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Rifkind: Geheimdienste brauchen Vertrauen

Michael Knigge/sh 2. Februar 2014

Der britische Ex-Außenminister, Malcom Rifkind, spricht mit der DW über die Bedeutung der demokratischen Kontrolle für die Geheimdienste. Nicht die Datensammlung sei das Problem, sondern der Umgang mit ihr.

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Sir Malcolm Rifkind. (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Sir Malcolm Rifkind sitzt für die konservativen Tories im britischen Unterhaus, die seit 2010 den Vorsitz für den Nachrichtendienst-Ausschuss inne haben. Rifkind war Kabinettsmitglied in den Regierungen Margaret Thatchers (1979-1990) und John Majors (1990-1997), unter anderem als Verteidigungs- und Außenminister.

DW: Wenn es um Nachrichten- und Sicherheitsfragen geht: Sind die Briten vom Mars und die Deutschen von der Venus?

Malcolm Rifkind: Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich glaube, wir sind uns deutlich näher. Deutschland verfügt selbst über sehr beeindruckende Geheimdienste. Die Dinge, die der britische Geheimdienst macht, entsprechen wahrscheinlich dem, was der deutsche, der französische oder der italienische Geheimdienst auch tut.

Aber wie ist dann die tiefe Kluft, zumindest in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung, über die Folgen der NSA-Enthüllungen in Großbritannien und Deutschland zu erklären?

In Deutschland hat vor allem die Behauptung, dass Angela Merkels Telefon von den Vereinigten Staaten abgehört wurde, Wellen geschlagen, Ob das wahr ist oder nicht, weiß ich nicht. Aber da es viele Menschen glauben, ist das schlecht. Ich kann das intensive Gefühl verstehen. In Großbritannien müssen wir uns mit solchen Vorwürfen nicht beschäftigen. Snowden hat dem britischen Geheimdienst GCHQ zwar auch einiges vorgeworfen – jedoch ohne große Wirkung. Die öffentliche Meinung in Großbritannien über die Geheimdienste ist seit Jahren stabil. Von den Nachrichtendiensten – solange sie unter Aufsicht stehen und nach dem Gesetz handeln – wird erwartet, dass sie Informationen sammeln. Deutschland hat natürlich durch die DDR gegenteilige Erfahrungen gesammelt: Geheimdienste haben damals politische Gegner unterdrückt, die Freiheit gekappt. Aber das gilt ja nicht für die westlichen Geheimdienste, einschließlich die der Vereinigten Staaten.

US-Präsident Obama hat vor kurzem eine Rede zur Rolle der NSA gehalten, in der er vielversprechende Reformen und mehr Aufsicht versprochen hat. In Großbritannien gab es keine ähnliche Ansprache. Warum nicht?


Erstens: Das große Interesse an Präsident Obamas Rede hing damit zusammen, dass man eine Reaktion auf die Behauptung erwartete, die NSA hätte eine riesige Datenbank über die Telefonverbindungen von US-Bürgern angelegt. In seiner Rede zeigte er sich angetan, die Datenbank nicht mehr auf Servern der US-Regierung zu speichern, aber Washington das Recht einzuräumen, darauf jederzeit zugreifen zu können. Genau dieses Modell haben wir in Großbritannien. Wenn die britischen Geheimdienste Zugang zu Telefondaten haben möchten, müssen sie sich an die Telefongesellschaften wenden. Wenn sie sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten, erhalten sie Zugriff.

Zweitens: Wir haben gerade - zum ersten Mal in unserer Geschichte - die Chefs der drei Geheimdienste vor laufenden Fernsehkameras vom Ausschuss befragen lassen. So etwas hat es noch nie gegeben. Es passiert also viel im Bereich Transparenz. Vielleicht können wir irgendwann weiter gehen, ohne dabei grundlegende Geheimnisse preis zu geben. Natürlich gibt es Grenzen: Du kannst nicht den eigenen Bürgern Informationen geben, ohne dass der Rest der Welt – einschließlich der bösen Jungs - mithören kann.

Es geht nicht nur um Regierungen und Staatsoberhäupter. Viele können verstehen, warum Politiker ausspioniert werden - sie sprechen schließlich am Telefon über wichtige Themen. Aber wenn Anrufe wahllos aufgenommen und gespeichert werden ...

Ich muss Sie korrigieren. Es gibt heutzutage die Möglichkeit, Massen an Daten aufzunehmen und digital zu verarbeiten – das passiert innerhalb von Tagen, höchstens Wochen. Die Daten werden nicht gespeichert. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: In London gibt es Überwachungskameras, die jeden Schritt unserer Bürger aufzeichnen. Doch die sind völlig entspannt: Sie wissen, dass die Aufnahmen nur angeschaut werden, wenn zum Beispiel ein Kind entführt oder ein Terroranschlag verübt wurde. Die Unschuldigen werden geschützt und die Schuldigen geschnappt. Es hängt vom Vertrauen ab.

Die Sammlung unserer Daten bedeutet, dass per Definition keine Unschuldsvermutung mehr gilt. Heißt das nicht auch, dass das Wissen über diese Datenspeicherung auch die Art wie wir leben, ändert?

Wir müssen das ins Verhältnis setzen. Kein Geheimdienst dieser Welt, einschließlich der NSA, kann tatsächlich mehr als einen winzigen Bruchteil des weltweiten Internet-Verkehrs absorbieren. Zweitens: Wenn es um das Lesen der Emails im eigenen Land geht, gibt es in allen Demokratien strenge Regeln. Wenn es um die Mails von Bürgern anderer Länder geht: Welches Interesse sollten die NSA oder die Vereinigten Staaten an der großen Mehrheit des Internet-Verkehrs der Deutschen oder eines anderen befreundeten Landes haben? Sie haben natürlich gar keins – sie haben gar nicht die Zeit und das Personal dafür. Sie versuchen, Terroristen zu fangen.

Deutschland drängt auf eine No-Spy-Vereinbarung mit den USA. Wie sinnvoll ist das?

Die Frage ist: Wie weiß man, ob sie eingehalten wird? Großbritanniens Geheimdienste haben seit rund 60 Jahren eine sehr enge Verbindung zu den amerikanischen Geheimdiensten. Trotzdem kann auch ich nicht sagen, ob die Amerikaner mit uns nicht ähnlich verfahren haben. Ich glaube es zwar nicht, aber es würde mich auch nicht wundern.