um Korruption und Vetternwirtschaft in der Regierung. Seit Montag letzter Woche hat die Protestführung umgeschaltet auf die "Ausrottung des Thaksin-Regimes", also des Einflusses des ehemaligen Premierministers, Thaksin Shinawatra, und die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie als Regierungsform. Man möchte eine "wahre Monarchie" bzw. "direkte Volksherrschaft" einführen. Ganz ernst kann man diese Forderungen nicht nehmen, vielmehr stecken dahinter politische Machtspiele.


Premierministerin Yingluck Shinawatra ist die jüngere Schwester des 2006 vom Militär gestürzten Regierungschefs Thaksin Shinawatra. Geht es bei den Protesten auch um die Abschaffung einer Familiendynastie in der Politik?
Es würden mit Sicherheit einige der Demonstrierenden so sehen. Ob das tatsächlich die Hintergründe und Motivationen der Protestführenden sind, das darf bezweifelt werden. Letztendlich ist Thailand trotz seiner demokratischen Fassaden nach wie vor ein feudales System, wo Familiendynastien herrschen. Es geht wie in den meisten Ländern in der Politik um Macht und Einfluss.

Wer sind genau die Roten und die Gelben?
Zunächst entstanden sind die sogenannten Gelbhemden. Das war eine breite gesellschaftliche Allianz, die sich gegen den damaligen Premierminister Thaksin zusammengeschlossen hat. Damals war das eine sehr breite Gruppierung, die die alten aristokratischen Eliten, die Bürokratien, das Militär, die demokratische Partei, die Mittelschichten Bangkoks und die Mehrheit der Bevölkerung im Südteil des Landes mit eingeschlossen hat. Das führte 2006 zu einem Putsch und einer Militärjunta. Gegen diese antidemokratische Einflussnahme haben sich die Rothemden, die Unterstützer Thaksins, gegründet. Das ist auch eine sehr heterogene Gruppe, die zu einem aus Businessleuten und Eliten, andererseits aber der Mehrheit der Bevölkerung im Nord- und Nordosten des Landes besteht. Da das rote Lager seit Jahre jede Wahl überlegen gewinnt, fordern die Gelbhemden nun eine Abschaffung der Wahlen.

Welche Rolle spielt der König Bhumibol in der ganzen Situation? Kann oder wird er eingreifen?
Das hat er in der Vergangenheit getan, ob das jetzt der Fall sein wird, ist schwer einzuschätzen. Wichtig ist, dass der König am nächsten Donnerstag Geburtstag hat und traditionell am Vorabend seines Geburtstags eine Ansprache hält. Diese wird mit großer Spannung erwartet.

Welche Rolle, wenn überhaupt, spielt das Militär in den aktuellen Geschehnissen?
In der Vergangenheit war der Spielplan, auf der Straße so lange zu provozieren, bis die Polizei überreagiert und es Tote und Verletzte gab. Das war dann genug Vorwand für das Militär, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung einzugreifen. Ob das dieses Mal auch der Fall sein wird, ist hoch umstritten. Wahrscheinlich hofft der Protestführer, Suthep Thaungsuban, dass das Militär eingreifen wird. Einige Beobachter glauben, dass das Militär und die Regierung mittlerweile ein Arrangement miteinander gefunden haben. Andere glauben, dass das, was wir momentan erleben, eigentlich ein Militärputsch ist, der einen "Volksputsch" als Fassade benutzt.

Zwei Demonstranten versuchen einer Demonstrantin, die am Boden liegt, wieder auf die Beine zu helfen. (Foto: EPA/RUNGROJ YONGRIT)
Die Auseinandersetzungen in Bangkok eskalieren zunehmendBild: picture-alliance/dpa



Die Protestierenden haben der Premierministerin nun ein Ultimatum bis Dienstag (03.12.2013) gesetzt. Sie fordern ihren Rücktritt. Wie ernst ist diese Drohung?
Ein Stück weit ist dieses Ultimatum schizophren, weil auf der einen Seite der Rücktritt der Regierung gefordert wird, auf der anderen wird gesagt, dass selbst der Rücktritt der Regierung und die Auflösung des Parlaments nicht genug seien. Ernst gemeint ist durchaus, dass die Regierung zurücktreten soll. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das irgendwann passieren wird. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen und wann. Ob die darüber hinausgehenden Forderungen wirklich durchdacht sind, daran kann man zweifeln. Mit Sicherheit geht es im Moment darum, dass man die Kontrolle über die Exekutive übernehmen will - das ist das Ziel der Demokraten, die keine demokratischen Wahlen gewinnen können.

Ist eine friedliche Lösung des Konflikts in Sicht?
Langfristig bin ich sehr optimistisch für Thailand. Kurzfristig ist es, glaube ich, sehr schwierig diesen Graben zuzuschütten. Es stehen hier nicht nur Interessen gegenüber, sondern durchaus auch vollkommen konträre Wertevorstellungen. Es geht um die Fragen "Was ist eine legitime Regierung?", "Ist Mehrheitsherrschaft legitim?", "Was ist die Nation?". In diesen Fragen gibt es nur sehr wenig Konsens.

Marc Saxer, Büroleiter Friedrich-Ebert-Stiftung in Bangkok (Foto: Marc Saxer)
Marc Saxer leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in BangkokBild: privat