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Nichts wie raus!

Margret Steffen 1. Januar 1970

Früher Jahrmarkt, heute Disney-World - Vergnügungsparks sind so alt wie das wertvollste Gut des arbeitenden Menschen: die Freizeit. DW-WORLD hinterfragt, woher die Lust am Vergnügen kommt. Und wie man sie stillt ...

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Mickey und Minnie Mouse lassen grüßenBild: AP

Beginnt es wirklich mit dem Tivoli in Kopenhagen? Dänemark ist berühmt für seinen königlichen Vergnügungspark: 160 Jahre alt, mit Riesenrad und Fackelbeleuchtung. Seit seiner Eröffnung eine Gegenwelt zur monotonen Fabrikarbeit. So oft wie möglich suchen die Kopenhagener Freude und Nervenkitzel jenseits der Stadt.

Mitte des 19. Jahrhunderts warten die Menschen nicht mehr, bis Zirkus oder kirchliche Feiertage Abwechslung ins Leben bringen. So wird Vergnügung zur Institution - ortsgebunden und kommerziell betrieben. Jahrzehnte später - 1929 - öffnet "Tripsdrill", der erste Erlebnispark in Deutschland. Auch ihn gibt es bis heute. Dennoch haben weder die Deutschen noch die Dänen die organisierte Zerstreuung erfunden: Vor 600 Jahren gießen in Russland die Leute Wasser auf selbstgebaute Holzrutschen und lassen es gefrieren - die Achterbahn ist geboren.

Phantasialand in Brühl bei Köln
Moderne AchterbahnBild: AP

Vorbild Amerika

Seit dem 19. Jahrhundert relaxen die Amerikaner mit Vorliebe am Meer – eine frühe Variante der "Seaside"-Erholung mit Promenaden und Karussells. Für die Achterbahnen erfindet John Miller das Underfriction-Wheel. Diese Gegenlaufrolle verhindert, dass die Wagen abheben. Es ist der Startschuss für den Wettlauf um die gewagtesten Abfahrten und Loopings.

1893, Weltausstellung in Chicago: Auf der Vergnügungsmeile Midway Pleasance baut der Erfinder Ferris Wheel erstmals ein Riesenrad, das die gesamte Ausstellung überragt. Das "Ferris Wheel" ist 80 Meter hoch und hat Gondeln für je 40 Wagemutige. Chicago prägt künftige Unterhaltungsparks - die "White City" der Weltausstellung ist Ideengeber für die Vergnügungskultur im ganzen Land. Und in Übersee.

Wenn der Arbeitstag zu Ende ...

In Deutschland ist Ende des 19. Jahrhunderts Freizeit noch ein Privileg höherer Schichten. Die meisten Menschen leben, um zu arbeiten. Der Rhythmus der Fabriken prägt die Arbeitsgesellschaft, 14 bis 16 Stunden täglich. Freie Zeit ist kostbare "Nicht-Arbeitszeit". Aus der Monotonie der Werke fliehen Schichtarbeiter in die schillernde Welt der Illusionen: Lust und Lachen, Schauder und Sensation statt Arbeitsdisziplin. Polizei und Kirchen fürchten um Anstand und Sitte und das "zügellose Ausleben roher Triebe". Müßiggang gilt als "aller Laster Anfang".

Männer im Anzug ruhen sich aus
Bild: BilderBox

Verbote und "Lustbarkeitssteuern" können die neue Massenfreizeitkultur aber nicht mehr aufhalten. Als 1919 der Acht-Stunden-Tag eingeführt wird, geben immer mehr Menschen ihr Geld für Kino, Zirkus oder Tanztees aus. Die Unterhaltungsindustrie boomt. Nebeneffekt: Das neue Vergnügen macht alle gleich. Klassengrenzen sind auf dem Jahrmarkt und im Kino nicht mehr wichtig.

Bequem, aber stressig

In den USA erkennt Filmproduzent Walt Disney in den 1950er Jahren, dass Unterhaltung so perfekt und bequem wie möglich für möglichst viele gemacht sein muss. Seine Idee für den Unterhaltungspark "Disneyland", gegründet 1955 in Los Angeles, ist es, Attraktionen, Shows, ja sogar Gastronomie zu bestimmten Themen anzubieten. Zusammengefasst in einer kleinen heilen Welt.

Dass die Parks sich heute an Attraktionen und Phantasie übertrumpfen wollen, ist auch Computer und Technik geschuldet: In virtuellen Welten haben Unterhaltung und Machbarkeit wenig Grenzen. Die Ansprüche steigen. Je öder die Arbeit, desto mehr Lust auf Action: Weg vom Schreibtisch, ab in die Achterbahn. Immer höher, schneller und weiter. Fallschirmspringen und Bungee-Jumping versprechen Prestige – für diejenigen, die den Freizeitstress noch aushalten.