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Riesengaudi am Eiskanal

Olivia Gerstenberger14. Februar 2014

Der neue olympische Wettbewerb im Rodeln sorgt für gute Stimmung bei den Zuschauern. Und das nicht nur bei den deutschen Fans, hat DW-Olympiareporterin Olivia Gerstenberger beobachtet.

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Olympia Olympische Winterspiele 2014 Olivia Gerstenberger
Bild: DW/O. Gerstenberger

Das Sanki Sliding Center leuchtet in der Dunkelheit, das Eis der Bahn schimmert weiß. Die vielen Kurven ragen über mir in den Himmel. Steil sehen sie aus, beeindruckend! Um mich herum wuseln die Olympia-Zuschauer herum. Jeder sucht den vermeintlich besten Platz. Besser an eine Kurve oder doch an die Gerade? Wo kann man auch noch gut auf die Leinwand schauen? Noch bleibt Zeit, es ist eine halbe Stunde vor Rennbeginn.

Der Zuschauerbereich verteilt sich auf eine große Fläche, so dass fast jeder in der ersten Reihe stehen kann, über Treppen und Brücken erreicht man schnell einen anderen Winkel der Eisbahn. Die Bewegungsfreiheit ist groß und man kommt richtig nah an den Eiskanal heran, beinahe könnte man hineingreifen. Ich beschließe, die ersten Mannschaften in der Zielkurve zu beobachten. Das Teilstück scheint mir geeignet, um einen etwas längeren Blick auf die wilde Fahrt zu erhaschen.

Ladies first!

Die Spannung steigt, ein Countdown läuft auf der Leinwand. Wird der neue Staffelwettbewerb funktionieren? Es gibt zahlreiche Fehlerquellen, hat Bundestrainer Norbert Loch gewarnt: Beim Start, in der Bahn und am Anschlag. Denn das ist neu: Erst, wenn ein Athlet im Ziel ein Pendel anschlägt, darf der nächste ran - es ist wie bei einer Staffelübergabe, nur eben ohne Blickkontakt und mit einem Kilometer Abstand zwischen den Startern.

Dann geht es los. Korea beginnt, die Rodlerin Eunryung Sung darf in den Eiskanal. Es dauert zwar nur Sekunden, dennoch eine gefühlte halbe Ewigkeit, bis sie bei mir ist. Ich blicke auf die Leinwand, wo die gesamte Fahrt gezeigt wird. Zu Beginn fällt es mir schwer abzuschätzen, wo sich die Rodlerin gerade befindet. Die Fans an der Strecke helfen mir: Sie beginnen zu kreischen. Immer näher kommt der Applaus. Dann höre ich das leise Rauschen. Der Schlitten rast an mir vorbei, über 130 Kilometer pro Stunde schnell. Ich habe keine Chance, einen Blick auf das Gesicht der Athletin zu werfen oder andere Details wahrzunehmen. Innerhalb eines Wimpernschlages ist alles vorbei. Mein Blick heftet sich wieder an die große Leinwand gegenüber. Dort schlägt die Koreanerin gerade an das große Pendel, das die Startklappe für ihren Teamkollegen Donghyeon Kim öffnet. Sein Startkommando. Auch er öffnet wenige Momente später die Startklappe für den koreanischen Doppelsitzer. Es funktioniert, und die Zuschauer sind begeistert.

Ein Schnappschuss vom Pendel

Dann setzt die "Völkerwanderung" wieder ein, viele verlassen ihren Standort, um sich eine andere Perspektive zu suchen. Auch ich laufe in Richtung Anschlag. Es ist schon vorgekommen, dass Sportler den wichtigen Moment falsch berechnen und den Anschlag verpassen. Auf dem Weg treffe ich Rodel-Olympiateilnehmer Bruno Banani, der für Tonga gestartet ist und der mit dem deutschen Rodelteam trainiert hat. Er schaut sich das Spektakel in aller Ruhe an und hat sichtlich Spaß dabei. Natürlich drückt er Felix Loch und Co. die Daumen. So schwierig sei es nicht, den Anschlag zu treffen, sagt er, hat aber eine kleine Delle in der Eisbahn ausgemacht. "Die Rodler hüpfen ein bisschen kurz vor dem Anschlag, das macht es vielleicht schwerer", erzählt er mir. Ansonsten sei es nicht anders als das Bremsen am Ende.

Russland Olympiade Sotschi 2014 Rodeln Deutschland
Gute Stimmung durch Erfolg - oder Erfolg durch gute Stimmung? Die deutsche Team-Staffel in SotschiBild: picture-alliance/dpa

Ich kann mir das nicht vorstellen. Schließlich flitzen die Sportler mit fast 140 Sachen die Eisbahn herunter. Und das liegend. Aus dieser Position ein in der Luft hängendes Ding zu treffen - spektakulär! Ich stelle mich genau neben das Pendel - so nenne ich das Ding mal, denn genauso sieht es aus - und warte gespannt ab. Die nächste Rodlerin ist unterwegs. Da kommt sie angerauscht, hebt sich aus dem Schlitten wie bei einem Sit-up, schlägt mit beiden Händen nach dem Pendel und - trifft. Es macht "Peng" und die Scheibe wird nach vorn geschlagen. Genial! Die Zuschauer jubeln und machen sich fortan einen Spaß daraus, den Moment der Berührung zu fotografieren. Männer hauen das Ding übrigens weitaus lauter weg als Frauen.

Jubel in schwarz-rot-gold

Weil die besten fünf Rodelnationen zum Schluss kommen, steigt langsam die Spannung. Russland hat eine gute Zeit vorgelegt, dann kommt das deutsche Team. Ein Raunen erklingt entlang der Eisbahn, als Natalie Geisenberger vorbeizischt. Respekt mischt sich bei der Abfahrt von Felix Loch dazu und als die Doppelsitzer Tobias Wendl und Tobias Arlt ins Ziel rauschen, gibt es an der Strecke und im Eiskanal kein Halten mehr: Die Menge tobt, die vier Deutschen setzen sich auf den Schlitten, fahren gemeinsam zurück und bejubeln die vierte deutsche Goldmedaille.

Wenig später in der Mixedzone werde ich an den Rand gedrängt, wo ich die Siegerschlitten entdecke: Gerade einmal zehn Zentimeter von mir entfernt lehnen sie abgedeckt an der Wand. "FeLo 2" steht auf dem einen geschrieben. Wenige Meter weiter werden die Siegerfotos gemacht, die vier Doppel-Olympiasieger tragen ihren Co-Trainer Georg Hackl auf den Schultern. "Es ist einfach nur schön, wenn die gemeinsame Arbeit von so großem Erfolg gekrönt ist, ist das toll und eine Art Genugtuung", sagt er mir später, als ich ihn nach dem Trubel abfangen kann.

Dann mache ich Platz für IOC-Präsident Thomas Bach, der Georg Hackl auf die Schulter klopft: "Mein Lieber, ich gratuliere dir", sagt der ehemalige DOSB-Präsident, der vom neuen Rodel-Teamwettbewerb ganz angetan ist: "Man hat gesehen, welche Stimmung er an der Strecke und innerhalb der Mannschaften bringt", sagt der ehemalige Fechter. "Ich komme ja aus einer ähnlichen Sportart, wo eine Einzelsportart zur Mannschaft wird. Man hat heute gesehen, wie es sich zusammenfügt, wie sie sich miteinander gefreut haben. Das ist, was Olympia ausmacht."