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'Ein wichtiger Zweig'

17. Januar 2012

Sind Somalias Piraten moderne Robin Hoods? Eine Studie der Londoner Denkfabrik Chatham House jedenfalls verweist auf positive Effekte der Piraterie. Im DW-Interview erläutert die Autorin Anja Shortland die Ergebnisse.

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Anja Shortland (Foto: privat)
Anja ShortlandBild: privat

DW-WORLD.DE: Frau Shortland, Sie haben mit einer Studie für internationales Aufsehen gesorgt, in der Sie den Einfluss der Piraterie auf Somalias Entwicklung ermitteln. In dem Papier schreiben Sie, ein militärischer Erfolg gegen die Piraten würde das Bürgerkriegsland einer Einkommensquelle berauben und die Armut vergrößern. Ist Piraterie also eigentlich eine gute Sache?

Anja Shortland: Nein, das sicher nicht. Aber sie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in einem Land, wo sehr viele Leute sehr arm sind. Um herauszufinden, ob und wo sich Wirtschaftswachstum manifestiert, habe ich drei Datenquellen benutzt: Erstens die Marktpreise, die von einer Nichtregierungsorganisation erfasst werden. Daran lässt sich ablesen, ob sich die Preise für bestimmte Güter durch die Piraterie verändert haben und ob erfolgreiche Piratenangriffe Investitionen nach sich ziehen. Zweitens habe ich mir anhand von Luftbildern die Nachtbeleuchtung von Somalia angeschaut, um herauszufinden, wo Elektrizität vorhanden ist. Die dritte Datenquelle sind Satellitenbilder von Städten. Ich wollte wissen, was wo gebaut wurde – sind Häfen, Straßen, Häuser entstanden?

Was ist Ihr Befund?

Die Piraterie hat, das zeigen die Marktpreise, zu einem kleinen Boom von Investitionen in Rinder geführt. Zudem sind die Löhne für Tagelöhner gestiegen; das sagt mir, dass Leute eingestellt werden. Auf den Satellitenbildern sehen wir, dass in den Piraterie-Zentren viel Geld für neue Autos ausgegeben wurde. In Garowe, der Hauptstadt der halbautonomen Region Puntland im Norden des Landes, gibt es außerdem viele neue Betriebe, die mehrere Lastwagen haben.

Sind das nicht alles recht dünne Hinweise?

Natürlich. Aber wir reden von einem Land, das keine Regierung hat – und leider auch kein Statistisches Bundesamt. Mein Ansatz war, die wenigen verfügbaren Daten auszuwerten. Die drei verwendeten Quellen ergeben alle ähnliche Befunde und damit ein konsistentes Gesamtbild.

Aber kann man von diesen Daten tatsächlich auf einen Einfluss der Piraterie schließen? Marktpreise können auch durch Hilfslieferungen beeinflusst werden; Gebäude können mit Lösegeldern, aber auch von Auslands-Somaliern oder Hilfsorganisationen finanziert werden…

Das alles lässt sich in der Tat nicht trennen. Aber man kann sehen, dass die Entwicklung im Rest des Landes langsamer läuft, als in den Piraterie-Zentren im Norden. Nehmen wir zum Beispiel die Nachtbeleuchtung. In Somalia wird alle Elektrizität mit Dieselgeneratoren erzeugt. Wenn Leute ärmer werden, müssen sie überlegen, ob sie ihr Geld für Licht oder eine zusätzliche Schüssel Reis ausgeben. Insofern zeigen die Nachtlichter deutlich, über wie viel Einkommen die Leute verfügen. Die Lage in Somalia hat dazu geführt, dass seit 2008 überall die Lichter ausgehen – mit Ausnahme von Garowe und Bossaso. Garowe ist das Zentrum, aus dem die meisten Piraten kommen und Bossaso ist die Boomtown von Puntland, weil über den Hafen Waffen, Motoren und Drogen für die Piraten eingeführt werden.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für Deutschland und die anderen Staaten, die vor Somalias Küste Piraten jagen?

Wenn man die Piraterie stoppen will, muss man sich Gedanken machen, wie man die Menschen in Somalia anders beschäftigt. Der Schaden, den die Piraterie allein 2010 verursacht hat, wird auf sieben bis zwölf Milliarden Dollar geschätzt, die Lösegelder auf 250 Millionen. Selbst wenn diese Zahlen sehr hochgegriffen sein mögen, bleibt der Befund, dass ein Riesenschaden entsteht, die Somalier aber vergleichsweise wenig von der Piraterie haben. Als Ökonomin muss ich deshalb sagen: Es wäre für beide Seiten sehr viel besser, wenn man Geld in eine landbasierte Lösung investierte – selbst wenn es dreimal so viel wäre, wie jetzt an Lösegeldern erpresst wird.

Wie könnte eine solche landbasierte Lösung aussehen?

Man müsste die Bevölkerung gewinnen, indem man auf die Menschen in den Küstenstädten zugeht und etwas anbietet, das besser ist als der Status quo. Denn die Küstenstädte, von denen aus die Piraten in See stechen, haben vergleichsweise wenig davon profitiert; die großen Investitionen werden woanders vorgenommen. Da kann man ansetzen.

Die Piraterie-Expertin Anja Shortland ist Dozentin für Wirtschaft und Finanzen an der Brunel-Universität in London. Die Studie "Treasure Mapped: Using Satellite Imagery to Track the Developmental Effects of Somali Piracy" erstellte sie für den Londoner Thinktank Chatham House.

Das Gespräch führte Dennis Stute

Redaktion: Sabine Hartert