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Schnell reich werden

Kathrin Erdmann30. Oktober 2012

Unter Migranten in Deutschland wird die Spielsucht immer noch als Charakterschwäche und nicht als ernsthafte Krankheit betrachtet. Betroffene verschweigen daher meist ihr Problem.

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Ein ehemals Spielsüchtiger in einer Spielhalle vor den Geldspielautomaten (Foto: dpa)
Spielsucht Glücksspielautomaten SpielsüchtigerBild: picture-alliance/dpa

Ganze zweieinhalb Sekunden dauert es und schon erscheinen drei neue Bilder auf dem Automaten. Wieder nichts gewonnen. Am unteren Rand schmilzt langsam der Einsatz zusammen. Hunderte Mal hat Can das miterlebt. Dennoch konnte er sich monatelang nicht von den Spielautomaten lösen: "Es gab Tage, da habe ich nur gespielt, manchmal sieben Stunden am Stück.“ Can heißt eigentlich anders, möchte aber lieber unerkannt bleiben.

Ein Jahr ist das jetzt her. Der 23-jährige Türke war damals arbeitslos, langweilte sich. Gemeinsam mit anderen Spielern fuhren sie raus aus ihrem Hamburger Stadtteil Billstedt. "Dorthin, wo mich keiner kennt." Denn Can schämte sich, vor seinen Eltern, seinen Freunden und auch vor sich selbst. Aufhören konnte er dennoch lange Zeit nicht.

Ein Spieler hält vor einem Glücksspielautomaten Geld in seinen Händen
Spielen kann schnell reich machen - oder schnell armBild: picture-alliance/dpa

Keine Pille gegen die Sucht

Für Suchtberater Abuzer Cevik nichts Neues. Der türkischsprachige Suchtberater kann nur selten einen Migranten zu einer Therapie bewegen. "Die haben erstens Angst, dass die Familie etwas merken könnte, und zweitens wollen sie sich auch nicht eingestehen, dass sie krank sind." Und wenn sich dann einer doch helfen lassen wolle, habe er völlig falsche Vorstellungen, so Nida Yapar vom Hamburger Büro für Suchtprävention: "Sie denken, ich nehme eine Pille, und dann ist alles wieder in Ordnung.“ So würden sie das auch aus ihren Herkunftsländern kennen.

"Sucht ist aus ihrer Sicht nach wie vor ein Tabuthema, sie gilt gerade bei orientalischen Männern, die gern stolz und stark sind, als Charakterschwäche", weiß Yapar. "Statt als Versager wollen sie als reicher Mann dastehen, das erwartet die Familie auch von ihnen", sagt die Deutsch-Türkin. Und deshalb verschulde sich so mancher bevor er sich und anderen Spielsucht eingesteht.

Nida Yapar, Referentin für Suchtprävention in Hamburg (Foto: DW/K. Erdmann)
Nida Yapar, Referentin für Suchtprävention in HamburgBild: DW/K.Erdmann

Familie und Freunde gehen auf Abstand

Auch Can hat einmal am Monatsanfang sein ganzes Geld im Automaten gelassen, musste sich Geld von der Familie leihen. "Ich habe denen irgendetwas erzählt", erinnert er sich. Doch viele um ihn herum wussten längst Bescheid, hatten ihn beobachtet. Seine Freundin wandte sich ab, die Mutter wollte ihn Zuhause rauswerfen, und auch einer seiner besten Freunde Cem kündigte ihm kurzzeitig die Freundschaft: "Ich habe Abstand von ihm gehalten. Ich wollte mit dem Sumpf von Spielen nichts zu tun haben", sagt Cem, der ebenfalls anders heißt.

Can und Cem leben im Hamburger Stadtteil Billstedt. Jeder fünfte ist hier auf staatliche Unterstützung angewiesen, der Migrantenanteil ist hoch. Viele Jugendliche und junge Erwachsene haben keinen Ausbildungsplatz, Freizeitangebote sind rar gesät. Spielhallen gibt es dafür umso mehr.

Kostenlose Snacks, mollige Wärme

"Dort treffen sie sich mit Freunden, quatschen, bekommen kostenlos etwas zu trinken und manchmal sogar Kleinigkeiten zu essen", weiß Suchtberater Cevik. Die Spielhalle oder das Wettbüro als sozialer Treffpunkt, ein Ort zum Wohlfühlen. Immer geöffnet und gut geheizt. Jeder zehnte Jugendliche mit Migrationshintergrund spielt regelmäßig Sportwetten, jeder 20. wirft sein Geld in den Automaten. Ihre Zahl ist damit doppelt so hoch wie bei der Gruppe ohne Migrationshintergrund. Das ist das Ergebnis der letzten Hamburger Studie vom Büro für Suchtprävention. Insgesamt gibt es rund eine halbe Million Spielsüchtige insgesamt in Deutschland, für die die Zahlen ähnlich sind.

Abuzer Cevik, Hamburgs einziger türkischsprachiger Suchtberater (Foto: DW/K. Erdmann)
Abuzer Cevik, Hamburgs einziger türkischsprachiger SuchtberaterBild: DW/K.Erdmann

Murat Gözay vom Vorstand der Türkischen Gemeinde Hamburg (TGH) sieht diese Entwicklung mit Sorge. "Wir brauchen endlich Suchtberatungsstellen für Migranten, damit sie sich Hilfe holen." Derzeit verhandelt die TGH mit der Hamburger Gesundheitsbehörde über eine Finanzierung für den Stadtteil Billstedt, wo das Problem besonders drängend zu sein scheint. Doch Gözay weiß: Ohne die Spielhallenbetreiber werde es nicht gehen. Sie sollten in ihren Geschäften Infoblätter aufhängen, die auf Beratungsangebote hinweisen, so Gözay.

Arbeit macht müde

Doch selbst das werde nicht reichen, glaubt Cem. "Viel wichtiger ist es, den Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu geben, ihnen Ausbildungsplätze anzubieten, damit sie weg von der Straße kommen." Das sieht Can genauso. Der 23-Jährige hat es selbst gemerkt. Seit ein paar Monaten arbeitet er wieder als Lieferant. Seitdem ist er nur noch selten in die Spielhalle gegangen. Der Reiz sei noch lange da gewesen, manchmal sei er ihm erlegen. "Aber oft bin ich nach der Arbeit jetzt so kaputt, dass ich nur noch nach Hause und ins Bett will." Ob er zu einer Beratungsstelle gegangen wäre, weiß er nicht.